Kleine Helden


„‚Ne Schallplatte zu machen, ist heutzutage überhaupt kein Problem“, grinst Walter Lindenberg. „Angefangen habe ich mit vielen guten Ideen und 20000 Mark Schulden.“ Seine Ein-Mann-Firma „FünfUndVierzig“ ist eins der unabhängigen Platten-Label, die Deutschland mit der Musik versorgen, die bei den Branchen-Riesen kein Gehör findet. Neue Musik, seltene Musik, extreme Musik, schwierige Musik oder ganz einfach einheimische Musik jenseits der Hitparaden. Sieben Macher/innen erzählen, wo’s langgeht.

Wahrend Ariola, Virgin, EMI, CBS, WEA, Polygram, Teldec und die übrigen „major companies“ vorwiegend mit etablierten Namen um Verkaufszahlen. Fernseh-Einsätze und Millionen fighten, kämpfen die „Indies“ mit Minderheiten-Programmen ums Überleben. Sie schlagen sich wacker. Ihr Mut zum Risiko ist der Mut zum eigenen Geschmack.

„Wir haben uns überlegt, daß es in Deutschland kein Independent-Label gibt, das richtig professionell arbeitet und trotzdem schräge Musik rausbringt“, erklärt die 22jährige Pia Lund die Philosophie ihres Dortmunder Klein-Unternehmens Constrictor. Nach den üblichen Klavierstunden hatte die blonde Schönheit („mein Papa war Norweger“) in verschiedenen Ruhrgebiet-Bands Tasten gedrückt, bis sie dem sagenumwobenen Gitarristen/Sänger Phillip Boa in die Arme lief, mit dem sie heute Bett, Büro und Bühne teilt. Die beiden machten zunächst nur zu zweit Musik, Phillip brachte sie zum Singen, dann gründeten sie mit den beiden Schlagzeugern „the Voodoo“ und „Rabe“ Phillip Boa & The Voodoo Club, eine der wenigen neuen deutschen Bands, die auch in England was zu melden hat. Seit vor anderthalb Jahren das erste Boa-Album PHILISTER Furore machte, genießt der 25jährige Ex-Punk diesseits und jenseits des Kanals einen exzellenten Ruf als Fachmann für quengelig/rhythmusbetonten Gitarren-Pop.

Seitdem gibt es auch die Firma Constrictor, die sich — abgesehen vom Voodoo Club und Christianhound, einer weiteren Band aus Dortmund — ausnahmslos um britische Gruppen kümmert. „Wir haben angefangen mit englischen Bands, weil wir finden, daß es in Deutschland keine vernünftigen Bands gibt, von der Musikrichtung her. Christianhound und Philip Boa mal ausgenommen“.

lacht Daisy Duck- und Brigitte Bardot-Fan Pia. „Und die Einstürzenden Neubauten und ein paar andere. In England gibt es da viel mehr. Und wir nehmen wirklich nur das, was uns gefällt. Uns ist es egal, wieviel die Sachen verkaufen —- wir machen das wirklich nur aus … idealistischen Gründen. „

Reich werden kann man mit Platten von den Membranes (bisher 500 verkaufte Exemplare), Jowe Head (1600 Stück) oder den Palookas (1500 Stück) sicher nicht (zum Vergleich: Madonnas TRUE BLUE ging bis heute in Deutschland 450.000 mal über den Ladentisch). Darum geht’s Familie Boa/Constrictor aber auch gar nicht. Pia: „Uns reicht Plus-Minus-Null.“ Ab 800 verkauften Scheiben macht das Label Gewinn, der sofort in Werbung und neue Projekte gesteckt wird – —1000 Platten müßte man immer schaffen“.

Pia und Philipp sind zuerst und vor allen Dingen Fans und Musiker, die ihre Musik zum Broterwerb gemacht haben. Ihre Vorbilder sind die englischen Independent-Label Creation und Factory, die sich mit Gruppen wie The Felt und New Order einen Namen gemacht haben. „Das sind so Labels“, strahlt Pia, „wenn die Leute den Namen lesen, dann kaufen die.“ Mit den Geschäftspraktiken der Großindustrie möchte Constrictor dagegen nichts zu tun haben, „das ist uns völlig unsympathisch“ (Pia). Haupt-Motivation, ein eigenes Label aufzumachen, war schließlich die Tatsache, daß einem dann endlich keiner aus der Industrie mehr reinreden kann. So zeigten sich verschiedene Konzerne mehr als interessiert an der in Bälde zu erwartenden neuen Phillip Boa-LP. Voraussetzung: Das Album wird mit einem Produzenten ihrer Wahl noch einmal eingespielt, sämtliche Ecken und Kanten werden abgeschliffen, damit’s im Radio zwischen Queen und Wham! aufgelegt werden kann, ohne die braven Hörer zu erschrecken. Pia: „Man weiß ja, daß die Industrie nur Hit-Singles machen will. „

