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Kaufanleitung: Die wichtigsten Alben von John Cale im Ranking

Welche Solo-LPs und Soundtracks lohnen sich so richtig und welche Alben mit anderen sind die besten?

Die beiden Alben, die er Ende der Sechzigerjahre mit The Velvet Underground aufgenommen hat, hätten schon ausgereicht, um John Cale unsterblich zu machen. Nach seinem Ausstieg aus der stilbildenden Band begann der Waliser im Jahr 1970 eine beispiellose Solokarriere. Dem klassisch ausgebildeten Komponisten und Multiinstrumentalisten, der Viola, Bass, Gitarre und Keyboards spielt, ist nichts fremd zwischen Pop, Avantgarde, Musiktheater und klassischer Musik. Seit 2023 ist der 83-Jährige wieder sehr produktiv. POPTICAL ILLUSION, sein 18. Studioalbum, ist 2024 erschienen.

Als Solokünstler

VINTAGE VIOLENCE (1970)

Zwei Jahre nachdem John Cale die wegweisenden The Velvet Underground im Streit (mit Lou Reed) verlassen hat, legt er sein erstes Soloalbum vor. Während der Doom-Faktor von Cales ehemaliger Band gerade durch sein Viola- und Keyboard-Spiel geprägt wurde, schlägt er als Solokünstler auf VINTAGE VIOLENCE ganz andere Töne an. Mit seinen Begleitmusikern – unter anderem Garland Jeffreys an der Gitarre – spielt er eine Art von Barock-Pop, der gleichzeitig schlau und gefällig ist und manchmal so sonnenscheinig klingt, dass er Verbindungslinien bis weit zurück in die Sechzigerjahre auslegt. Wie wenn Nick Drake Glückspillen eingeworfen hätte.

Fünf Sterne

THE ACADEMY IN PERIL (1972)

Wer über das Soloschaffen John Cales sinniert, sollte nicht vergessen, dass der Künstler über eine Ausbildung in klassischer Musik und Avantgarde verfügt, die ihn im Alter von 13 Jahren zum National Youth Orchestra Of Wales gebracht hat und anschließend ans renommierte Goldsmiths College in London. Sein zweites Album THE ACADEMY IN PERIL erinnert in jeder Note daran, nicht nur in den beiden Tracks, die er zusammen mit dem Royal Philharmonic Orchestra aufgenommen hat. Das Album ist eine gelungene Übung in klassischer Musik des 20. Jahrhunderts, die noch bemerkenswerter wird, wenn sich das Rockinstrumentarium in den Vordergrund spielt.

Viereinhalb Sterne

PARIS 1919 (1973)

Ganz zu recht gilt PARIS 1919 als das Meisterwerk im stilistisch weit offenen Solokatalog John Cales. Das Album, dessen Titel an die Pariser Friedenskonferenz der Sieger des Ersten Weltkriegs erinnern soll, wirkt wie eine hundertprozentig gelungene Ausarbeitung von Cales Solodebüt. Einen derart raffinierten, künstlerischen Pop hatten damals nur wenige Musiker:innen im Angebot – am ehesten noch Scott Walker. PARIS 1919 ist eine Sammlung wunderbar arrangierter und liebevoll instrumentierter Songs, die nichts mehr mit The Velvet Underground zu tun haben. In der Begleitband: Lowell George und Richie Hayward von der Southern-Rock-Band Little Feat.

Sechs Sterne

FEAR (1974)

Ein Album, auf dem vieles zusammenkommt, was John Cale bis dahin als Solokünstler ausgezeichnet hat, das aber auch bereits Hinweise darauf gibt, wohin die multistilistische Reise in den kommenden Jahren gehen wird. Der typische Cale-Pop-Rock erhält hier einen leichten Glamrock-Anstrich, was dem Zeitgeist geschuldet sein dürfte. Das vierte Soloalbum des Walisers liefert aber auch Proto-Dream-Pop („Ship Of Fools“), Beach-Boys-Harmoniegesang („The Man Who Couldn’t Afford To Orgy“) und eine Art Cale-infizierten Gospel-Song („Buffalo Ballet“). Unter den ­ Gästen: Brian Eno und Phil Manzanera von Roxy Music und Richard Thompson von Fairport Convention.

Fünf Sterne

HELEN OF TROY (1975)

Auch auf seinem sechsten Soloalbum gewinnt der musikalische Alleskönner dem Songformat neue Aspekte ab. Mit einer hervorragenden Band im Rücken (u.a. mit Chris Spedding, Brian Eno und dem damals noch Mainstream-unverdächtigen Phil Collins) klingt John Cale auf HELEN OF TROY in seiner dezenten Verrücktheit und Überdrehtheit wie eine Vorahnung der New Wave, allen voran wie die Blaupause der Talking Heads. Dazu gibt’s eine Coverversion von „Pablo Picasso“, Monate bevor Jonathan Richman sein Original veröffentlicht.

