Kriegsbeil Begraben


Genervt und gereizt schickten sich BAP Ende 1986 selbst in die Ferien, vor allem Wolfgang und Major hatten sich nichts mehr zu sagen. Nach fast zwei Jahren Zwangspause spielten die Kölner nun ihr achtes Album DA CAPO ein. Matthias Immel ging für ME/Sounds dem neuen Gruppen-Geist auf die Spur.

Wir sind eben doch noch die Nummer Eins in Deutschland“, sagt Wolfgang Niedecken fast beiläufig, während wir uns im Taxi durch die engen, bunt geschmückten Touristen-Gäßchen Brüssels quälen. Er sagt das nicht im Tonfall eines Musikers, der bemüht ist, seinen Marktwert zu demonstrieren. Er sagt das gelassen, selbstbewußt.

Das war nicht immer so, wenn Niedecken über BAP sprach. Der Grund für das neue Selbstbewußtsein liegt einige hundert Meter Luftlinie entfernt: die ICP-Recording-Studios im Hintergebäude der Avenue Emil de Beco 6.

Dort werden gerade die Tracks für das achte BAP-Album DA CAPO abgemischt. „Brüssel bot sich aus mehreren Gründen an“, erklärt Wolfgang. “ Wir wollten in eine für uns unbekannte, relativ exotische Gegend, um bei der Arbeit neue Eindrücke sammeln zu können. Aber wir wollten auch die Möglichkeit haben, zwischendurch öfters mal nach Hause zu fahren. Brüssel ist nur zwei Autostunden von Köln entfernt, die Stadt ist sehr reizvoll und das Studio gehört zu den modernsten in Europa. Von Cure, den Stranglers bis hin zu Mory Kante haben hier schon viele namhafte Künstler aufgenommen. Und —- was am wichtigsten war: Wir können hier direkt neben dem Studio in einem schönen Haus zusammen wohnen. So richtig wie eine große Familie. Das ist ein tolles Back-to-the-roots-Feeling.“

Das Stichwort Neuanfang fällt häufig in Brüssel. Nicht nur bei Wolfgang. Auch Major, Schmal, Effendi, Stefan und Fonz führen es öfters im Munde. DA CAPO ist für sie nicht einfach das neue BAP-Album nach 30 Monaten Pause. Es ist auch der neue Start nach der ersten großen Krise in der Band.

Da gab es erst den großen Stunk um Wolfgangs Texte bei der AHL MÄNNER-LP, dann den Zwist und die Cliquen-Bildung im Münchener Studio, die zum Ausscheiden von Drummer Jan Dix führte. Schließlich — auch aus viel Trotz heraus -— das Solo-Album von Woifgang mit den Songs, die ihm bei AHL MÄNNER abgelehnt wurden -— und letztendlich den einjährigen Amerika-Aufenthalt von Major als Assistent von Produzent Mack.

Es herrschte die totale Funkstille in der Firma BAP. Wolfgangs Solo-Album (mit den Komplizen) wurde ein großer Erfolg. Und Major? „Wenn ich dabeigewesen wäre, hätte vieles auf der Platte sehr viel anders geklungen“, gab er vor Monaten zu Niedeckens LP-Alleingang zu Protokoll.

Und dennoch fand die Band wieder zusammen, ist wahrscheinlich 1988 gefestigter denn je. BAP’s Band-Chemie ist eben doch etwas besonderes. Sie besteht nicht aus dem Klischee von den sieben Kumpels, die unzertrennlich sind, alles gemeinsam machen und in der Musik aufgehen. Es handelt sich vielmehr um sieben erwachsene Musiker, die für sich die Fronten nach langjährigen, teilweise schmerzhaften Erfahrungen gegenseitig abgeklärt haben. Die inzwischen bestehende Meinungsverschiedenheiten offen austragen, sich trotzdem menschlich gut ergänzen und eine neue Vertrauens-Basis nach außen dokumentieren, die alte BAP-Fans bei der Stange halten soll.

