Kumpel macht Karriere
Alle lachten sie ihn aus, als er nach Hollywood zog, um als Produzent Karriere zu machen. Heute hat der Mucker aus Wuppertal alle Lacher auf seiner Seite. ME/Sounds-Mitarbeiter Helmut Werb besuchte den Mann, den sie drüben schon "Metal Kaiser" nennen, in seinem selbstgezimmerten Reich.
Wichtig ist wirklich mir, was aus dem Lautsprecher rauskommt“, sagt er zwischen zwei Bissen Hummer. Wir sitzen zu dritt beim feinen Chinesen – Michael, seine englische Frau Maggie und ich. zwei Schritte vom Wageners Studio in Los Angeles entfernt. „Deine Arbeit ist viel, viel wichtiger als der Rolls Royce. Wenn du mit dem Sound nicht rüberkommst, nutzt dir der ganze Klimbim nichts.“
So spricht der Mann mit dem Rolls vor dem geilen Haus am Hügel von Los Angeles. Mit der Corvette. der Harley Davidson und dem Mercedes Cabrio für die Frau. Das Privat-Flugzeug parkt er im eigenen Hangar. Man könnte geradezu gehässig werden, wäre der neureiche Kerl nicht ein Kumpel aus dem Ruhrgebiet. The Local Boy Made Good – oder: Unser Junge hat’s zu was gebracht.
„Ich weiß, ich bin ein Glückspilz“, gesteht der Bursche mit den blauen Strahleaugen und der blonden Mähne beim „Chicken King Pao“. Wenn er lacht, und das tut er oft, lacht man automatisch mit. „Aber Glück allein hilft dir wenig. Du mußt malochen, richtig ranklotzen.“
Er ißt gern, der Michael, und man sieht’s ihm an. (Die Kellner beim Chinesen kennen ihn schon und bringen uns an einen etwas größeren Tisch.) Aber der Erfolg zeichnet sich bei dem Werkzeugmachersohn aus Wuppertal nicht nur an der Gürtellinie ab. Wagener gehört inzwischen zur internationalen Elite der Hardrock-Produzenten – „Metal Kaiser“ nannte ihn ein Platten-Boß in Hollywood. Auf seiner Liste stehen Skid Row, White Lion. Alice Cooper, Dokken, Metallica, Megadeth, die alten Freunde von Accept natürlich, um nur einige Namen zu nennen. Und seit neuestem sogar Janet Jackson – ein Name, bei dem hartgesottenen Metal-Fans der Fön aus der Hand fällt.
„Black Cat“, die erste Zusammenarbeit mit der Schönheitsoperierten, fiel so gut aus, daß sich Janet gleich für zwei weitere Songs anmeldete. Nicht schlecht für einen ehemaligen Getränkefahrer aus’m Pott.
Wie macht man das? Wie wird man so unverschämt erfolgreich, Herr Wagener? Ganz einfach, man kauft sich mit 13 ’ne Gitarre und startet mit Freund Udo von nebenan ’ne Band. Wenn aus der Band später noch Accept wird, ist das schon die halbe Miete. Dazwischen lernt man noch die Studiotechnik von der Pieke auf, geht jahrelang auf die Abendschule, macht sein eigenes Kleinstudio in Hamburg auf, schließt das Ding dann gleich wieder, arbeitet mit Leuten wie Dieter Dierks und Dokken, geht schließlich nach Amerika – und beschäftigt sich dann nur noch mit Geldzählen. Ende gut. alles gut.
Oder was?
Forget it. babe. Michaels erster Trip in das gelobte Land endete enttäuschend, um’s mal vorsichtig auszudrücken. Sein Besuch im Jahr 1980 bei Freund Don Dokken konfrontierte den noch reichlich Naiven mit der rauhen Wirklichkeit des US-Musikgeschäftes. Von wegen Karriere: „Mann, voll die Härte! Wir hatten weder was zu fressen noch Kohle für Sprit. Alles war Grütze.“
Für normal-tüchtige Teutonen bedeutet so „ne Erfahrung das Aus des Traumes. Nicht für Wagener. Er wuchtet sich durch die deutsche Musikwelt, ohne je sein Ziel aus den Augen zu verlieren. Seine Freunde lachen ihn aus, wenn er. immer noch blauäugig, verkündet, irgendwann einmal ….. so richtig Erfolg zu haben, so richtig Kohle zu machen“.
Nach einigen Jahren mittelprächtigen Erfolgs in der Heimat steigt Michael wieder in den Flieger gen El Lay. Diesmal klappt es besser. Die alten Freunde Don Dokken oder Alan Niven (dem heutigen Manager von Great White und Guns n‘ Roses) waren die Karriere-Leiter raufgefallen und – Wunder über Wunder! – erinnern sich an den Macher aus Germany. der dieses Mal mit eindeutig besseren Credentials im Land der unbegrenzten Träume auftaucht.
Michael produziert „Wild Thing“ von X, damals LA“s Punkband Numero Uno – und von da an geht die Wagener’sche Post nun wirklich ab. UNDER LOCK AND KEY wird ein Platin-Erfolg, eineinhalb Millionen Platten bringen Michael mehr Kohle ein, als er sich jemals erträumte.
Auf einmal ist er „Big Record Producer“. auf einmal reißen sich die Bands darum, von ihm „gemacht“ zu werden. Auf einmal gehen alle Türen auf, und das Telephon hört mit dem Klingeln gar nichi mehr auf. Der Stoff, aus dem die Träume sind.
