Krähen im Aufwind
Seit eineinhalb Jahren ist das Debüt-Album der Black Crowes in den US-Charts. Niemand weiß so recht, warum.
Manche haben halt Glück.
Nur vermag der Ausdruck Gluck kaum zu erklären, warum eine Band mit ihrer ersten Platte Doppelplatin erreicht, ohne eine Single in den Top 40 zu haben, ohne irgendwelche kommerziellen Kriterien zu erfüllen und ohne zufällig in ein Revival zu stoßen.
Die Black Crowes haben die US-Album-Charts durcheinandergewirbelt. Momentan stehen sie mit ihrer LP „Shake Your Money Maker“ zwischen Mariah Carey und Michael Bolton. Sie behaupten sich mit einem Sound, der so offensichtlich an ,,Sticky Fingers“ und „Exile On Main Street“ erinnert, daß man meinen könnte, die schwarzen Krähen seien die Sieger eines Rolling Stones-Double-Wettbewerbs. „Die Stones haben Chuck Berry und Muddy Waters für sich entdeckt und in ihren Stil integriert, und wir machen das gleiche“, sagt Sänger und Crowes-Kopf Chris Robinson. „Wir sind eine Band, die traditionelle Musik auf untraditionelle Weise spielt. Wir machen Country, Blues und R&B, wir machen ethnische Musik. „
Chris Robinson wurde 1967 in Atlanta geboren. Drei Jahre später kam sein Bruder, Gitarrist Rieh zur Welt. Im Sommer 1984 bestritten die beiden ihren ersten Gig als „Mr. Crowes Garden“ in einer Bar in Chattanooga, Tennessee. Den Bandnamen entliehen sie einem Märchen. „Wir kommen aus einer musikalischen Familie“, sagt Rieh. „Stan, unser Vater, hatte 1959 einen Hit mit ,Boom-a-Dip-Dip‘ und tourte in den frühen Sechzigern mit Phil Ochs. Unsere Eltern hatten einen sehr breiten Geschmack: Von Joe Cocker über Sly Stone bis zum Modern Jazz Quartett bekamen wir alles mögliche zu Ohren.“
Als Vorbilder nennen die Brüder Gram Persons, Steve Marriott, Alex Chilton und Aerosmith.
Bei soviel Einflüssen ist es kein Wunder, daß die Black Crowes auch noch Otis Redding im Repertoire haben. Sein Song „Hard To Handle“ war die erste Auskopplung. Die zweite Single, „She Talks To Angels“, entwickelte sich zum passablen Hit, die Band war Dauergast in MTV und tourte 14 Monate durch die Staaten. Das Resultat: Von ihrem Album wurden an einem einzigen Tag 108000 Kopien verkauft.
„Ich wollte immer, daß die Leute meine Songs hören. Dieser Gedanke war die Energie, der Kraftstoff“, sagt Chris. „Ich mußte gegen die ganze Welt ankämpfen. Nun bin ich an einem Punkt, an dem ich nicht mehr so viel kämpfen muß. Ich sehe mehr vom Horizont.“ Und der durfte nicht nur durch die verkauften Stückzahlen und eine Grammy-Nominierung stark erweitert sein. Die Kritiker und die Fans sind des Lobes voll. „Die beste neue amerikanische Band“, schwärmen Leser und Rezensenten des Rolling Stone gleichermaßen. USA Today war begeistert vom „unverfälschten Rock ’n‘ Roll“, und das britische Magazin Q sprach sie im positiven Sinne „schuldig, die zerfetzte Fahne des Rock-Idealismus zu hissen“. Jede Menge Pathos, doch was steckt wirklich dahinter?
Die Black Crowes verbinden staubigen Southern Rock mit englischer Hippie-Nonchalance und großstädtischem Blues. Das tun zwar tausend andere Bands auch, aber wie gesagt: Ein bißchen Glück gehört dazu. Chris Robinson gebärdet sich wie Steven Tyler, doch den gibt’s ja leider schon. Singen tut er wie Chris Robinson, und das ist Pluspunkt Nummer Eins. Den Gitarristen Rieh Robinson und Jeff Cease dürfte Keith Richards kein Unbekannter sein. Solides Handwerk — unerläßlich für guten Rock ’n‘ Roll — Pluspunkt Nummer Zwei. Drummer Steve Gorman spielt — glücklicherweise ganz im Gegensatz zu Charlie Watts — kraftvoll und geradeaus, und Bassist Johnny Colt gleitet so verhalten über sein Instrument, daß die Saiten gerade mal in Schwingung bleiben — Pluspunkt Nummer Drei.
Natürlich hatten die Crowes auch bereits sehr imagefördernde Schlagzeilen. So flogen sie beispielsweise als Opener für ZZ Top nach zwei Wochen aus der Tournee, weil sie sich öffentlich von deren Sponsor (Miller Lite) distanzierten. Und Chris Robinson soll vor einiger Zeit an Gelbsucht erkrankt sein, auch Hepatitis genannt, gerüchteweise ausgelöst durch … aber lassen wir das.
Ende August starten die Krähen eine knapp dreiwöchige Tour durch Deutschland. Da hat dann jeder Gelegenheit, sich selbst von Chris Robinsons Worten zu überzeugen: „Wir sind nur ein bißchen erdiger und spielen alles etwas langsamer „