Nach Hits schielen allerdings nicht nur die Großen. „Wir haben uns auch das Ziel gesetzt, in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft mit einer Platte in die Hitparade zu kommen“, umreißt Stefan Werner (31) die Hoffnungen des Bonner Labels Normal. „Was unseren Independent-Status angeht, sind wir nicht dogmatisch oder irgendwo ideologisch so festgelegt, daß wir sagen: Wir machen Independent, weil das toll ist. Oder daß wir sagen: Wir machen nur Independent-Musik, was immer das ist. Das gibt’s ja auch gar nicht. Wir haben keinen festgelegten Stil, keine Programmatik. „

Als Normal Anfang der 80er das Licht der Geschäftswelt erblickte, beschränkten sich Stefan und sein Partner Eduard Rühmann (29) noch darauf, in Deutschland nicht erhältliche Schallplatten zu importieren (z.B. die Frühwerke von Yello und den Residents (damals auf Ralph Records). 1982 begann Normal auch als Label zu arbeiten und veröffentlichte seine ersten beiden Platten. 1985 waren es schon zehn, und für dieses Jahr rechnet Stefan mit etwa 30 Veröffentlichungen „von Dark Wave über Neo-Klassik bis Pop“ (zu 90 Prozent Lizenzproduktionen aus dem Ausland: The Cassandra Complex, John Lurie, Minimal Compact, Wire-Sänger Colin Newman u.a.).

Mit diesem Angebot zählt Normal heute zu den wichtigsten und umsatzstärksten deutschen Kleinlabels. „Wir sind nie ein Risiko eingegangen -— das hat sich langsam so entwickelt“, erklärt Stefan.

Geschäftlich standen die Normals allerdings auch schon sehr viel mieser da — nach anfänglichen Fehlkalkulationen war das Geld zeitweise so knapp, daß Stefan aussteigen und seine Brötchen anderswo verdienen mußte.

Mit dem Album THE SECRETS OF THE I-CHING der amerikanischen Band 10.000 Maniacs wendete sich das Blatt, inzwischen kann man sich fünf ständige Mitarbeiter leisten (noch’n Vergleich: Die deutsche CBS leistet sich 210 Beschäftigte). Bezahlt wird nicht nach Tarifvertrag, sondern nach persönlichem Bedarf; wer Familie hat, kriegt mehr. „Selbstausbeutung“ gehört für Stefan zum Konzept: „Meine Idealvorstellung von Normal ist, daß wir als kleines Label ALLES möglich machen können. „

„Man weiß ja nie, was noch alles kommt“, feixt auch Burkhard Seiler, dessen Berliner Firma Zensor schon Ende der 70er dafür bekannt war, daß sie “ immer sehr schnell die ersten, heißen Scheiben aus England drüben hatte“. Für den 32jährigen ist Schallplatten-Verlegen „ein großes Abenteuer“. Seine Lieblings-Anekdote erzählt vom Ende des amerikanischen Soul-Labels Stax, das 1968 vom Film-Multi Paramount aufgekauft wurde: „Als Stax weg vom Fenster war, meinte der Konkursrichter, er hätte nie gedacht, daß eine Schallplattenfirma zu machen bedeutet, Russisches Roulette mit fünf Kugeln in den Kammern zu spielen. „

Ein Leben ohne dieses Spielchen mag sich Zensor-Burkhard gar nicht mehr vorstellen: „Bei mir macht’s jeden Tag einmal klick —- es hat aber noch nicht geknallt. “ Der Mann hat Nerven. „Früher war ich so eine Art Marktfahrer und hab‘ auf Jahrmärkten und Flohmärkten Schallplatten verkauft. Die ersten Punk-Geschichten haben mich so begeistert, daß ich 77 nach London geflogen bin, mir zum erstenmal einen Schallplatten-Großhandel angeschaut und die ersten Kontakte mit Rough Trade geknüpft habe. Dann habe ich angefangen, Singles /überzuholen und hier im Wohnzimmer, auf Flohmärkten und vor Konzerten verkauft. Es hat ein Jahr gedauert, und ich hatte meinen eigenen Laden. An Samstagen haben unten im Keller immer die ganzen Berliner Bands gespielt. „

Und so kam Zensor zur deutschen Musik, zu Bands, die mit dem Ersparten von Muttis und Tanten Popstars werden wollten. Burkhard machte die ersten Plan-, Mittagspause-, Tempo- und Malaria-Singles und trug damit maßgeblich zu einer Entwicklung bei, die nur wenig später als Neue Deutsche Welle ihre eigenen Kinder fressen sollte.

