King Buzzo über Tempo
Brauchst du morgens lange, um aus den Federn zu kommen?
Nein, ich bin sofort wach, noch vor Sonnenaufgang. „Bang!“ und ich bin da. Ich bin ein früher Frühaufsteher.
Bist du eher ein schneller oder ein langsamer Autofahrer?
Ich fahre gerne sicher. Nicht schnell. Und doch mag ich das Autofahren. Im Urlaub cruise ich am liebsten herum – sicher.
Warst du in der Schule schnell von Begriff oder eher ein langsamer Lerner?
Wenn ich etwas lernen wollte, war ich schnell. Ich bin ein sehr schneller Leser. Allerdings fand ich die Schule schrecklich langweilig und bin auch nicht aufs College gegangen oder so. Doch ich lese für mein Leben gern. Auf Tour habe ich auf meinem E-Reader Hunderte von Büchern dabei. Das ist wie ein iPod. Lesen gehört zu den besten Dingen, die es gibt. Ich lese ungefähr 100 Bücher im Jahr, mindestens 80. Am liebsten lange, sehr lange Bücher, zum Beispiel „Die sieben Säulen der Weisheit“ von T. E. Lawrence.
Aber dieses Buch kann man gar nicht schnell lesen.
Deswegen lese ich es immer wieder. Ich kam auf das Buch, weil ich den Film „Lawrence von Arabien“ so liebe …
Das ist mein Lieblingsfilm.
Nein, das ist mein Lieblingsfilm! Ich habe ihn allein im Kino inzwischen 15 Mal gesehen. So was wird heute nicht mehr gedreht. Damals hat man sich einfach noch mehr Zeit genommen. Die Aufnahmen haben ein Jahr gedauert. Ein ganzes Jahr! Erinnerst du dich an die Szene, in der Omar Sharif auf diese Quelle zureitet? Die dauert allein drei Minuten, und er kommt aus einer verdammten Fata Morgana herausgeritten!
Der Film dauert fast vier Stunden und nimmt sich viel Zeit, es gibt nur lange Schnitte …
Ja, aber es wird trotzdem nie langweilig, oder? Vielleicht, weil die Zeit aufgehoben wird und Geschwindigkeit keine Rolle mehr spielt. Er beginnt ja damit, dass die Hauptfigur tödlich mit dem Motorrad verunglückt. Und er endet damit, dass er im Jeep sitzt und von einem Motorradfahrer überholt wird, dem er hinterherschaut.
Und in der Mitte des Films gibt es diese Szene, wo die Kamele morgens geweckt werden und sich brüllend erheben, und die klingen dabei …
… genau wie startende Motorräder! Ja, diese Tonspur! Und auch die Musik von Maurice Jarre (Vater von Jean Michel Jarre; Anm. d. Red.) ist episch. Ein Score für die Ewigkeit, den er in nur einer Woche komponiert hat. Daran kann man wieder einmal sehen, dass manche Sachen eben sehr schnell gehen müssen.
Wie ist das bei deinen Kompositionen?
Das kommt darauf an. Manchmal ist eine Idee sofort da und muss nur noch schnell aufgenommen werden. Und dann gibt es wieder solche Entwürfe, von denen ich jahrelang nicht weiß, was ich mit ihnen anfangen soll -bevor ich dann doch noch ein Detail an ihnen entdecke, aus dem ich in kürzester Zeit einen Song machen kann.
EVERYBODY LOVES SAUSAGE, das aktuelle Album der Melvins, besteht aus Coverversionen, die ihr mal schneller, mal langsamer spielt als im Original …
Es geht darum, beseelte Versionen der Originale zu machen. Oder eine absichtlich entfremdete Version, je nachdem. Nein, meistens wollen wir der inneren Natur eines Songs auf die Spur kommen, die Stücke so darbringen, wie sie gemeint waren.
Auf eurem 2010er-Album THE BRIDE SCREAMED MURDER gibt es eine Art Zeitlupenversion von „My Generation“. So können das The Who aber nicht gemeint haben.
Lustig, dass du das sagst. Ich habe mich da an dem Soundtrack zu „The Kids Are Alright“ orientiert, auf dem The Who selbst eine extrem langsame Version spielen. Die Inspiration kam also tatsächlich von der Band, die den Song geschrieben hat. Ich wollte das seit 20 Jahren genau so machen, und dann habe ich mich wirklich sklavisch daran gehalten. Ich bin ein großer Fan von The Who und war mir sicher, dass das jeder sofort kapieren würde. Aber niemand hat es kapiert. Vielleicht bin ich ja tatsächlich der größte Fan von The Who.