Fünfeinhalb Sterne

MUSIC FOR A NEW SOCIETY (1982)

John Cale ist ein Multiinstrumentalist. Er spielt Viola, Bass, Gitarre, Keyboards und singt auch noch ganz passabel. Auf seinem siebten Studioalbum rückt er das Keyboard ins Zentrum des Geschehens. Minimalistische Arrangements stehen dabei ProgMelodien gegenüber, die Songs gleichen religiösen Andachten und Cale klingt dabei wie ein Prediger aus der Echokammer. Seine Themen holt er aus den Tiefen der menschlichen Seele, es geht um enttäuschte Hoffnungen, Schmerz und eine Mutter, die einen Amoklauf begeht.

Fünfeinhalb Sterne

Mit anderen

John Cale & Terry Riley – CHURCH OF ANTHRAX (1971)

In den Sechzigerjahren spielte Cale bei der Minimal-Music-Legende La Monte Young. Für sein zweites Album nach seinem Ausstieg bei The Velvet Underground hat er sich mit einer anderen Legende zusammengetan: Minimal-Komponist Terry Riley. CHURCH OF ANTHRAX ist weder Rockmusik noch zeitgenössische klassische Musik. Mit seinen ausgedehnten Jams, die vom Orgelspiel der beiden Protagonisten geprägt werden, bewegt es sich auf der dünnen Linie dazwischen. Der Sound mit zigfach overgedubbter Gitarre und Bass ist stellenweise so dicht, dass einzelne Instrumente schwer zu identifizieren sind. Aber das muss so sein. Alles ist eins, alles ist im Fluss.

Viereinhalb Sterne

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Lou Reed & John Cale – SONGS FOR DRELLA (1990)

1987 stirbt der legendäre Pop-Art-Künstler Andy Warhol infolge einer Operation. Drei Jahre später setzen Lou Reed und John Cale ihrem Mentor und dem Miterfinder Velvet Undergrounds ein musikalisches Denkmal. Die Hommage an „Drella“ – ein Kofferwort aus Dracula und Cinderella, ein Spitzname Warhols – ist roh, karg instrumentiert, minimalistisch arrangiert und erinnert stellenweise an Musiktheater. Der Frieden nach 22 Jahren Funkstille hält nicht lange. Noch bevor das Album veröffentlicht ist, erklärt John Cale, dass er nie wieder mit Lou Reed zusammenarbeiten wird. Drei Jahre später reformieren sich Velvet Underground in der klassischen Besetzung.

Sechs Sterne

Brian Eno & John Cale – WRONG WAY UP (1990)

Was kommt dabei heraus, wenn zwei Musiker wie Brian Eno und John Cale, die vor allem für ihre Experimentierfreude bekannt sind, ein gemeinsames Alben aufnehmen? Eine Sammlung kompromisslos experimenteller Stücke, die unanhörbar ist? Im Fall von WRONG WAY UP ist es das exakte Gegenteil. Das Album zählt in den Diskografien beider Beteiligter zu den kommerziellsten. Zeitgeistige elektronische Musik, Einflüsse aus Art-Rock und Spurenelemente von Prog-Rock fügen sich zu einem wunderbaren Pop – nicht im Sinne von Roxette, die 1990 in vielen Ländern die Charts anführen, sondern ein leicht verquerer Pop, der mit kleinen Widerhaken versehen ist.

Fünf Sterne

John Cale & Bob Neuwirth – LAST DAY ON EARTH (1994)

Der Songwriter und Bob-Dylan-Assoziierte Bob Neuwirth ist ein ungewöhnlicher Kooperationspartner. Aber auf LAST DAY ON EARTH ist nichts gewöhnlich. Es ist ein Songzyklus zum Thema Reisen, eine Auftragsarbeit des St. Ann’s Warehouse in Brooklyn, einer Einrichtung für darstellende Künste. Die Reise, die nach Nevada, China, über Land und ans Meer führt, ist zwischen Musiktheater und Hörspiel angelegt und lebt von ihren Gegensätzen: von Cales postmodernen (Streicher-)Arrangements, Neuwirths Spoken-Word-Beiträgen und punktuellem Banjospiel.

Viereinhalb Sterne

Soundtracks

23 SOLO PIECES FOR LA NAISSANCE DE L’AMOUR (1993)

Eine ganze Reihe Soundtracks hat John Cale in seiner über 50-jährigen Solokarriere aufgenommen. Der für Philippe Garrels Spielfilm „La Naissance de L’Amour“ ist ein weiterer Beleg für die Vielseitigkeit des Musikers. Es gibt nur ihn und sein Piano und 23 impressionistische, introspektive Miniaturen, die die Grenze zur klassischen Musik überschreiten. Cale wollte das Piano „atmen lassen“. Es ist ihm gelungen.

Fünf Sterne

LE VENT DE LA NUIT (1999)

Noch ein Score für Philippe Garrel. Diesmal für „La Vent de la Nuit“ mit Catherine Deneuve in der Hauptrolle. In den Solo-Piano-Stücken bleibt Cale bei der melancholischen Grundstimmung der 23 SOLO PIECES. Das Eis bricht und die Stimmung hellt sich auf, wenn er vom Slide-Gitarristen Mark Deffenbaugh begleitet wird.

Viereinhalb Sterne