Die Bezeichnung NDW hat damals ein gewisser Alfred Hilsberg erfunden, seines Zeichens erster deutscher Punk-Papst und mit seinem legendären Label ZickZack früher Förderer von Gruppen wie Palais Schaumburg, Wirtschaftswunder oder Xmal Deutschland.

Was er nicht ahnen konnte, war, daß die Großindustrie auf so was nur gewartet hatte und nach Ideal und den Fehlfarben auf einmal jede Band einkaufte, die mehr als drei Worte Deutsch singen konnte. Damit wurde nicht nur den Kleinlabels das Wasser abgegraben; das plötzliche Überangebot an deutschen Bands führte außerdem dazu, daß der neue Trend, kaum daß er begonnen hatte, schon wieder vorbei war.

„Damals ist die Chance vertan worden, daß sich hier ’ne eigenständige Szene entwickelt“, resümiert Hilsberg. „Das viele Geld, das die Industrie in die Neue Deutsche Welle gesteckt hat, und die ganze Scheiße, die da rauskam“, lassen ihn sein Heil zunehmend im internationalen Bereich suchen. Sieht man von Independent-Bestsellern wie den Einstürzenden Neubauten (das Album HALBER MENSCH verkaufte sich hierzulande 15.000mal) und einigen Mittelfeld-Bands (Kastrierte Philosophen, Cpt. Kirk etc.) ab, liegt sein zweites Label, ‚What’s So Funny About‘ voll im anglo-amerikanischen Sixties-Gitarren-Psychedelic-Trend.

Auch Burkhard Seiler sieht sich „um Gottes willen nicht“ als Anlaufstelle für junge deutsche Bands. „Hier gibt’s zwar ’ne relativ gute Amateur-Rock-Szene; die ist für den lokalen Rahmen super, spitze, aber da fehlt die nationale Bedeutung.“ Burkhard setzt dieses Jahr voll auf New Orleans (Neville Brothers) und Soul-Altstars vom Schlage eines Solomon Burke. Und was kommt dann? „Vier weiß, bisher ist es mir immer einmal im Jahr gelungen, für Aufsehen zu sorgen. „

Das könnte auch Vera Brandes von sich behaupten. Die 30jährige Kölnerin ist Geschäftsfrau mit Leib und Seele, arbeitet rund um die Uhr. kennt jeden und hat überall einen Fuß drin. Kein Wunder, sie arbeitet schon im Musikgeschäft, seit sie 15 war. „Ronnie Scott, der damals die Berliner Jazztage angesagt hat, bat mich, eine Deutschland-Tournee für ihn zu organisieren.“ Da sie eh die ganze Zeit in Jazzkneipen rumhing, warum sollte sie nicht einen Job daraus machen? Heute vertritt ihr Label veraBra Leute wie Barbara Thompson, Charlie Mariano, Jasper van’t Hof oder Thorsten de Winkel.

„Viele halten mich für eine Jazz-Frau, aber das bin ich nicht immer gewesen. Gleich nachdem ich diesen Anfang im Jazz gemacht habe, habe ich mich auch mit reinen Pop-Sachen beschäftigt und das auch immer parallel zu den reinen Jazz- und Jazzrock‘ Geschichten getan. Wenn man sich mit Jazz-Leuten beschäftigt, gehört es zum Handwerkszeug, zu wissen, mit welchen Mechanismen die Pop-Branche funktioniert.“

Weil sie das weiß, gelang es Vera Brandes zum Beispiel, den Schweizer Schöntöner Andreas Vollenweider bei uns populär zu machen, obwohl sie mit diesem Ansinnen bei Freunden und Branchenkollegen zunächst allenfalls wohlwollendes Unverständnis erntete. Der Erfolg gab ihr recht, aus Achselzuckern wurden Schulterklopfer, trotzdem geht es ihr mit jeder neuen Idee genauso: Daß ihre Salsa-Festivals in diesem Sommer derartig einschlagen würden, wollte vorher auch keiner glauben.

