Kiffaz With Attitude
Tobi Tobsen, Das Bo, Marcnesium und DJ Coolmann alias Fünf Sterne Deluxe über die Zukunft von HipHop, die Kraft der Natur- und gelähmte Eiderenten.
Viele große Geschichten beginnen mit einer Suche. Warum nicht auch ein kleiner Zweiseiter über Fünf Sterne Deluxe? Die haben gerade – mit Unterstützung von Plattenfirma und lournaille – das Armband von Marcnesium gesucht, das dieser beim Schleudern eines Apfels („Ich treff jetzt das Schild da!“) auf die Wiese im Backstage-Bereich der Landsberger Hard Pop Days befördert hat. Das Band war auf der Höhe des Schwungs von Nesiums Handgelenk der Materialermüdung erlegen und hatte sich dem Apfel angeschlossen. Wenn man jetzt ein gewagtes Bild aufstellen wollte, dann haben wir hier den Apfel Fünf Sterne Deluxe und eine Perlenschnur von deutschen HipHop-Acts, die in den letzten zwei lahren vom Bewegungsmoment der Hamburger profitierten, um abzuheben. Denn wenn heute traditionellen Mix-Festivals wie den Hard Pop Days mit dem Hamburger „Flash 2000“ oder den „Splash!“-Festivals gleichberechtigt Großveranstaltungen gegenüber stehen, auf denen ausschließlich gerappt wird, dann haben Fünf Sterne Deluxe ihren Anteil an diesem Boom. Deutsch-HipHop, der nach dem Fanta 4-„Die da?!?“-Wunder Mitte der 90er kommerziell stagnierte, erlebte im Frühjahr 1998 seinen zweiten Urknall. Am Anfang stand „Willst Du mit mirgehn?“, eher untypisch für Fünf Sterne Deluxe, aber kommerziell auf dem Punkt, gefolgt von einem vollschlanken Album („Sillium“), weiteren Single-Hits und der grandiosen „Rock It To The Dome“-Tour zusammen mit Dynamite Deluxe und Ferris MC. „Die erste Allstar Tour Deutschlands“, verweist Bo, „In Bus rein, ab, los, Deutschland rocken. Und seitdem wird Deutschland gerockt. Und gerockt. HipHop war gelandet.
„Naja, das war irgendwie ein glückliches Zusammenwirken von mehreren Sachen, dass wir zu der Zeit erfolgreich wurden“, meint Tobi. Wir sitzen jetzt bei einer Cola um einen Cassettenrecorder auf dem Sportplatz-Rasen. „Damals waren sonst noch Freundeskreis am Start und…“ – „Neiiin! Da war keiner am Start, wir waren die einzigen aufweiter Flur!“, wirft Kollege Bo mit staubtrocken gespielter Ruppigkeit ein. Allgemeines Gekicher, Tobi fährt fort: „Es gab wenige erfolgreiche Acts, und ich denke, dadurch hat sich dieser Hamburg-Vtbe eingestellt. Als nächstes kamen die Beginner, und aus dem Kosmos Fünf Sterne/Beginner konnten wieder ganz andere Bands nachziehen.“ Tobi redet vom „Windschatteneffekt“ der sich gegenseitig featurenden Szene. „Da entwickelt sich für die Leute so ein Gewebe, so ‚Wenn wir die gut finden, müssen wir theoretisch auch die gut finden, weil die finden die ja auch gut‘.“ Bo meldet sich: „Die Jugend hat einen Identifikationspunkt gefunden für sich. Jetzt, wo dieses HipHop-Ding groß wird, sehen viele, dass das nicht nur eine Musikrichtung ist, sondern dass da mehr hinter steckt – Breakdance, Graffiti… eine Kultur praktisch. Das finden die Leute interessant.“ So interessant, dass aus HipHop auch hierzulande eine Industrie geworden ist. „Das ist halt das Problem“, meint Bo, „dass viele Leute gar nicht verstehen, worum’s in HipHop geht, da muss man auch Ansagen machen, damit sie es verstehen können.“ Muss man es verstehen? „Naja“, räumt Marc Nesium ein. „Man kann ja keinen dafür verurteilen, wenn er einfach emotional auf ein Stück abgeht, ohne zu reflektieren, was der ganze Kosmos ist.