Kelis


Das ist es also, das neue Stimmwunder aus den USA, die Frau, die den R’n’B in eine neue Ära schicken soll. Eine klasse Show hatten die Veranstalter angekündigt, doch leider nicht die erste Bürgerpflicht an einem Abend Mitte Juni 2000 ins Kalkül gezogen: Fußball gucken. So ist die Große Freiheit nicht mal zur Hälfte gefüllt, Italiens 2:0 gegen Belgien halten viele für spannender als die erste Deutschlandtour der Harlemer Ex-Gospelsängerin mit der supertoughen Aura. Die Erklärung, warum sie von Freunden den Sitznamen „Thunder Bitch“ verpasst bekommen hat, liefert Kelis an diesem Abend gleich unmissverständlich ab. Links, rechts, vor und zurück, hoch und runter und queibeet wie ein Derwisch springt die Pfarrerstochter zwischen den Monitoren herum, schüttelt ihre Haarpracht und lässt das Becken gefährlich sexy kreisen. Mit ihrer wirklich erstklassigen Stimme meistert sie sowohl rau gespieene Rap-Passagen als auch die sanftesten R’n’B-Balladen mit Bravour, und lässt immer wieder markerschütternde Kreischer los, die einige Gäste um die Dachkonstruktion der Halle bangen lassen. Erstaunlicherweise erntet Kelis den größten Applaus nicht für ihren Hit „Caught Out Here“ („I hate yoti so much right now!“ – kreisch!) oder die neue Single „Good Stuff“. Vielmehr honoriert das Publikum ihre Darbietung des Lionel-Richie-Klassikers „Hello“ oder des wüst vorgetragenen Steppenwolf-Gassenhauers „Born To Be Wild“. Da schreit dann auch mal die Menge, die sich mehr solche Nummern gewünscht hätte. Nach gerade mal 50 Minuten und einer Show, die über weite Strecken nur andeutete, was hätte sein können – nicht einmal eine Zugabe ist drin – verabschiedet sich Kelis in den Feierabend. Hier offenbart sich dem Connaisseur vor Ort die Parallele zum Fußball: Hoffnungsvolle DFB-Talente wie Sebastian Deissler, 20 lahre alt wie Kelis, haben eben auch nur Kraft für 60 und nicht für 90 Minuten Spiel.