Und die Kohle fließt in gehörigem Maße. Amerika, das muß man der alternden Dame lassen, belohnt ihre treuesten Diener immer noch mit einem dicken Beutel. „Ich selbst würde die Kohle ja wirklich mit beiden Händen zum Fenster raussschmeißen“, grinst Michael. Wir sind inzwischen bei der Ente angelangt, und die Chinesen kommen mit dem Auf- und Abräumen kaum noch nach. „Aber Maggie hält das Geschäft ganz fest in den Händen.“
Maggie, aus der englischen Weltstadt Newcastle stammend, traf Michael vor fünf Jahren auf eine Rock ’n‘ Roll-Party. A match made in heaven. wie die Amerikaner sagen. Beide kennen das Geschäft. Beide sind bereit, es zu melken. Beide ergänzen sich: Die züchtige Maggie wirft den Laden. Michael kann sich auf seine Arbeit konzentrieren. Und auf seine teuren Spielzeuge: Die erste Cessna war zu klein, da holte er sich halt eine größere. Zwei Jeeps sind zuviel (ja gibt’s denn sowas?), da wird einer verkauft und für den Gegenwert eine Uhr angeschafft. Am liebsten würden sich die beiden eine Ranch in der kalifornischen Wildnis kaufen, also auf geht’s! Mit dem Flugzeug ist man ja in zwei Stunden in El Lay…
„Was ist dabei, für gute Arbeit gut bezahlt zu werden?“ Michael kaut auf den „Three Delicacies“ herum. „In Amerika ist die Belohnung eben größer ab in Deutschland, „
In God’s Own Country gehen die Uhren eben anders. Wer die Spitze der Leiter erreicht hat. darf es auch zeigen. Ja. es wird sogar von ihm erwartet. „Du erreichst irgendwann eine Position, in der du zeigen mußt, daß du es geschafft hast. Da mußt du den Erfolg vor dir hertragen.“
Und es ist ja wirklich nicht so, als würde er unverdiente Millionen in vollen Zügen genießen. Die Bands, die durch seine Hilfe den Sprung nach oben schafften, gönnen ihm die Villa mit Pool. Die Bosse der Plattenfirmen würden ihm sogar einen neuen Rolls kaufen, würde er sie fragen. „Fuck the fame“, sagt er mit vollem Mund, „rich is good enough.“ Außerdem gebe es da noch einen Extra-Bonus: „Irgendwo tut es schon gut, wenn ich den Zweiflern von früher beweisen kann, wie weit ich es hier gebracht habe.“
In Michaels Welt ist Ehrgeiz kein Schimpfwort. Das typisch amerikanische Wettbewerbsdenken fördert eine Perfektion, die er schätzt. „Es gibt in LA mindestens 3000 Bands. 2900 bringen es nicht. Der Rest aber ist verdammt gut.
Die Belohnung ist entsprechend: Wer hier 200.000 Platten verkauft, kratzt an der Oberfläche. In Deutschland bbt du mit 30.000 verkauften LPs schon der König. “ Bei drei Prozent vom Umsatz – geschätzter Wagener-Anteil einer Platte – ist der Unterschied doch ziemlich groß.
Und noch etwas anderes kommt dazu: „Ich habe in Deutschland oft eine seltsame Einstellung erlebt: Laß uns schnell Erfolg hüben und dann ’ne ruhige Kugel schieben. Aber zum Erfolg gehört nun mal harte Arbeit, und ich meine wirklich harte Arbeit. Wenn du hart an dir arbeitest, klappt es auch meistens. Ich schufte wirklich, um den Künstlern, die mit mir arbeiten, die Möglichkeit zu geben, kreativ zu sein. Schau dir Accept an. Die waren Tag und Nacht dran. Oder die Scorpions! Von wegen ruhige Kugel!“
Das sind keine leeren Worte. Zwischen den Mahlzeiten schiebt er brutale Arbeitstage ein. Seine Frau sieht ihn oft tagelang nicht. Von morgens bis Elf bis morgens um Fünf sitzt er hinter den Reglern im eher unscheinbaren Scream Studio. Kaum hat er eine Produktion unterm weiten Gürtel, beginnt er mit der nächsten. Seine Aufnahmetechnik hat bei LA’s harten Rockern legendären Ruf erreicht, „Das ist der Vorteil, Deutscher zu sein. Die Amis trauen dir die Technik zu. „
Trotz all dem Tand, mit dem er sich umgibt, hat Selfmade-Michael den Boden unter den Füßen nicht verloren. Das Flugzeug, der Rolls – das sei alles wirklich nur Spielzeug für ihn. Spielzeug, das er zwar nicht missen möchte, aber könnte, wenn er wollte. Sagten Die Business-Parties, auf die er gehen muß, weil’s von ihm erwartet wird, haßt er wie die Pest. „Mir ist’s kleiner lieber.“ Seine Frau, sein Eskimo-Schlittenhund und seine Ruhe sind ihm wichtig. Der Mann geht sogar spazieren! Und wenn er am Mischpult sitzt, hört er seine Kreationen am liebsten auf mickrigen Lautsprechern, die er sich für 100 Dollar beim Discounter holte. Die Wummis an der Studiowand dreh er nur auf, wenn der Kunde da nebensitzt.
Es hätte ihm noch gefallen meint er beim „Mooshi Pork“, wenn sein Vater das noch miterlebt hätte(aber der starb, als Michael 19 Jahre war). „Meine Mutter hat das vor ihrem Tod noch mitbekommen meint er nachdenklich. „Sie hat uns noch besucht und gesehen, wie wir leben. Das ist etwas, worüber ich sehr glücklich bin.“
Der Tisch ist leer. Auf den Nachtisch will Michael Wagener verzichten: „Ich nehme jetzt ab.“