Aber sie kann es sich leisten, auf ihre „Nase“ zu vertrauen. Vera Brandes muß nicht nur vom Schallplatten-Verkaufen leben, sie besitzt auch noch einen Musikverlag, der unter anderem Bettina Wegeners gesammelte Werke vertritt. Und außerdem ist sie „von zu Hause aus ganz gut versorgt. Ich kann also alles, was ich verdiene, in neue Produktionen stecken. „

Der Grad an Professionalität, mit dem das „Büro Brandes“ zuwerke geht, findet sich im Independent-Bereich nur selten. Die rührige Vera hat zwar keinerlei Bedenken gegen Kooperationen mit der Industrie, kümmert sich aber nach wie vor engagiert um die Stärkung des Independent-Lagers. wobei es ihr besonders um einen möglichst regen Informations-Austausch zwischen den Kleinlabels geht („damit die noch ein bißchen was lernen über das, was sie da tun“). Sie ist auch federführend an einer Resolution beteiligt, mit der verschiedene unabhängige Label (Normal, Eigelstein etc.) unsere öffentlich-rechtlichen Rundfunkstationen an ihren Minderheiten-Auftrag erinnern wollen.

Noch einer hat das unterschrieben. Walter Lindenberg (35) aus Köln. Seiner Ansicht nach befindet sich der Staatsfunk seit dem Auftauchen der Privatradios in heller Panik:

„Aus einer Amokhaltung heraus werden da nicht mehr nur die Top 75 gespielt, sondern maximal die Top 35.“

Independent-Produkte kommen allenfalls in Spezial-Sendungen („Graffiti“ im WDR, „SF-Beat““in Berlin, „Rock-Lok“ und „Zündfunk“ im Bayrischen Rundfunk oder „Musik für junge Leute“ im NDR) auf den Plattenteller.

Dabei will auch Walter mit Fünf-UndVierzig „Singles, Charts, Hits machen“ — und scheitert, weil independent, schon an ersteren. „Der Singles-Markt ist aufgrund seiner Struktur und der Macht des Geldes fest in der Hand der großen Firmen.“ Um eine Single in die Charts zu kriegen, muß man sie nicht nur in immensen Stückzahlen in die Läden stellen, sondern obendrein dafür sorgen, daß sie permanent im Radio gespielt wird und die Band alle zwei Tage im Fernsehen zu bewundern ist. Jeder einzelne dieser Posten kostet schon ein Heidengeld, der Witz an der Sache ist aber, daß alles auf einmal passieren muß, damit wenigstens ein Platz unter den Top 75 rausschaut. Die Großindustrie treibt derartigen Aufwand, ohne mit der Wimper zu zucken — wenn da mal ein paar Hunderttausend in den Sand gesetzt werden, tut das keinem weh. Walter würde Bekanntschaft mit einer der fünf Kugeln in seiner Revolver-Trommel machen.

Dabei ist er mit seinem durch und durch poppigen FünfUndVierzig-Programm gar nicht so weit entfernt von dem. was sich in den Charts tummelt. Ein Formel i-Auftritt seines Zugpferdes Anna Domino hätte ihn allerdings alles in allem 30000 Mark gekostet: mehr als ein Zehntel seines Jahresumsatzes für dreieinhalb Minuten Glotze. Das Risiko war ihm zu hoch.

Die Independents können es sich ebensowenig leisten, unabhängigen Promotern mit besten Beziehungen Tausende von Mark dafür zu zahlen, daß sie ihre Schützlinge bei Biolek oder sonstwo unterbringen, wie sie gewillt sind, den Produzenten von Fernsehsendungen Prozentpunkte von den Tantiemen abzutreten, bloß damit sie gesendet werden. Ihre chronische Geldnot macht die meisten kleinen deutschen Labels „angreifbar,korumpierbar und aufkaufbar, im Gegensatz zur Situation in England, wo der Independent-Markt gefestigter und von wesentlich mehr Geld durchsetzt ist. „

„Das ist überhaupt nichts Illegitimes“, findet Walter. „Vergiß diese ganzen ideologischen Geschichten: Du brauchst ja keinen anzulügen oder dir einen in die Tasche zu tun oder Platten zu machen, die dir nicht gefallen. Du bist aber Bestandteil eines Marktes, und da wird nicht nur Stahl und Seife verkauft, sondern auch Platten, und du verkaufst deine Platten wie der Herr Bertelsmann auch. „

Oder wie der Herr Mikulski in Elbtal-Dorchheim (muß man nicht gesehen haben). Dessen Label zyx records ist zwar sicher nicht im klassischen Sinne „Independent“ — andererseits aber auch nicht groß genug, um überzeugend als „Industrie“ durchzugehen. Bernhard Mikulski ist Kaufmann. Oder besser: Krämer.