Umgekehrt gibt es auf eurer neuen Platte eine sehr schnelle Version von „Black Betty“, das Leadbelly ursprünglich viel langsamer …
Ach, Leadbelly Ich weiß nicht. Keiner weiß, woher dieser Song tatsächlich kommt. Diese alten Bluesleute, fürchte ich, wussten das oft selbst nicht, so oft stibitzten sie die Songs einander unter dem Hintern weg. Mal sangen sie es flott, mal langsam, aber die Originale liegen im Dunkeln. Selbst jemand wie Robert Johnson war kein Innovator, er war auch nur ein sehr guter Dieb. Und doch liebe ich diese Musik. Wie könnte man aber jemanden wie Howlin‘ Wolf auch nicht lieben?
Zumindest, wenn man sich für Rock interessiert und wo er herkommt.
Nein, das muss einfach jeder lieben! Selbst wenn er keine Ahnung von Blues oder Rock hat.
Will man als E-Gitarrist nicht unbedingt schnell spielen lernen? Als du anfingst, in den Achtzigern, galt ein gewisser Yngwie Malmsteen als schnellster Gitarrist aller Zeiten …
Das war er auch, das war er auch! Ich mochte nur seine Songs nicht. Wenn ich entscheiden müsste, ob ich Malmsteen oder Cobain bevorzuge, würde ich eindeutig Cobain wählen. Der war schmutzig und schlampig, aber es geht um die Songs. Es geht um die Überzeugung.
Ist Geschwindigkeit in der Musik ein Taschenspielertrick?
Wenn sie gut und sinnvoll eingesetzt wird, dann ist Geschwindigkeit eine feine Sache. Eddie Van Halen ist ein toller Gitarrist, aber wenn er keine guten Songs schreiben würde, wäre mir das total egal. Kennst du Michael Schenker? Der junge Michael Schenker konnte wahnsinnig schnell sein und dann wieder sehr langsame Soli spielen. Was der damals hatte, war Leidenschaft. Darauf kommt es an. Duane Allman auf dem ersten Album der Allman Brothers konnte das auch, Eric Clapton bei Cream oder Billy Gibbons von ZZ Top. Die sind gerade dann unglaublich gut, wenn sie langsam spielen. Genies, alles Genies.
Es ist also doch schwieriger, langsam zu spielen?
Es ist ganz bestimmt schwieriger, die Dinge einfach so passieren zu lassen. Egal, welche Geschwindigkeit sie beanspruchen. Technisch gesehen ist es viel leichter, schnell zu spielen. Wenn du schnell spielst, fallen deine Fehler nicht so auf. Wenn du langsam spielst, steht alles klar und deutlich im Raum, jeder kann es hören. Da braucht es viel mehr Entschlossenheit.
Was ist mit Rhythmuswechseln? Ist das Prog-Rock-Angeberei?
Ich habe das nie bewusst abgelehnt oder ausprobiert. Es hat sich einfach nicht ergeben für meine Musik. Wobei ein bisschen haben wir das ja auch gemacht, aber halt nicht bewusst. Wir haben vielleicht keine großen Rhythmuswechsel, aber wir haben oft ziemlich knifflige Taktangaben. Ich denke, das macht den Mangel an dramatischen Rhythmuswechseln wieder wett.
Die besten Sachen im Leben, passieren die schnell oder langsam?
Gute Frage, darf ich mit einem musikalischen Beispiel antworten? An die besten Shows, die ich je gespielt habe, habe ich so gut wie keine Erinnerung, weil ich sie unbewusst weggespielt habe. Als dauerten sie nur einen Moment. Die schlechtesten Shows, also die, bei denen alles schiefläuft, wollen und wollen dagegen einfach kein Ende nehmen.
Dieses Interview ist vorbei. Ging es schnell oder langsam?
Ich fand es sehr unterhaltsam, also: schnell. Wir hätten uns aber ruhig noch länger über Filme unterhalten können …
Albumkritik ME 5/13
Roger „Buzz“ Osborne wurde 1964 in Montesanto im US-Bundesstaat Washington geboren. An seinem letzten Schultag gründete er die Melvins (Slang für „uncoole Kids“), zu deren Roadies bald Kurt Cobain gehören sollte. Später ver-mittelte Osborne den damals schlagzeugerlosen Nirvana einen gewissen Dave Grohl. Als das beste Album der Melvins gilt HOUDINI (1993), von dem Leute sagen, dass es das komplette Werk von Metallica überflüssig macht. Diese Leute haben recht.