Kurz & Klein
Das Problem, null Zeit und ein Berg Musik, aufgefaltet von (ansonsten) netten Menschen mit dem Hintergedanken „Nö, das hör ich mir nicht auch noch an.“ Die Lösung: Schubladen auf! Das erste der praktischen Produktverrät] mungsbehältnisse trägt das Etikett „Platten .die von Clo i sein könnten und Clor-Fans gefallen könnten und prim.i zickig-schwungvoll-witzigen Elektropopenthalten, dei wie eine Sprudelmischung aus Pixies und Devo wirkt, denen aber die genialen Melodien fehlen, um andere Leute länger als einen Discoabend zu interessieren“. Ähem. Da hinein: whatyou didn’t know when you hireo me (Lobotom) von den Bondage Fairies aus Stockholm auf deren zweites Album ich mich aber freue. In der Schublade „Platten, die mit derartig viel Vorschußlor beeren daherkommen, daß es verdächtig ist, daß man sie noch nicht kennt, und die man vor lauter AufgedrängL nicht mehr selber entdecken und deshalb auch nicht wirk lieh mögen kann, die man stattdessen .irgendwie ok‘ findet und sich wahrscheinlich nie mehr anhören mag“ landen sodann The Holy Ghost mitWELCOMETO ignore us (Clearly): 23 Hymnen im Presseinfo können nicht übertönen, daß „Neu) York’s Best Band“ (mutmaßelt der US-Rolling-Stone) trotz schönen Passagen bemüht, anstrengend, angestrengt cool und drei Gangstufen zu „superclever“ und hyperverweigerungsinteHektuell wirkt. Vielleicht klappt’s beim eventuellen Wiederhören in drei Monaten oder nach einer Live-Erfahrung, vielleicht lassen wirdas auch. Für Tiger Saw und sinü! (Kimchee Records) öffnen wir die Lade „Noch eine charmante Gruppe junger Menschen, die viel Pavement und Shoegazer-Sachen gehört haben, nicht besonders gut spielen können, Textzeilen am liebsten paarhundertmal säuseln und wähnen, in den mittleren 9oern sei die Zeit für immer stehengeblieben“. Die werden wir beizeiten schon mal wieder öffnen, spätestens wenn der Frühling sonnengrünt – und der Schub „Zierliche Wintermusik, bei der man um den Küchentisch herumsitzt, verdünnten Wodka aus kleinen Gläsern nippelt und mit liebem Lächeln diskret und sauber seine gemeinsame kleine Freude hat“ aufgebraucht ist, in den das sympathisch infantile, unauffällige und nachbarnfreundliche Musizieren der Goodnight Monsters auf THE BRAINTHATWOULDn’t DIE (BoneVoyage-ein Fall fürs Schränkchen mit den „Nettesten Labelnamen diesund jenseits von Finnland“) paßt.
Soweit der angenehme Dilettantismus -hingegen steht auf dem Fach für Diane Clucks fünftes Album COUNTLESS TIMES (Voodoo-EROS): „Man kann gerne mal rumklimpern und dies und das, man kann auch alles aufnehmen, was man mag und was an einem schlechten Tag so passiert, man muß es aber nicht unbedingt Leuten vorspielen“. Und dieses Fach grenzt an das Regal „Musik“ nur sehr teilbereichlich an.
