Kultivierte Wölfe
Diese fünf Herren wissen, was sie tun. Bevor Los Lobos richtig loslegten, beschäftigten sich die Kalifornier erstmal ausgiebig mit amerikanisch/ mexikanischer Musikgeschichte und übten bis zum Umfallen auf traditionellen Instrumenten. Heute sind Los Lobos längst über den Status einer leicht verschrobenen Kult-Band hinaus. Mit ihrer wilden Mixtur aus TexMex-, Country-, Rock 'n' Roll- und Chicano-Klängen stehen die fünf Schwergewichtler für ein neues Rock-Bewußtsein: back to the roots — aber bitte nicht pur! Ein klarer Fall für Me/ Sounds-Stilforscher Steve "Sherlock" Lake.
Sie stammen aus East Los Angeles, jenem mexikanisch/amerikanischen Ghetto, das nur zehn Autominuten von der Glimmerstadt Hollywood entfernt ist. Die Sänger/Gitarristen Cesar Rosas und David Hidalgo, Bassist Conrad Lorenzo und Schlagzeuger Louie Perez spielen schon seit 13 Jahren zusammen. Alle sind stämmig, faßbäuchig und sehen schwer nach Hausmannskost aus. Das fünfte Bandmitglied ist relativ neu: Den Saxophonisten Steve Berlin haben sie vor vier Jahren bei der kalifornischen R&B Punk-Gruppe The Blasters abgeworben.
Selbst für den zufälligen Hörer klingt die Lobos-Musik irgendwie authentisch. Sie trägt den Stempel „echt“, auch wenn man sie eigentlich nicht als „roots music“ bezeichnen kann. Denn ursprünglich beschäftigten sie sich mit mexikanischer Norteno-Musik in etwa so ernsthaft wie beispielsweise die Pogues mit den irischen roots.
Tatsächlich haben Los Lobos als Rockgruppe angefangen — und sind dann ein paar Schritte zurück gegangen, um vorwärts zu kommen. Sie wollten etwas über die Geschichte der Instrumente erfahren, die sie bei mexikanischen Trödlern gefunden hatten, also brachten sie sich selber bei. wie man requinto jarocho, bajo sexto, guitarron und quinio spielt.
Dieser Wiederentdeckungsprozeß dauerte sechs Jahre. In dieser Periode nahmen sie zwei inzwischen restlos abgegriffene Alben mit akustischer Chicano-Volksmusik auf und spielten in sämtlichen mexikanischen Restaurants, auf Hochzeiten, Barbecue- und Gartenparties.
Plötzlich kam Unterstützung von gänzlich unerwarteter Seite: aus der Los Angeleser „Punk“-Szene der späten 70er. Die L.A. Version dieses Phänomens war eine ganze Ecke weniger „soziologisch“ als ihre Londoner und New Yorker Pendants. Die beteiligten Gruppen interessierten sich ausschließlich für Spieltechnik — zumindest behaupten das die Los Lobos. Ihren Schilderungen zufolge schlugen sich Mitglieder von X und den Blasters ganze Nächte damit um die Ohren, Platten mit 60er Folk-Rock zu analysieren.
Los Lobos kamen mit ihrer herrlichen Aus-alt-mach-neu-Methode in diesem Umfeld bestens an. Rosas:
„Keiner hat den Mumm, so viel abzukupfern, wie wir das tun. „
Schlagzeuger Louie Perez nahm die Verantwortung der Band besonders ernst. Er hat jetzt eine Mission zu erfüllen: das stereotype Image der Mexico-Amerikaner in den Staaten zu zerstören. Perez wurde Chef-Texter der Band.
Viele Songs der Los Lobos schildern Szenen aus dem barrio, aus den Slums, Perez stellt das ärmliche Leben der in Amerika lebenden Mexikaner in seinen Texten geradezu plastisch dar; seit Robbie Robertsons erz-konföderalistischen Südstaaten-Songs für The Band hat kein Liedermacher mehr eine ganze Well so lebendig beschrieben. Die Charaktere von BY THE LIGHT OF THE MOON graben sich untilgbar ins Gedächtnis ein, die Songs handeln von verwirrten Immigranten, die an einen amerikanischen Traum glauben wollen, den sie nur vom Hörensagen kennen. Daß die Lobos maßgeblich von Robertsons Gruppe The Band beeinflußt wurden, ist keine große Überraschung.
Die 85er LP HOW WILL THE WOLF SURVIVE hat Los Lobos eine Menge Freunde gebracht. Waylon Jennings nahm den Titelsong auf und machte daraus einen Country-Hit. Von dem Erlös aus der WOLF-Platte konnte sich jedes Bandmitglied ein Haus kaufen.
„Wir leben nicht gerade in Palästen aber wenigstens haben wir die Sicherheit, nicht wieder auf der Straße zu landen, falls all das morgen aus sein sollte. Du denkst dir: uff! Immerhin! Ein Dach über dem Kopf!“
Parallel zum Lobos-Aufstieg verlief Steve Berlins Profilierung als Plattenproduzent (aber bittet ihn nicht um einen Stereomix: Er ist auf einem Ohr taub, weil er Nacht für Nacht vor Cesar Rosas‘ Gitarrenanlage steht.) Berlin hat die Mini-LP AND A TIME TO DANCE, mit der Los Lobos ihren Durchbruch hatten, mitproduziert. Er hat auch die Beat Farmers, die neue Band Faith No More („eine Mischung aus Beastie Boys und Metallica„) und ein Solo-Album des Blasters-Manns Dave Alvin produziert.
Berlin war auch beim nächsten Lobos-Album, THE RITCHIE VA-LENS STORY, an den Reglern. Es ist der Soundtrack zu einem Film, der das kurze Leben des ersten mexiko-amerikanischen Popstars dokumentiert; er starb 1959 beim Buddy Hollv-Flugzeugunglück.
„Das ist ein exzellenter Film“, schwärmen sie. „Wie eine mexikanische Version von ,Round Midnight‘. Sehr kunstvoll gemacht, ohne Sensationshascherei. Wir haben uns inzwischen mit der Valens-Familie angefreundet. „
Teufel auch, wenn sie so weitermachen, wird es bald kaum noch jemanden geben, mit dem sie nicht gut Freund sind.