Knopflers Kniffe


Das Studio als Folterkammer. So jedenfalls sieht es DAVID KNOPFLER. Wie man sich mit impertinenten Produzenten und Toningenieuren herumschlägt, wie man sich mit mysteriösen Maschinen anfreundet, beschreibt er in folgendem Artikel.

Es war also wieder einmal so weit. Eine neue, gottverdammte LP stand auf dem Programm — und ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wo ich anfangen sollte. Ich mußte also mein Gehirn wieder auf jenes spezielle Aktivitäts-Level hieven, auf dem der Zustand meiner Psyche eher einer Psychose ähnelte, um die kreativen Schleusen zu öffnen.

Drei Tage später steckte ich bis zur Hüfte in bekritzelten Papierknäueln mit Songtexten, Cassetten mit Musikfragmenten, zerknüllten Plastik-Kaffeebechern, vermodernden Junk-Food-Resten und anderen Anzeichen eines ungesunden Lebensstils.

Zunächst zu den Songs. An dieser Stelle sollte ich vielleicht erklären, daß Songschreiben für mich nicht zu den klar umrissenen und rational erklärbaren Tätigkeiten gehört, wie beispielsweise der Bau eines Hauses. Wenn ich nämlich einen Song schreibe — und ich schreibe, seitdem ich als zartes Knäblein einen Stift zwischen den Fingerchen halten konnte, dann setze ich mich nicht zielstrebig hin und überlege, ob dies oder das vielleicht ein gutes Thema für einen Song hergibt. Wie ich auch von anderer kompetenter Seite immer höre, funktioniert das so nicht.

Wenn ich einen Song schreiben will, dann denke ich so lange wie möglich an rein gar nix — im Unterschied zu einem Text wie diesem hier. Und jetzt wird mir auch klar, warum ich lieber Songs schreibe — und keine Artikel über die Art und Weise, wie ich Songs schreibe. Denn offen gesagt, ich kann’s nicht erklären! Du kennst diesen Effekt vielleicht auch: Wenn du eine Sprache lernst, nimmst du Wissen in dich auf, das auf irgendeine Gelegenheit zur Anwendung wartet. Wenn du es bewußt anwenden willst, klappt es nicht. Wenn du aber überhaupt nicht bewußt daran denkst, dann entdeckst du plötzlich, daß du doch irgendwie daran gedacht hast — nämlich in dem Moment, in dem du deine unbewußten Gedanken erst einmal aufgeschrieben oder — um im Bild zu bleiben — ausgesprochen hast.

Kann man mir noch folgen? Nur Mut: Am besten liest du einfach den nächsten Absatz, der rundherum weniger metaphysisch ausfällt und dafür vor schierem Überlebenswillen birst.

Nun gut, im nächsten Stadium des Schöpfungsprozesses haben wir also die Songs mehr oder weniger parat — in meinem Fall eher weniger, aber daraus ziehe ich zweifelsohne Vorteile. Denn ohne Song ist jede LP ein potentielles Meisterstück — das beste, das es je auf Vinyl gab. Unsere Freunde, die Architekten, signalisieren jetzt sicher schon ihre Zustimmung, wenn sie sich die 12 Luftschlösser und Traumhäuser vorstellen, die sie auf diesem perfekten leeren Stück Band, pardon: Land, errichten werden. Und die dann doch nur als Kompromiß entstehen: Auf mich jedenfalls wirken die fertigen Songs im Vergleich mit den Ideen, die vor der Verwirklichung existieren, meist wie ein scheußliches Hochhaus ohne Fenster und mit Lifts, die nie funktionieren und als öffentliche Pissoirs herhalten müssen.

In dem Augenblick jedenfalls, in dem die Arbeit an einer Platte beginnt, fangen auch die Kompromisse an, die der arme Künstler mit seiner Umwelt schließen muß. Wie diese Kompromisse aussehen? Am besten erzähle ich einfach mal einige der Phrasen, die ich bei Aufnahme-Sessions immer wieder höre, und, Gott sei mein Zeuge, jedes Zitat ist wahr.