Abt. „Erfreulich ehrliche Promozettel“: Zu The Dust Diveund asleepor awake walk (Own) ist zu lesen, wir seien „nicht aufgefordert, mitzusingen“. Wir seien außerdem nicht aufgefordert, die Platte auch nur anzuhören (was man ehrlicherweise per Albumaufschrift vgl. The Holy Ghost – auch jenen potentiellen Anhörern mitteilen sollte, die nicht in den Genuß von Promozetteln kommen). Fein, weil: gesungen wird hier sowieso nicht wirklich. Und den Rest an ödem Dideldudel-Kinderklang und Geräuschen bringen wir bei Bedarf selber hin. Jede Geste auf dieser Platte impliziert Distanz.“ Meinet wegen, gähn. Herzschlag (Polydor) von Marion andererseits ist zweifellos professionell erstellt. Trotzdem ist der Titel als eindeutige Warnung zu lesen, und so landet die Mischung aus Dorfkirmes-Stevie-Wonder, bodenlosem Schlagerbla und dem, was BWL-gestählte Produktdesigner unter (drogeriemarktkompatiblem) „Indie-Design“ verstehen, im sprengfallengesicherten Stahltresor mit dem Warnhinweis „Schmalzstrudel aus dem Industrielabor, bei dem man gar nicht so viel Schnaps trinken kann, wie man kotzen möchte – für Menschen unzugänglich aufbewahren!“ Plattenmeister, die einem so etwas andrehen, gehören sechs Tage und Nächte lang auf dem Marienplatz in einen Pranger geschraubt, und jeder, der vorbeigeht, darf einmal draufhauen. Eine Etage tiefer dräut die Lade „Dinge, die erstellt werden, um Gefangene in G eheimgefängnissen zu foltern, oder die von Leuten erstellt werden, denen in Geheimgefängnissen Herz und Hirn weggefoltert wurden“. Das ist der Platz für Sevendust und ihr BEST OF (TVT), dessen Zusatz „Chapter One“ hoffentlich bloß eine Drohung ist. Solcherlei Grunzdonnermüll taugt höchstens als superweit in den Hintergrund gemischter Soundtrack für viertklassige Doom-Soaps. Wenn wir bösen, dreckigen Rock brauchen, der böse und dreckig und sonst gar nix sein will, schaufeln wir BRAND NEW gun (Bad Land) von Sixes & Sevens aus der „Hirn? Who needs shit like that!“ – Kiste, hauen uns die Birne voll sowie alles zusammen und jammern am nächsten Morgen, weil wir uns fühlen, als hätte uns Zodiac Mindwarp zerstampft, geschnupft und den Rest wieder rausgeschneuzt.
Da braucht man Trost! Trost spenden möchte Jenny Weisgerber, aber leider – der Pathos-Baukasten-Standardtitel WHEN WORLDS COLLIDE (Soul Maid) läßt es ahnen – tropft auch hier die Sülze, allerdings so ungleich gemäßigter und synthetisch vollgesüßt, da ß spätabendliche Mainstream-Autofahrer Jennys Begleitung schätzen werden.
Ein ganz anderes Kaliber ist (in fast jeder Hinsicht freilich) Eva Mattes, aber auch die sanftrauhen Bar-Standards auf dem (noch standardisierter betitelten) LANGU-AGE OF love (Mad Cat) die sie mit Herz, Seele und einer deutlich ausgebildeten, dabei aber charmant limitierten, lebensechten Stimme vorträgt, machen die Nacht wärmer (ohne der Welt etwas hinzuzufügen). Die unsere ist warm genug, drum schieben wir Monolands Album BEN CH ALICE (Supermodern) in den Spieler. Und gleich nach dem Abspielen in die vollgepfropfte Vitrine mit der Aufschrift „Was die am liebsten hören, haben wir auch schon gehört und brauchen wir nicht aus zweiter Hand“ (in diesem Fall vor allem: My Bloody Valentine). Wenn denen beim nächsten Mal ein paar gute Songs einfallen, nehmen wir eine Zahnschmerztablette und probieren’s noch mal. Zu guter Letzt bleibt Material für die Grube mit dem Schild „Unergründliches Obdach für Sachen, von denen man nicht weiß, was sie sollen, wollen, sind“. Da rollt SUN Q (Sonic Boom) hinein, ein „Mix“ aus Sub-Tangerine-Dream-Gezirpe, sexfreien Disco-Samples, Mickymaus-Gesang, Fischertechnik-Elektropumpen und Zippzerapp-Beatprogramm. „Sun Q“ heißt übrigens „Danke“, und danken tun die zwei von IQU im Bookler mehr Leuten, als sie gute Ideen haben.