Kim Carnes – Blonder Engel mit teuflischer Stimme
15 Jahre lang mußte sie auf diesen Song warten. Mit "Bette Davis Eyes", vielleicht der gelungensten Popnummer des laufenden Jahres, katapultierte sich Kim Carnes ins internationale Rampenlicht. Selbst der Gegenstand des Songs, Hollywood-Diva Bette Davis, konnte nicht umhin, der blonden Sängerin ihren Respekt zu zollen.
Dabei hatte Bette Davis noch vor wenigen Jahren in einer amerikanischen Talk-Show anders über die jetzt 34jährige Blondine geurteilt: „Irgendetwas ist mit deiner Stimme nicht in Ordnung“ meinte sie damals, diplomatisch ihr Unbehagen über Kims rauhe und brüchige „Männer“-Stimme ausdrückend. Doch noch größer als das heutige Lob für die perfekte Pop-Nummer war Bette Davis‘ Erstaunen über die intimen Kenntnisse der Song-Schreiber Donna Weiss und Jackie De Shannon.
„How did you know so much about me?“, fragte sie die beiden erstaunt in einem Brief. Hatte das Gespann etwa zuviel von dem Intimleben der Film-Diva preisgegeben? „Her lips a sweet surprise/her hands are never cold/ she’ll tease you/she’ll unease you/all the better just to please you/she’s ferocious and she knows just/what it takes to make a pro blush“.
Dabei landete „Bette Davis Eyes“ eigentlich mehr durch einen Zufall auf Kim Carnes‘ sechster LP. Schon im letzten Jahr offerierte Donna Weiss den Titel. „Ich fand den Song beim ersten Hören sehr einprägsam. Ein Stück mit diesem Titel mußte einfach gut sein! Doch das Demo klang mir ein wenig zu folkie.“ Erst als die respektierte Song-Schreiberin für die LP MISTAKENIDENTITY einige andere Titel anbot und ganz nebenbei wegen „Bette Davis Eyes“ nachhakte, kam die Sache wieder ins Rollen. Das Ergebnis allerdings war dann alles andere als folkie. „Bette Davis Eyes“ zählt zu den gekonntesten und aufregendsten Pop-Songs der vergangen Jahre.
it einer für Frauen höchst ungewöhnlichen Stimme interpretiert die zierliche Blondine den Titel. „Zu viele endlose Nächte und far too many wine spritzers „haben ihre Visitenkarte hinterlassen. Einem Rod Stewart dürfte diese Röhre Leichenblässe ins Gesicht treiben, Bonnie Tylers kratzendes Organ steckt im Vergleich dazu noch tief in den Kinderschuhen. Dabei klingt es nicht nur rauh, wenn Kim Carnes, Mutter eines 6jährigen Sohns, zum Singen ansetzt. Auch im Gespräch kommt’s wie aus einer Whiskey-gehärteten Säuferkehle. An die permanenten Vergleiche mit Rod The Mod hat sie sich daher schon gewöhnt. „Ich hab‘ nun mal so’ne Stimme. Rod hat seine, aber was soll’s? Ich mag seine Stimme, auch seine Songs.“
So scheute sie denn auch nicht den direkten Vergleich. Für ihr zweites Album SALIN‘ nahm Kim 1976 einen Song auf, den einst auch RodStewart aus rauher Kehle röhrte: „It’s Not The Spotlight“ von Barry Goldberg/Gerry Goffin. Kims Version hatte es keineswegs verdient, in den Regalen der Plattenshops zu verstauben was die Single mitsamt LP dann aber trotzdem tat. Wie so einige andere ihrer Alben zuvor und danach: REST ON ME (1974), KIM CARNES (1975), ST. VINCENTS COURT (1979), ROMANCE DANCE (1980). Und das, obwohl auf diesen Alben gleich mehrere exzellente Cover-Versionen enthalten waren. Kims Vorliebe zu schwarzem Rhythm & Blues bricht in einem Song wie „More Love“ von Smokey Robinson durch. Aber auch wohlbekannte Pop-Klassiker bekommen durch ihre unnachahmliche Stimme ein neues Gesicht: „Warm Love“ von Van Morrison, der alte Box-Tops-Hit „Cry Like A Baby“ oder „Tear Me Apart“ von Chinn/Chapman, einst von Suzi Quatro gesungen. Doch ebensosehr liebt Kim Carnes die klassischen Balladen. Randy Newman, Tom Waits und J. D. Souther sind ihre favourite writers“.
Kim Carnes‘ privater Werdegang ist in wenigen Worten erzählt. Mit drei Jahren schon singt sie wie ein alter Hase. Die obligatorischen Klavierstunden währen vom fünften bis zum 14. Lebensjahr. Erste Songs entstehen für Schulaufführungen. Als 19jährige schließt sie sich 1966 der Folkband The New Christy Minstrels an. Mitglieder dieser Gruppe waren u.a. zwei Männer, die zu wichtigen Personen in ihrem Leben werden sollten: Dave Ellingson und Kenny Rogers. Ersteren heiratete Kim und entwickelte eine bis heute erfolgreich währende Partnerschaft im Songschreiben. Titel für Barbra Streisand, Rita Coolidge, Anne Murray, Frank Sinatra, Andy Williams und Kenny Rogers komponierte das Team und verdiente sich so neben zusätzlichen Werbespots die notwenigen Brötchen für den familiären Lebensunterhalt.
Die Freundschaft zu Kenny Rogers führte 1979/ 80 zu dem Angebot, ein ganzes Konzept-Album für den graubärtigen Country-Star zu erarbeiten. Das Ergebnis: die Country-Oper GIDEON, die Geschichte um einen Cowboy namens Gideon Tanner. Den Titel „Don’t Fall In Love With A Dreamer“ aus dieser LP sang Kim im Duett mit Kenny Rogers und stieß so 1980 die Tür zum eigenen Erfolg auf. Die Nachfolge-Single „More Love“, ohne Rogers, schaffte ohne Schwierigkeit den Sprung in die Top 30.
Ich möchte immer für andere Leute Songs schreiben“, gesteht Kim heute. „Als Sängerin kannst du nicht ewig am Ball bleiben; doch als Songwriter sollte man sich immer entwickeln können. Ich möchte nicht als alternde Diva in einem zweitklassigen Nightclub enden. Auf meiner neuen LP MISTAKEN IDENTITY habe ich daher auch das erste Mal mit anderen Leuten als mit Dave zusammen geschrieben. Das war neu für mich, lief aber ausgezeichnet.“
Mit Produzent Val Garay entstand dabei auch die dramatische, jazzig-durchwachsene Nummer „Draw Of The Cards“. Sicher mit „Bette Davis Eyes“ der stärkste Titel des Albums. „Unser Gitarrist Josh Leo mußte plötzlich mitten in der Produktion schwerkrank ins Krankenhaus. Dave, Val und ich besuchten ihn. Wie aus heiterem Himmel meinte Val irgendwann: „Well it’s all in the draw of the cards“. Das war eine riesige Zeile, der Ausgangspunkt für einen neuen Song. Wir setzten uns gleich zusammen, bastelten einige Textzeilen, und unser Keyboardmann Bill Cuomo kam mit der Melodie. In ein paar Stunden war alles fertig. Die Art und Weise, wie die gesamte LP zustande kam, ist exakt das, was ich eigentlich schon seit Jahren machen wollte.“ Selbst 15 Jahre Warten haben sich für Kim Carnes bezahlt gemacht.