„Was ist denn mit dem Sound passiert?“ heißt im Klartext: „Warum hast du meine Abmachung versaut ?“

„Ich hab‘ doch überhaupt nichts angerührt.“ Diese Antwort soll lediglich verschleiern, daß der Toningenieur sinn- und ziellos mit seinen Knöpfchen gespielt hat, dabei kurzfristig die Übersicht verlor und jetzt darauf wartet, daß sein Gehirn wieder vom Ausflug mit dem automatischen Blindflug-Piloten zurückkommt.

„Das wird nicht lange dauern.“ Ein besonders schöner Spruch, den normalerweise das wird uns unterm Strich Zeil sparen“ ergänzt. Beide Phrasen gehören zum beliebten Studio-Repertoire und bedeuten, daß dich jemand zur Verzweiflung treiben wird, indem er Stunden um Stunden verplempert, die du mit deinem Geld und mit deiner Geduld bezahlst, nur um eine seiner trügerischen Ideen in die Tat umzusetzen.

Sobald jemand mit solchen Sprüchen loslegt, bricht ein erfahrener Produzent die Aufnahme-Session ab und schickt alle Beteiligten ins Bett. Denn er weiß, daß andernfalls eine jener gefürchteten 18-Stunden-Sitzungen folgt, deren Ergebnisse sowieso alle auf den Müll wandern — es sei denn, EMI oder ein anderer Monolith der Großindustrie picken sich die Bandschnipsel doch noch aus dem Abfall heraus, um sie zu vermarkten.

Mehr Kostproben gefällig? Bitte sehr:

„Nur noch ein Versuch“ — das bedeutet, du wirst noch mindestens 30 Takes aufnehmen, bevor die Bastarde am Mischpult zufrieden sind.

„Laß uns noch einmal durchchekken, ob alles stimmt“ — ditto.

„Mir schien jetzt alles in Ordnung“ — übertragen: „Soll doch ein anderer diesem nutzlosen Typen klarmachen, daß er noch mal von vorne anfangen muß. „

„Wir werden’s bei der Abmachung ausfeilen. “ Was natürlich heißt: „Wir versuchen es in der Abmischung auszufeilen, und dann stellen wir natürlich fest, daß das nicht geht. Bloß ist dann eh alles zu spät.“

Noch ein paar Codes, die gut zusammenpassen und in dieser Reihenfolge immer wieder auftauchen:

„Das klingt gut.“ „Laß es uns noch mal hören.“ „Laß es uns noch mal ganz genau abhören.“ „Laß es uns noch einmal aufnehmen. „

„Aber hört euch doch bitte noch mal mein Demoband an.“ Der Künstler weist zaghaft darauf hin, daß sein Demo eigentlich besser klingt als die Aufnahme. Jeder hört ihm natürlich höflich zu und versucht derweil, ein Gähnen zu unterdrücken. Denn jeder ist sich sicher: Die neue Version ist ja doch viel,

viel besser.

Ganze Kapitel ließen sich alleine über Kopfhörer schreiben. „Versucht mal mit diesen hier. Die sind nämlich angeschlossen. “ Diesen Vorschlag macht man einem verärgerten Gitarristen, der sich nicht über Kopfhörer hören kann.

„Wurdet ihr mich bitte lauter in die Kopflwrer geben?“ „Welches Knistern bitte? Ich hab‘ doch überhaupt nichts angefaßt.“ „Diese verdammte Gitarre ist falsch in Moll gestimmt.“ „Ich bin richtig gestimmt — die anderen spielen nur alle in Dur, statt in Moll.“

„Um Gottes willen, das war ein Mißverständnis. Ich dachte, du hättest gesagt, ich sollte das löschen, nicht mischen“, stottert ein armer Toningenieur, dessen Pensionsberechtigung sich soeben in blauen Dunst aufgelöst hat.

