Kaiser in schmutzigen Kleidern
Nach acht Jahren Stille kehren Coldcut zurück. Und tanzen ganz weit über den Dancefloor-Rand hinaus.
Damit hätte noch vor kurzem kaum jemand gerechnet: daß in den Danceclubs dieser Welt plötzlich der Totentanz regiert. Wie weggefegt ist die hysterisch euphorisierte Feierlaune der „Spaßgesellschaft“, die über ein Jahrzehnt lang die Szene beherrschte. DJs, Produzenten. Labelbetreiber und Veranstalter stimmen dieser Tage unisono das große Rezessions-Klagelied an.
Davon haben natürlich auch Coldcut schon gehört, aber als Männer der ersten Stunde sind sie einiges gewohnt: Für Matt Black und Jonathan More lief es nach den ersten Hits und Remixen mit und für Eric B. & Rakim, Yazz und Lisa Stansfield in den Jahren 1988 und 1989 auch nicht immer optimal. So was härtet ab. Verstehen können sie die momentane Alntilpathie nicht. „Dance ist für viele Leute ein schmutziges Wort geworden, doch man fragt sich, warum. Tanzen gehört schließlich zu den menschlichen Grundbedürfnissen. Daran ändert sich doch nichts“. glaubt Black, der Teile der Genrekritik andererseits auch nachvollziehen kann: „Viele der sogenannten Dance-Helden waren Kaiser ohne Kleider, die durch Stargehabe auffielen, in puncto Charakter. Inspiration oder Unterhaltungswert aber überhaupt nichts anzubieten hatten. Sie spielten die Platten anderer Leute. Unter dem Strich hatte das so viel Wert wie ein Hamburger in einer Schnellfreßbude.“
In einer Situation wie der derzeitigen stellt sich aber natürlich die Frage: Was tun? Zumal wenn man sich wie Coldcut nach über acht Jahren Abwesenheit mit einem neuen Album zurückmeldet und von dem Kuchen, von dem man sich ein Stück abschneiden will, scheinbar nur noch Brösel übrig sind. Zudem sehen sie sich einer völlig neuen Generation ausgesetzt, die ihren Bandnamen mangels historischer Kenntnisse automatisch mit Coldplay verwechseln wird. Doch Black und More zeigen sich gut vorbereitet. Über ihr Label Ninja Tune halten sie sich auf dem laufenden, was aktuelle Entwicklungen in der elektronischen Musik betrifft. Und sie haben eingesehen, daß es ohne Annäherung an die aktuelle Entwicklung auf dem wiederbelebten Sektor Rockmusik nicht geht. Deshalb ist auf SOUND MiR-RORS der Garagenbluesrock-Pionier Jon Spencer zu hören: Mit ihm lassen es Coldcut so richtig krachen. Damit wieder Leben in die Clubbude kommt.
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