»Jung an Jahren- alt an Werken«


In der Nacht zum 10. Juni starb Rainer Werner Fassbinder in seiner Münchner Wohnung. Todesursache: Gleichzeitige Einnahme von Kokain und Tabletten:Ein schwarzer Tag für die deutsche Filmszene. "Der Motor des deutschen Films ist kaputt" - so Fassbinders Kollege Herbert Achternbusch. Wie soll es weitergehen, kann es weitergehen mit dem Kino in Deutschland? Das fragt sich nicht nur der kopflose Fassbinder-Clan.

D=r 37jährige Rainer Werler Fassbinder starb Jung an Jahren, aber alt an Werük/j – so sein Freund und Mitarbeiter Peer Raben. ,Er hinterläßt ein großes Vermächtnis, das an den Werken der Meisterregisseure gemessen werden muß.“ Oder, um mit Fassbinder selbst zu sprechen: „Ich möchte das sein, was Shakespeare fürs Theater, Marx für die Politik und Freud für die Psychologie war: Jemand, nach dem nichts mehr ist wie zuvor.“

So äußerte sich Rainer Werner Fassbinder während er „Eine Reise ins Licht“ drehte. Ob er dieses Ziel in 14 Arbeitsjahren mit 41 Filmen erreicht hat, soll sich erst noch herausstellen. Immerhin: Fassbinder war der produktivste deutsche Filmregisseur Ein letztes Foto vom Arbeitstier Fassbinder bei den Dreharbeiten zu „Querelle“. Darunter Szenen aus zweien seiner wichtigsten Filme „Liebe — kälter als der Tod“ (1.) und „Eine Reise ins Licht (Despair)“.

der Gegenwart. Vielen Cineasten gilt er als der bedeutendste Vertreter seiner Generation. Sein Werk ist allerdings umstritten; er hat – anders als die ewig ausgewogenen, marktkonformeren Kollegen – glühende Anhänger und bitterböse Feinde.

Schon am Beginn seiner Karriere, als Fassbinder zu APO-Zeiten mit seinen ersten Theater-Inszenierungen an die Öffentlichkeit trat, galt er als ein .Lederjacken-Phönix, der der Asche bürgerlicher Kultur entstieg‘ – so Wolfgang Lämmer in einem 1981 erschienenen „Spiegel“-Buch. Und als Fassbinder in zweijähriger Arbeitswut zwischen April 1969 und Dezember 1970 seine ersten zehn (!) Filme drehte, sprach alle Welt von einem .Wunderkind“ des .Jungen Deutschen Films“.

Der .Wunderknabe“ liebte die super-künstlichen, perfiden, spießigen, komponierten Bilder. Bei ihm blühten die kalkuliert-kitschigen Gefühle, die, wie die Schauspielerin Barbara Sukowa („Lola“) einmal sagte, .nichts mit der Beobachtung von Realität zu tun haben“. Eben deshalb bannten sie ein höhnisches Bild dieser Welt auf das Filmmaterial, einer Welt wie nur Fassbinder sie sah. Er setzte nicht nur Maßstäbe mit unkonformistischen Lichtspielen über kaputte und scheiternde Menschen, über Gastarbeiter, Homosexuelle und andere Außenseiter, sondern verhöhnte auch noch die etablierte Branche, indem er die ersten Filmpreise, die ihm die irritierten Kulturbeamten zuerkannten, in abgewetzten Jeans und Lederjacke in Empfang nahm. Das war damals ein ungeheures Ärgernis.