„Also los jetzt, ziehen wir’s durch!“ Will sagen: Jeder ist müde und hat die Schnauze voll, und diesen erbärmlichen Song kann sowieso keiner mehr hören. Oft setzt an dieser Stelle der Chor der Leidenden ein — mit Antworten wie „Ich fühl‘ mich krank“ oder „Ich brauch‘ Drogen …“

Und weiter geht’s: „Ich hab‘ schon eine Menge Sessions in meiner Laufbahn gefahren, aber sowas ist mir noch nicht passiert. “ Keine Sorge: Wer das sagt, ist normalerweise schon ziemlich abgerückt und läßt diesen Spruch bei jeder unpassenden Gelegenheit vom Stapel.

„Wie bitte? Du willst doch nicht etwa andeuten, daß du ausgerechnet diese göttliche Version nicht mitgeschnitten hast?“ — ein gebrochener, wehleidiger und verzweifelter Künstler schwört in einer solchen Situation, er hätte ein Genie sein können, wenn nicht dieser böswillige Tonmeister ausgerechnet sein einziges wahres und künstlerisch wertvolles Statement gelöscht hätte.

„Ich sagte, nimm mich am Ende dieses Chorus rein — am Ende, nicht mittendrin! Ach, ist ja auch egal. So ein Mist aber auch!“ Wahrscheinlich hat der Tonmeister wieder die ganze Nacht lang an seinem eigenen, noch unentdeckten Meisterwerk gearbeitet und nimmt deshalb tagsüber irgendwelche ausschweifenden Drogen, um sein Tagwerk mit der Konzentration eines Schlafwandlers über die Bühne zu bringen — für 150 Pfund pro Session-Stunde.

„Midi? Scheiß-Schrott!‘ Dieser Fluch — zusammen mit „SSL — Scheiß-Schrott!“ — bekommt neuerdings in gewissen Kreisen mächtig Auftrieb. Ich gestehe, daß ich mehr Sympathie fürs zweite Statement hege. Midi bedeutet „Musical Instrument Digital Interface“ — sinngemäß heißt das, daß viele verschiedene Sounds per Computer gespeichert und über ein einziges Keyboard gespielt werden. Midi kommt vor allem dann stark zur Geltung, wenn man einen Instant-Orchestersound und einen 40-Minuten-Quickie-Mix möchte.

Ich empfehle Midi trotz seiner Annehmlichkeiten nicht als Lebensstil. „Der würde am liebsten noch seinen Arsch mit Midi speichern.“

Diesen Satz hörte ich einen verstimmten alten Traditions-Rocker angesichts eines besonders midi-besessenen Tonmeisters und Produzenten murmeln.

Nur große Plattenfirmen mit schlechtem Management (wie beispielsweise die britische EMI) können es sich leisten, ihr Geld mit SSL durch den Schornstein zu jagen. SSL heißt Solid State Logic und ist ein beschönigender Ausdruck für ein sehr, sehr teures und arbeitsintensives, aber dafür langsames Studiosystem mit tausenderlei technischen Raffinessen — du arbeitest mehr als drei Stunden an einer Abmischung, und du vermurkst alles. Glaubt mir — ihr sprecht schließlich mit einem Mann, der schon einige Abmischungen hinter sich hat, die sogar drei Tage dauerten. Denn wenn es ums Vermasseln geht, bin ich strikter Empiriker.

Um so mehr schätze ich im Prinzip die Digitaltechnik. Denn sogar bei der Arbeit mit einer edlen Bandmaschine wie der Studer A 800 überrascht es mich mittlerweile immer wieder, wie schnell man Qualität verliert, wenn man mit analogem Bandmaterial arbeitet. Verglichen mit einer Digitalaufnahme ist das analoge System eben doch eine nette alte Dampflokomotive, an die man sich zwar in liebevoller Zuneigung erinnert, die aber für die modernen Zeiten viel zu geräuschvoll und viel zu dreckig ist und viel zuviel harte Arbeit erfordert. Analoge Aufnahmen ergeben nur dann noch einen Sinn, wenn man ganz genau weiß, was man aufnehmen will und das dann sofort und in solider Handarbeit abmischt.