Zum neuen Gemeinschaftsgefühl der BAP’s trägt wesentlich der neue Drummer Jürgen Zöller (früher bei Wolf Maahns „Deserteuren“ und Produzent der Rodgau Monotones) bei. „Der Jürgen ist sofort von allen Band-Mitgliedern begeistert aufgenommen worden und hat so auch unbewußt einiges gekittet“, ist Wolfgang vom neuen Rhythmus-Rückgrat der Band angetan.

Und wie hat BAP inzwischen den ersten großen Krach verarbeitet? Wolfgang: Es ist doch völlig normal, daß man nach so vielen Jahren mal aneinandergerät. Natürlich ist das jedem in der Band an die Nieren gegangen. Ich war auch total geknickt, als man damals an meinen Texten rummeckerte und war auch total unzufrieden, wie die Arbeit im Studio bei AHL MÄNNER ablief. Es ist wichtig, daß wir diese Erfahrungen gemacht haben, denn sonst hätten wir das neue Album-Projekt nicht so durchziehen können.

Im Nachhinein bin ich auch glücklich darüber, daß wir nach der ’86er-Tournee eine längere Pause gemacht haben. Dadurch konnte ich mein Komplizen-Projekt durchziehen, was für mich enorm wichtig war. BAP hatte sich nach sieben Jahren total festgefahren, da lief fast alles nach eingefahrenen Mustern ab. Davon mußte sich, glaub ich, jeder in der Band mal befreien.

Mir hat die Komplizen-Sache viel von meiner Spontaneität wiedergegeben. Es war toll, nach Mocambique zu fahren mit ein paar Freunden, die man kurz vorher zusammengetrommelt hat, um dort ein paar Konzerte zu spielen ohne vorher groß zu proben und zu planen.

Und beim Major war das ähnlich. Der hat sich einen Traum damit erfüllt, mal in Amerika zu arbeiten, hat neue Impressionen gesammelt, noch einmal in Ruhe über BAP nachgedacht und ist dann mit neuen Songs zurückgekommen. Wir haben uns dann zusammengesetzt, und das alte Feuer war plötzlich wieder da.“

Das war im Herbst letzten Jahres. Und erstmals hatte Major die komplette Musik bereits komponiert, bevor Wolfgang einen Text geschrieben hatte. Der konnte sich in aller Ruhe in sein neu eingerichtetes Atelier zurückziehen und an den Song-Texten arbeiten. „Ich habe selten so produktiv gearbeitet. Es war sehr hilfreich, daß Majors Musikentwürfe auch immer schon eine Gesangsmelodie enthielten“, sagt er heute. Wir sind mittlerweile auf dem pompösen Rathausplatz der belgischen Metropole angelangt. Als Wolfgang dann erzählt, wie begeistert die Band seine Textentwürfe für DA CAPO aufgenommen hat, blüht er richtig auf: „Dat däät joot“.

Im März und April diesen Jahres spielte die Band das neue Songmaterial im Proberaum rauf und runter und ging erst, als man die Songs total intus hatte, ins Studio. „Das ist eine Konsequenz aus den Erfahrungen der vorherigen Produktionen. Wir waren uns einig, daß die Songs besser, organischer und schneller einzuspielen sind, wenn wir sie vorher wochenlang einproben, so als ob wir mit ihnen auf Tour gehen wollten. „

Die Methode war genau richtig. Die relaxte Atmosphäre, in der DA CAPO aufgenommen ist, überträgt sich auch auf die Songs. Das Material ist wesentlich durchdachter, ausgeruhter -— eben organischer.

