Kann der i-Pod mit gutem Gewissen empfohlen werden?


Grenzenlose Begeisterung vs. gefährliche Nebenwirkungen. Der MP3-Player im Selbstversuch.

Meine Lebensgefährtin hat – offenbar eine mögliche kathartische Wirkung erhoffend – mehrfach angeboten, die Beantwortung dieser Frage für mich zu übernehmen. Mit zunehmender Ungeduld wartet sie noch immer auf ein Ende der Totalreggression ins Vorschulalter, die bereits Tage vor dem Kauf des niedlichen Accessoires eingesetzt hat. Die Nebenwirkungen dieses Geräts – Schlafstörungen, haarsträubende Unvernunft, Entzugserscheinungen und die trotzige Weigerung, all dies einzugestehen – trafen mich als weitgehenden Konsumveiweigerer ohne Vorwarnung. Ich besitze weder ein Mobiltelefon noch einen „Organizer‘.’Auch bin ich längst kein Eskapist mehr, der jede freie oder unfreie Minute mit Kopfhörer-Selbstbeschallung erträglicher zu machen sucht. Durchaus zufrieden mit meinem alten CD -Walkman, der mich zu besonderen Anlässen begleitete, nahm ich jedes Mal wieder gerne in Kauf, zunächst eine halbe Stunde damit zu verbringen, die passenden CDs auszuwählen (ein Trip nach New York erfordert eine gänzlich andere Bibliothek als einer in die Lüneburger Heide), dann einmal mehr nach den Akkus zu suchen, um schließlich am Bahnhof ein empörend überteuertes Batterie-Päckchen zu erwerben.

Dass man 2003 Robbie Williams, Giovane Eiber, Craig David, Moby und immer häufiger auch Lieschen Müller mit den typischen weißen Kopfhörern sah, änderte daran nichts. Eher allergisch reagierte ich auf die Marketingkampagnen, die den iPod zu dem machen wollten, was die Air Jordans in den 8oer Jahren waren – das „must-have-item „seiner Generation. Nein, die Infizierung erfolgte nicht über ärgerlich iPod-Einblendungen in Mary J. Blige-Videos, sondern durch einen Menschen in meiner Nähe. Seine Augen funkelten, als er mir die Funktionen seines Geräts erklärte: Acht Stunden Akkuleistung, eine Festplatte, die über 600 Alben tragen kann, „und als er kaputt war, haben sie ihn zum Reparieren bei mir zu Hause abgeholt.“Wie – kaputt? Ach, egal. Ich hatte Fieber. Alle Highlights meiner Plattensammlung in der Hosentasche! Ein Auto-Hifi- Adapter für acht Euro? Unglaublich. „Es gibt keinen Haken „, strahlte mein Bekannter, und es war um mich geschehen. Da nichts erbärmlicher ist als die Vorstellung eines 40 GigabyteWalkmans, auf dem zwölf Alben gespeichert sind, begann ich auf der Stelle damit, CDs in Daten umzuwandeln. Mit einer an Stress grenzenden Ernsthaftigkeit, wie sie nur Erwachsene kennen, die vom Spieltrieb übermannt wurden, „rippte“, wie es unter Eingeweihten heißt, ich Tag für Tag bis früh am Morgen meine Lieblingsalben, um dem ersehnten Gerät bei Eintreffen mit großer Genugtuung bereits über 1000 Songs aus allen Genres füttern zu können. Zurück also zu der eingangs gestellten Frage: Fast täglich entdecke ich unterwegs ein grandioses Album, das ich lange nicht gehört habe, weil es zu weit links oder zu weit hinten in meinem CD-Regal lebt. Ich höre mehr Musik, ich höre mehr verschiedene Musik und ich genieße es mehr. Ich freue mich wie ein Kind.