Am meisten Spaß macht mir derzeit übrigens der Soundtrack zu „Jakob hinter der blauen Tur“, einem Kinospielfilm, an dem ich noch arbeite. Ich habe ihn mit einem Fairlight Three, einem überteuerten 16-Bit-Musikcomputer voller übler Kobolde aufgenommen und mit dem EMU II, einem einfach und schnell zu bedienenden elektronischen Musikerzeuger, sofern man die vielen tausend Kontrollknöpfchen und Einstellungsmöglichkeiten beherrscht. Die Musik transferierte ich auf Analogband — eine billige, aber erfreuliche Methode. Das ganze kostete nur 12.000 Pfund im Vergleich zu den 225.ÜOO Pfund fürs SSL-System und trotzdem klingt es für meine Begriffe weitaus besser. Die Abmischung erfolgte dann vom Analogband auf den digitalen 16-Bit-Recorder F1 von Sony, den Lebensretter für jedes billige Studio.

Aber glaubt bloß nicht jene weit verbreiteten Lügengeschichten, nach denen eine digitale Aufnahme nicht den Klang färbt! Wenn man Sinuswellen in digitale Computer-Codes zerhäckselt, mag sich das Gehirn davon verwirren lassen — aber das Herz läßt sich nicht immer so leicht überzeugen und hört Unterschiede. Wenn meine Ohren den Sound des Halb-Inch-Analog-Mixes besser finden als den vom digitalen Fl, dann nehme ich eben die analoge Abmischung. Mein neues Album beispielsweise ist eine Mixtur aus analogem und digitalem Mastering, wobei alle Komponenten schließlich auf digitalem U-matic-Band gespeichert wurden.

„Tu’s doch einfach!“ schreit ein verzweifelter Produzent. Und die Session geht weiter.

„Ich weiß zwar nicht recht, was du eigentlich meinst, aber mag schon sein, daß du recht hast.“

„Ich sagte, wenn sich etwas nicht lohnt, es zu tun, dann ist es auch nicht wert, daß man es richtig tut.“

„Wie wär’s denn mit Vari-Speed?“

„Hundescheiße mit Schokoladenüberzug. „

Einige Ex-Freunde und mehrere Monate später ist das Werk endlich vollbracht. 75.000 Pfund habe ich verpulvert, mein Gehirn ist ausgedörrt, und jeder klopft mir kumpelhaft auf die Schulter und versichert mir, dieses Album wird ein Smash-Hit. Sogar meinem Pressebetreuer fallen jene Stellen in der Gesangsspur auf, wo sich die raffinierten elektronischen Tore öffnen — eine Verirrung meinerseits, die mich weitere zwei Riesen kostete, bis ich alles digital gemastert hatte. Und dabei denke ich mir insgeheim doch, das alles hätte klanglich auch sehr viel schlechter ausfallen können. Vor allem wenn man die Umstände der Entstehung bedenkt. Und ist es nicht ganz besonders überraschend, wie gut gerade diese eine Gesangsstelle rüberkommt? Und so weiter.

Ruhe? Schlaf? Entspannung? Keine Chance, mein Freund. Jetzt geht’s weiter: mit dem Artwork fürs Cover, mit Deals und Verträgen, Besuchen und Besprechungen bei Plattenfirmen, mit der Planung einer Tournee und Film-Deadlines fürs parallel laufende Soundtrack-Projekt, mit Termindruck vom Musikverlag, mit einer ersten Single, einer Maxi-Single, Neuabmischungen …

„Hallo, mein Sohn!“ Er ist jetzt fast ein Jahr alt. Meine Frau war noch schwanger, als ich diese verfluchte Platte in Angriff nahm. Meine Güte, ist der Kleine in diesem Jahr gewachsen.

Ich liebe meinen Job. Aber frag mich bloß nicht, warum.