“ Was ihn aber stört, ist die Vermarktung von HipHop als Trendware. „Da muss man echt aufpassen. Du wirst konfrontiert mit ’ner Fassade: Alle flashen derbe ab, sind am Start, alle reden mit, blabla. Teilweise werden Vokabeln rausgezogen, in den eigenen Sprachgebrauch eingebaut, aber das kommt alles aus dem ganzen Werbescheiß, dem Klischee raus. Weil’s halt stylish ist und irgendwo in ’nem Magazin stand. Deshalb sollten die Leute aufpassen, welche Bands fundiert und mit Tiefgang am Start sind, und welche nur den Markt futtern.“ Trend hin oder her: Normalität ist HipHop für Marcnesium in Deutschland noch nicht: „Normalisiert ist es erst, zu hören, zu kaufen, gut zu finden. Aber noch nicht, sich selbst darin auszudrücken. Das wird noch kommen. Als wir aufwuchsen, gab’s ja keine deutsche Musik, die man richtig geil fand. letzt ahn‘ aber mal die ganzen Eiemacken, die draußen sitzen und mit den Fantas oder Fünf Sterne abgehen, die wachsen damit auf, für die ist das normal, die sind dann auch viel mutiger mit ihren ersten Sachen.“ „Die neuen deutschen Rapper!“, kräht Bo. „Ich liebe sie jetzt schon! Die werden so derbe werden.“ Tobi sieht eine flächendeckende Veränderung der Musiklandschaft: „Ich schätz das mal so ein: früher haben alle Schülerbands Rock gespielt, in Zukunft werden sie halt HipHop machen. Es ist ja auch viel einfacher, da einzusteigen, technisch wie kreativ, wie bei jeder elektronischen Musik.“
HipHop ist hier mm Bleiben. Da ist sich auch DJ Coolmann sicher: „Ob etwas populär ist, errechnet sich aus seiner Präsenz in Charts und Medien. Wenn es jetzt heißt, ‚HipHop stirbt‘, dann bedeutet das nur-“ Bo: „HipHop kann nicht sterben, weil wir niemals sterben werden! Unsere Hirne werden weiterleben!“ Nesium: „Wir haben ja schon die Verträge mit den Tiefkühlfirmen.“ Coolmann: „- dass es aus den Charts raus ist. Aber wenn man das annimmt, als Kultur, da Bock drauf hat…“ Bo: „Brainfreeze!“ -….. dann bleibt man dabei. Momentan wird das verkauft, das ist Kapitalismus…“ Nesium: „Den Kopf verpflanzen auf’nen anderen Körper!“ Bo: „Wir treffen uns wieder in 140 lahren.“ – „…Business orientiert halt. Wie in den 80ern die Popper und Mods…“ Nesium: „Und stehen vor uns, aber in anderen Körpern. Und dann kriegen wir die Mitteilung: der Typ, der so und so aussieht, das ist jetzt Tobi.“ “ …aber für mich wird HipHop sterben, wenn ich sterbe.“ Okay, okay. Cani ruhig. Vorerst wird mal überhaupt nicht gestorben, wenn’s recht ist. Aber Nerven gekostet hat das Geschäft die Fünf Sterne allemal schon. 260 Auftritte absolvierte man allein von Sommer ’98 bis ’99, arbeitet neben der Unendlichen Tour weiter an eigenen Projekten (DJ Coolmann hat sein Label HongKong und das Projekt Visit Venus, Marcnesium ein Grafikstudio, Tobi produziert Acts wie Ferris MC, wird demnächst das Elektronik-Label Moonbootika gründen, Bo rappte mal hier, mal da und hat sein Label Bo Ludget). Aber alles drängte auf ein neues Album. Gegen Ende ’99 wurde der Druck auf die Band so enervierend, dass es reichte: Fünf Sterne stopften der Hysterie die „Alle mal arschlecken“-Maxi „Jaja, deine Mudder“ in den Rachen – um sich dann konsequent rar zu machen. Im November ging’s in Klausur. Für drei Monate logen sich die Stadtkinder in den Wald bei Flensburg zurück, mieteten eine renovierte alte Zollstation, 60 Meter vom Strand, um dort am neuen Album zu basteln. „Die Idee war“, erläutert Tobi, „dass wir ganz frei von allem flashen wollten. Zeit haben, zusammen an einem Ort.