Szenenwechsel. Direkt neben den ICP-Studios hat Mike, ein Exil-Amerikaner mit Football-Profi-Figur, seinen „Rock-Palace“, in dem sich der gesamte BAP-Troß nach der Studio-Arbeit regelmäßig versammelt. Klaus „Major“ Heuser sitzt mit gedankenversunkenem Blick an der Theke. „Stundenlange Abmischerei ist schon verdammt nervend. Man läuft immer Gefahr, den Überblick zu verlieren“, sagt er lapidar.

Nach ein paar Minuten wird er gesprächiger. „Ich bin mit der Produktion hier sehr zufrieden. Vor allem aber bin ich vom Wolfgang überrascht. Der hat sich total in die Produktion reingekniet und gesanglich alles probiert, hat Sachen versucht, die er früher nie gewagt hätte. Ich bin mit keinem hier so gut ausgekommen wie mit dem Wolfgang.“

Major stockt einen Augenblick und wiederholt betont: „Wolfgang und ich sind hier in Brüssel total gut miteinander ausgekommen.“

Man spürt, daß dies ernst gemeint ist und keinesfalls krampfhaft Harmonie nach außen verkauft werden soll. Wie hat sich denn Majors Amerika-Aufenthalt auf den neuen BAP-Sound ausgewirkt?

Er lächelt. „Das war ganz seltsam. Natürlich war diese Zeit für meine Klang-Vorstellungen sehr prägend. Ich find zum Beispiel Bon Jovi total gut und wollte mal einen Song in dieser Richtung schreiben. Also setz ich mich hin und schreibe den Song und wenn wir ihn dann ein paar mal gespielt haben, klingt er doch wieder wie eine typische BAP-Nummer.“

BAP sind sich nicht nur musikalisch treu geblieben. Niedeckens Texte sind von erwartet kritischer Qualität, gerade auch weil er sich vor keinem noch so unangenehmen Thema drückt. „Flüchtig“ etwa ist ein Nachruf auf Pete King, der bei der ’86er Tournee bei BAP hinter den Trommeln saß und im letzten Sommer an Hoden-Krebs starb. Im Text heißt es:“Beim Marathonlauf wurde noch nie sehr viel geredet, so auch bei uns, es wird eben gelaufen. Mehr will man dann nicht, funktionieren ist angesagt, als halle man Flüchtiges zu verkaufen. Flüchtige Hotelbars, flüchtigen Small Talk, eine Menge Auftritte, das ist schon alles, was mir einfällt, dabei war mehr drin -— typisch -— denn das sag ich jetzt, wo mir etwas bei der Addition fehlt.“

Zeilen, die unter die Haut gehen, weil hier einer mit sich selbst abrechnet, einfach, aber doch sensibel über zwischenmenschliche Beziehungsprobleme schreibt. „Für mich war das genau die passende Form, um den Tod von Pete aufzuarbeiten“, erzählt Wolfgang. „Ich kann nicht meine Selbstzweifel unter den Teppich kehren und den lustigen Performer markieren. „

Auch sonst hat der BAP-Frontmann wieder Zeilen über die jüngere Vergangenheit zu Papier gebracht. Über die China-Tour, Nicaragua, über seine Heimatstadt Köln und die Modernisierung der Südstadt.

Zudem haben die BAP’s eine Cover-Version des Dave Davies-Klassikers „Death Of A Clown“ eingespielt. Bei „Deckel vom Clown“ spielt Wolfgang übrigens erstmals bei einer BAP-LP ein Gitarrensolo selbst.

Während Major, Effendi und Fonz noch mit dem Abmischen von DA CAPO beschäftigt sind, denkt Wolfgang im Billardraum des Studios schon über die kommende Tour nach. „Ich freu‘ mich total darauf, das neue Material live zu spielen. Wir werden diesmal ohne Gastmusiker auftreten. Wir haben lange gebraucht, um zu merken, daß man eine Band nicht einfach vergrößern kann, wenn man sie verbessern will. Wir haben durch die lange Pause und durch die verschiedensten Erfahrungen der Einzelnen einen Schritt nach vorne getan.“