Kettcar


Die Romantik im Alltäglichen: Die "Quasimodos des Indiepop" brillieren mit Arbeiterlyrik und Schrammel deluxe.

Manchmal geht alles ganz schnell. Neue Band gegründet, mit befreundeten Musikern ein eigenes Label ins Leben gehievt, der Musikindustrie damit ne lange Nase gedreht, zweite Platte veröffentlicht, Platz fünf der deutschen Verkaufscharts erreicht, für Wochen ein festes Zuhause im Feuilleton, Bericht in den „Tagesthemen“. Potzblitz.

Kettcar heißt die Band, der all das passiert und gelungen ist, und bei diesem Ereigniskonglomerat ist es ganz sicher von Vorteil, daß die Musiker aus Hamburg schon ein bißchen älter waren, als der Erfolg Guten Tag sagte: Von den Kuchen zum 30. sind nicht mal mehr Krümel übrig, und weil das so ist, kann Sänger Marcus Wiebusch das ganze Tohuwabohu um Kettcar lässig einordnen… Letztens ist unser Freund Thees Uhlmann, Sänger von Tomte, auf einer Party gefragt worden, ob er die häßlichen Typen auf dem Cover so eines Musikmagazins kennt: Ja, hat er geantwortet, das sind Kettcar.

Da kann ich nur zustimmen und sagen: „Wir sind die Quasimodos des Indiepop.“ Gelächter und Gejohle in der Live Music Hall, und dann legt Wiebusch erst nach – „Ihr Rheinländer seid so einfach zu begeistern“ – und dann los. Mit einer Handvoll Songs von der Schallplatte VON SPATZEN UND TAUBEN, DÄCHERN UND HÄNDEN. „Bei Aldi brennt noch Licht“, singt Marcus Wiebusch in „Deiche“, und bevor man sich allzu sehr darüber freut, daß es beim deutschen Erfolgsdiscounter noch nicht zappendüster ist, biegt Wiebusch ab in Richtung Realität, Ausfahrt: Leben. „Nur weil man sich so dran gewöhnt hat, ist es nicht normal/nur weil man es nicht besser kennt, ist es nicht egal“, heißt es weiter.

Wiebuschs Wunsch nach Auskennen im eigenen Leben, wenn’s irgend geht, ohne Navigationssystem – all das ist nicht selten bierschweißig, mitunter hemdsärmlig, aber immer eins: ganz wunderbar. Jedes Lied der zweiten Kettcar-Platte kündet von Zweifeln, Betroffenheitslyrik aber ist nicht drin bei Kettcar: „Das Gute an schlechten Zeiten /Pferde satteln weiter reiten“, singt Marcus Wiebusch in „Einer“. Genau so ist das, denken wir, und freuen uns auch über Lieder des ersten Albums DU UND WIEVIEL VON DEINEN FREUNDEN – „Landungsbrücken raus“ und „Im Taxi weinen“. Nur in einem Punkt müssen wir Kettcar korrigieren. In dem, als Wiebusch sich und die Seinen so annoncierte: „Die doofen Hamburger sind da.“ Wiederkommen nicht vergessen. Bald.

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