“ Marcnesium: „War total entspannt. Wenn einer wach wurde, dann war einer wach, und wenn einer schlief, dann schlief er halt. Und wenn einer da am basteln war, dann harn die anderen das mitgekriegt. Dann hatte vielleicht einer noch ’ne Idee dazu, oder Coolmann hatte ’nen Cut auf Tasch‘ oder Tobi hat ’nen Beat vorgelegt. Und Bo kam grad mit ’nem Text runter. Oder ich hab ’n Sample mit Tobi rausgesucht…“ – „Wenn man Distanz hat zu dem, wo man herkommt“, weiß Bo, „kann man das auch besser beschreiben. Durch die Distanz sieht man erst, was man hat.“ Marcnesium wird’s ganz esoterisch ums Flerz: „Die nature Die vibes Die moüon Die tiefe Ruhe und die Harmonie mit der Natur, wo man dann auch seine eigenen inneren Melodien rauskramt!…“ – „Das Schönste war ja“, meint Bo, „als wir da ankamen, nach zwei Stunden Fahrt – Schlüssel vergessen! Gekuckt, ah, da oben: Fenster offen. Wir so: Alles klar. Dach rauf gekraxelt, barfuß, damit man nicht abrutscht an den Kacheln.“ Nesium: „Da war Glatteis, Alter.“ Was? Ihr habt Euch für uns in Lebensgefahr begeben? Nesium: „Unter anderem. Wir haben auch ’ne Ente gerettet, Alter. Solche Styles ham wir gekickt. Wir sind mit ner abgestürzten Ente…“ Coolmann: „Ne Eiderente.“ Nesium: „a. Wenn nachts die Straßen so feucht sind, dann denken die, das ist ’n Fluss, und da ist die halt -BOlNG!-dingding-ding abgestürzt, die Alte, so aufgeditscht. Halb gelähmt ist die da im Graben liegengeblieben. Und zufällig hab ich die am Morgen…“ Bo: „Er kam rein, so ‚Da is‘ ’ne Ente!!!'“ Nesium: „In Unterhosen lief ich da rum. Und die lag da und kuckte so.“ Coolmann: „Dann haben wir die in ’nen Karton gepackt und zum Tierarzt gefahren. Und da im Vorraum von dem Arzt waren Katzen und Hunde…“ Nesium: „Die halt Bock hatten auf die Gelähmte.“ Coolmann: „Die war nachher ganz zutraulich und ganz smooth drauf. Die Ente ist gerettet. Das sind so Sachen, die haben die Atmosphäre in dem Haus so ausgemacht, weißt Du.“ Bo: „Lind Mittwoch kam die dicke Ursl und hat das Parkett abgeflext.“ Äh, bitte? Nesium: „Ja, die dicke Ursl hat so Brandflecken aus dem Parkett geschliffen.“ Tobi: „Da waren so Teelichter auf’ner Edelholztreppe und das musste die dicke Ursl halt wegflexen.“ Coolmann: „Aber das größte war, als Tobi mit der Schokolade eingeschlafen ist im Bett.“ Nesium: „Oder mit den Träten. Tobi ist auch immer mit den Träten eingeschlafen und hat das ganze Polster verbrannt.“ Bo: „Und Flipper-Battle am Playstation. Und Angeln!“ Nesium: „Ein Traum. Da zu sitzen in dieser Wildnis und Playstation-Angeln zu spielen. Abstrakt.“ Jetzt Ist Neo.Now, produziert in Hamburg und New York, fertig. Und da las man letzthin, es habe „gruppenintern viele Auseinandersetzungen“ gegeben. Wer das gesagt hat? Bo hat das gesagt. „Was sag ich?“ Bo merkt auf. „Ah ja, das war kurz, nachdem ich gesagt habe, dass Tobi ausgestiegen ist.“ Ein wildes Gerücht, das Mitte August die Fünf-Sterne-Fans aufschreckte, sich aber als Nullnummer erwies – gestreut von Bo via MTV. „Man muss ja immer kucken, was sowas für Auswirkungen hat“, grient der unter Sonnenbrille und Handtuch-Turban. „So, ‚Wie large bin ich?'“ Nesium pflichtet bei: „)a, genau. Immer so n bisschen hinten reinzwicken. Kucken.“ Um die largeness von Fünf Sterne Deluxe muss man sich wohl in der nächsten Zeit keine Sorgen machen.