Gelernt hat er Industriekaufmann, bei Phillips. Etwa 1957 ließ er sich in die gerade gegründete Schallplatten-Abteilung versetzen und ging in den Außendienst. Damals vertrieb Phillips unter anderem die amerikanische Firma Columbia, die heutige CBS. und als die in Europa eine eigene Organisation aufbauen wollten, war der quirlige, kleine Geschäftsmann aus Berlin sofort zur Stelle und bewarb sich um den Deutschland-Vertrieb. Mit Erfolg, in den 60ern half er die deutsche CBS aufzubauen, war sechs Jahre deren Manager und konnte in dieser Zeit drei satte Hits verbuchen: den „Ya Ya Twist“ von Joey Dee, die Rainbows mit „Balla Balla“ und Bernd Spiers „Das kannst du mir nicht verbieten“. Als die CBS zusehends expandierte, ist Mikulski, der lieber selbständig arbeitet, „ausgestiegen“:

„Das war ja damals groß in Mode“, lacht der heute 57jährige. „Da hatte ich auch meine midlife crisis. “ Lange hielt er das süße Nichtstun allerdings nicht aus. Ende der 60er, Anfang der 70er beteiligte er sich zunächst an einer Plattenladen-Kette, um kurz darauf auch wieder ins Import- und Großhandels-Geschäft einzusteigen. Damals war der Dollar schwach, und Mikulski verdiente sein Geld im Parallel-Import, indem er gängige Titel in so großen Stückzahlen aus Amerika einführte, daß er die einzelne Platte billiger in die Läden bringen konnte als ihre jeweilige Plattenfirma. Mit dem Wiedererstarken des Dollars war dieser Erwerbszweig allerdings ein für alle Mal passe.

Heute hat die Firma Bernhard Mikulski im wesentlichen drei Standbeine: einen Jazz-Katalog mit 800 Platten (überwiegend klassische Ware — Ella Fitzgerald, Oscar Peterson & Co.), den Import bestimmter Platten (hauptsächlich Maxis, „Trendmusik für den Dance-Bereich“) und „unser Flaggschiff‘, das Label zyx records. Auf zyx veröffentlicht Mikulski das, was er mit dem Begriff „Dance and Disco“ (sprich: „Dänzndisko“) umschreibt: schnell und einfach produzierte Tanznummern, die er sich möglichst billig aus allen Ecken der Welt, mit Vorliebe aus Italien zusammenkauft.

„Der arbeitet nach der Methode: Je mehr Scheiße man an die Wand schmeißt, desto größer ist die Chance, daß was klebenbleibt“, kommentiert ein Branchen-Kollege (das hatten wir doch schon mal…). Und da bleibt durchaus was kleben, so was wie die Scotch Disco Band zum Beispiel. Die Pet Shop Boys hatte zyx sogar schon, als sie noch kein Schwein haben wollte —- den Reibach hat dann die EMI gemacht.

Aber dennoch hat sich Bernie janz köstlich amüsiert, sein Kukident-Lächeln ist Katastrophen-resistent. Und weil wir ihm gar so treuherzig in die Augen schauen, erklärt uns Onkel Mikulski auch, wie so ein distinguiert wirkender Herr ausgerechnet auf Stampf-Disco und plumpe Hit-Remakes in abgekupferten Billig-Covers kommen konnte: „Daß ich mich heute so auf Dänzndisko spezialisiert habe, hängt zusammen mit meiner Liebe für die Jazzmusik. In meiner Jugend war das DIE Tanzmusik, aber heute wird Tanzmusik nicht mehr mit Bigbands gemacht, sondern mit Elektronik-Instrumenten und -Geräten. Jazzmusik war damals, was heute Dänzndisko ist, oder Rock …“

Und die Platte ist rund. Der Mann macht einen Jahresumsatz von 25 bis 30 Millionen Mark — und Nummereins-Hits in Hongkong!