Kraan – Vitaminspritze Für Wintrup


Ein Wiederhören und Wiedersehen mit Kraan gibt es jetzt im März. Das "Wiederhören" in Form der sechsten LP mit gleichlautendem Titel; das Wiedersehen spielt sich im Verlauf einer ausgedehnten Frühjahrstour ab. Gerüchte, die Gruppe sei kaputt, sind damit also wieder einmal aus der Welt geschafft.

Stagnation hat es bei Kraan natürlich immer mal gegeben. Wenn man wie Hellmut Hattler, Jan Friede und Peter Wolbrand seit sechs Jahren auf relativ engem Raum zusammenlebt, kennt man sich natürlich in- und auswendig. Und auch wenn auf Gut Wintrup – dort lebt die Band – der Kollektivgedanke immer oberstes Gesetz für das Zusammenleben gewesen ist (es gibt keine deutsche Rocktruppe, die wie Kraan ohne größere Umbesetzungen so lange zusammenwohnt), so schleichen sich doch hin und wieder negative Begleiterscheinungen ins Gutshaus ein.

Rollenspiel

„Rollenverhalten ist im Moment das bei Kraan am meisten strapazierte Wort. Da jeder jeden kennen und einschätzen gelernt hat, ist das Abdrängen in bestimmte Rollen nur eine logische Folge, die sich durch das gemeinsame Wohn- und Arbeitskollektiv besonders auswirkt. So würde Hellmut ganz gerne auch einmal „einen trällern“, mag aber Peter, dem Sänger, nicht in den Rücken fallen. Und Alto Pappert ist an seiner Rolle als Solist gescheitert. Er war lange Zeit ein stilprägender Faktor innerhalb der Gruppe. Nur hat er sich nicht weiterentwickelt. Das Kollektiv hat sich den Entschluß, seinen Saxophonisten zu entlassen, nicht leicht gemacht.

Ingo Bischoff ist zum Glück zu Kraan zurückgekehrt. Der Tastenmagier aus Berlin hatte sich vor geraumer Zeit wegen persönlicher Schwierigkeiten abgesetzt; jetzt wirkt er auf Kraan wie eine Vitaminspritze. Das bedeutet aber gleichzeitig, daß ein erneuter Absprung Kraan in ernste Schwierigkeiten bringen würde. Aber an so etwas will im Moment niemand denken. Zumal derzeit der Wechsel zum großen Plattenkonzern EMI die Arbeit zusätzlich beflügelt.

Das neue Album „Wiederhören“ klingt über weite Strecken jazziger (besonders die Gitarre) als „Andy Nogger“, die PopPlatte; „Let It Out wirkt auf mich allerdings athmosphärisch dichter und ausgereifter. Hellmut und Peter, die in erster Linie für das Kraan-Repertoire verantwortlich sind, haben sich im Laufe der Jahre verändert: War früher Hellmut der „dogmatische Höhenflügler“, so ist es heute Peter, der zwischen Hendrix und Coryell hin und her pendelt und kaum noch in der Lage scheint, langsame Soli zu fabrizieren. Wenn man erst einmal eine bestimmte Güteklasse erreicht hat, fällt es offenbar schwer, mitunter auch mal coole Läufe zu spielen.

Überhaupt kommt es mir manchmal so vor, als hätte die enorme technische Versiertheit und das live so geschätzte kompakte Spiel das eigentliche Herz der Gruppe erst einmal auf Eis gelegt. Da ist Jan, dessen Fußarbeit – früher euphorisch gefeiert – mittlerweile doch ziemlich erstarrt und kaum noch variabel genug scheint, unterschiedliche Stilelemente aufzunehmen. Hellmut zieht seinen „Gitarrenbass“ weiterhin so eigensinnig und selbstbewußt durch wie eh und je. Nur Ingo scheint noch nicht von der Technik überrannt zu sein.

Soloprojekte

Derzeit sind einige Projekte außerhalb des streng abgesteckten Kraan-Territoriums im Gespräch. Bei Hellmut hat sich in den vergangenen Monaten eine Anzahl von Titeln angesammelt, die nicht so recht ins Kraan-Konzept passen. Die will er nun im Anschluß an die März-Tournee endlich zu einem Solo-Album umfunktionieren, vermutlich ohne die Mithilfe von Kraan-Kollegen. Und Jan Friede, der seit jeher auf freie, improvisierte Musik steht, hat ebenfalls etwas in petto. Nun ja: Lenkt euch nur richtig ab, Leute. Wer Auslauf hat, bricht keinen Streit vom Zaun; desto höher steigen die Chancen, daß ihr noch ein paar Jährchen zusammenbleibt.