„Gegenüber dem Publikum sollte man nie gefällig sein, sondern immerherausfordernd“, hieß eine der Richtlinien des Selfmade-Regisseurs. In seinen 41 Zelluloid-Provokationen

der Nachlaß-Streifen „Querelle* (siehe nebenstehenden Bericht) kommt am 17. September in die Kinos beschäftigte sich Fassbinder mit sozialpolitischen Fragen (zum Beispiel in der Fernsehserie „Acht Stunden sind kein Tag“), engagierte sich für Minderheiten („Angst essen Seele auf“) und entwickelte in einer Komödie seine Polit-These über „Die dritte Generation“ deutscher Terroristen was ihm Morddrohungen von rechts und Stinkbomben von links einbrachte. Seine späteren Filme „Eine Reise ins Licht“, „Lili Marleen“, „Die Ehe der Maria Braun“ und „Lola“ waren Bausteine seiner .Geschichtsschreibung des deutschen Bürgertums“, denn, so Fassbinder, .man muß, um die Gegenwart zu begreifen, die ganze Geschichte verarbeitet haben“. Viele Kapitel dieses Unternehmens werden nun ungeschrieben bleiben.

Man hat den umstrittenen Fassbinder zuweilen einen Frauenfeind genannt und dem von Daniel Schmid inszenierten Fassbinder-Stoff .Schatten der Engel* antisemitische Tendenzen unterstellt. Alles Unsinn. Man hat Fassbinder, weil er sein Schwulsein, seine Ängste und Neurosen öffentlich machte, beschimpft und sein Werk als privat und arrogant verunglimpft. ,Es gibt Leute‘, ahnte der Regisseur während der Dreharbeiten an seiner .Sehnsucht der Veronika Voss“,, de darauf lauem, daß ich zusammenklappe. „

Das ist nun geschehen. Ratlos und traurig vermarktet der plötzlich kopflose Fassbinder-Clan die Erinnerungen an R.W.F. in Fernsehsendungen und Zeitungsartikeln, sucht – natürlich vergeblich – nach Geldgebern für die letzten Schubladen-Projekte des Meisters. Die Branche selbst erinnert sich plötzlich der internationalen Erfolge des Fassbinder-Werkes und läßt dem Filmemacher durch den Bonner Innenminister noch einen .Deutschen Filmpreis“ posthum ans Grab tragen. Derartig scheinheilige Reaktionen hat der verstorbene Schwierige nun wirklich nicht verdient.

In Fassbinders 1978 entstandenem Jahr mit dreizehn Monden“, seinem großen, persönlichem Werk über die Qualen eines Transvestiten, gibt es einen Friedhof, dessen Grabsteine nicht die Jahre anzeigen, die die Leute lebten, sondern die Jahre, die sie liebten. Viele Freunde des Regisseurs halten .Faustrecht der Freiheit“, Fassbinders Epos über die Einsamkeit eines schwulen Jahrmarktsgehilfen, den er selbst spielt und den er (nach dem Helden des Romans .Berlin Alexanderplatz“) Franz Bieberkopf nannte, für ein ebenso persönliches Werk.

,ln meinen Filmen und all dem, was ich mache, geht’s darum, daß die Leute mit ihren Beziehungen Schwierigkeiten haben‘, sagte Rainer Werner Fassbinder kürzlich in einem Interview. Er wollte in seinen Filmen beschreiben, ,was an unserer Gesellschaft falsch ist.“ Fassbinder war der Meinung, daß es keinen Grund gäbe, den Menschen, so wie er ist, zu lieben – sich selbst eingeschlossen. Er glaubte, daß die Leute zu wenig Persönlichkeit zeigen, viel zu viel von dem annehmen, was ihnen von anderen aufgezwungen wird und versuchte, die Mechanismen, die die Menschen zu Puppen machen, in seinem Werk darzustellen.

.Es gibt überhaupt kein System,‘ so Fassbinder,, das einen Menschen zulassen würde, so zu sein, wie er sein könnte, wenn es kein System gäbe. Sonst wäre es ja kein System.‘ Und das Fazit? In einem seiner letzten Filme empfahl Rainer Werner Fassbinder den Flüchtlingen dieser Gesellschaft eine .Reise ins licht“, nämlich den Gang in den Irrsinn. Der Filmemacher selbst suchte den .produktiven Rausch‘ und lebte privat bis über die Grenze der Selbstzerstörung hinaus. Er baute sich ein Haus aus Filmgeschichten, in dem er nun an Drogen und Tabletten starb.