Kurz & Klein


Anweisung aus der Plattenmeisterei: Wir müssen den Sailer runterbringen! Schluß mit den Exzessen derSechssternerei! Kratzen wir den Bodensatz aus dem Seier und geben ihm nicht mehr Zeit als jeweils 20 Minuten – das wird ihn lehren, seine Urteile vorsichtiger zu setzen! Rumms, da ist der Berg – schwupp, da ist das Protokoll:

Champagner Gloystein verdienen Sympathie für die Strenge, mit der sie den Indierockgedanken umsetzen, und die Lockerheit, mit der sie drauf pfeifen, wenn die AkkoTdlokomotive mal ein bißchen unrund schuppert. Soll man einschlägig Interessierten empfehlen, sich das mal anzuhören? Freilich, auch wenn von MODERA-TE EKSTASE (Dustbowl/Broken Silence) das erste Wort sehr wörtlich zu nehmen ist und die schönen Ideen (auch dank der einfallslosen Produktion, die im Grunde gar keine ist) auf Dauer Mühe haben, aus dem Mus herauszuragen. Aus Bristol (!) sind Chris Cole und sein Projekt Manyfingers, auf dessen DebütouR worn shadow (Acuarela/Rough Trade) erst fast gar nichts passiert, dann ein paar Tasten gedrückt werden und Atmosphäre und Stimmung losrollen, gemächlich wie Nordmeerwellen in der Nacht. Soll an Philip Glass und Steve Reich erinnern, wozu ich wenig sagen kann (außerdem diffusen Gefühl, ähnliches schon verdammt oft gehört zu haben, ohne hinzuhören); es reminisziert sanft an gewisse Sommernachmittage mit Pink-Floyd- und Tangerine-Dream-Beschallung, und das finde ich doch recht angenehm, wenn auch strekkenweise etwas leer und allzu repetitiv. Das gilt auf ganz andere Weise auch für Die Perlen (Was für ein origineller Bandname!), die laut Promoinfo „durchaus Kalibern wie Mia undiRaumwohnung ebenbürtig sind“. „Einzigartig“, „verrückt“, „fett“ etc. ist an der monotonen Wohnzimmer-DAF/Peaches-Aufkoche auf TELEKTROPONK! (KP-Production) (Was für ein origineller Kalauer, hihi!) aber wenig: schnell gehört, noch schneller vergessen. Weitaus mehr Substanz hat der „Maximum Rock and Soul“ (Was für eine originelle Genreschublade!) der Bellrays auf HAVEALITTLEFAITH (CheapLullaby/Cargo) (Wasfür… egal). „Revolution Get Down“ kennt „man“ (wie peinlich) aus der Autoreklame, aber das sollte nicht abschrecken: Die Platte haut rein wie eine Mixtur aus MC5, Aretha Franklin, Stooges und Shuggie Otis, aus psychedelischem Straßengebretter, tobendem Kellerpunk, schweißglühenden R8tB-Funken und halsbrecherischer, metajazziger Stop-Start-Improvisationsraserei. Eine echte Wucht, die in diesem Umfeld nichts verloren hat.

Ein weites Umfeld: Z.B. bohren wir ein Loch durch den Erdball und geraten von Kalifornien nach Japan, wo Rocket Matsu mit einem Haufen Leute rumsitzt, der sich Pascals nennt und nach der Vorgabe „Jeder macht irgendwas, was ungefähr hinkommt“ musiziert. Unten drunter liegen altbekannte Sixties-Tanzteeriffs, oben draufbippelt, zippelt, zappelt und rappelt alles mögliche herum; aber das ist einerseits zu kindisch, andererseits zu gewöhnlich, um einen davon abzuhaken,nachzudenken, was DODESUKADEN (Label Bleu) wohl bedeutet. Na gut. wenn mehr Zeit wäre, könnte man’s vielleicht witzig oder süß finden. Beides sind auf jeden Fall die Guillemots, die darunter leiden, daß sie aufgrund eines ähnlichen Entdeckungsschicksals mit Clap Your Hands Say Yeah in einen Hypetopfgeworfen werden. Das hat ihre skurrile, federleichtgewichtige EP-Zusammenstellung FROM THE CLIFFS (Naive) nicht verdient; die acht Songs sind bei weitem das Originellste in dem vorliegenden Plattenberg und erinnern nur selten und mit Gewalt an Dexys Midnight Runners, Triffids, Belle & Sebastian, The Cure, Arcade Fire, Pink Floyd (ATOM HEART MOTHER 1 .), Genesis (als sie gut waren: bis 1974!), allermeistem aber nur an sich selbst. Daß jemand Musik macht, nur um Musik zu machen, die dann auch noch so makellos schön ist, das gibt es leider nicht mehr oft.

Immerhin luftig frisch und (Liegt’s an der Jahreszeit?) sommerlich meloromantisch klingen Rhesus auf SAD DIS-CO (PI AS/Rough Trade). Fans von James und anderen Spät-8oer-Britbands sollten sich nicht vom Titel täuschen lassen, sondern: mindestens reinhören. Nötig ist das auch bei Isan und ihren PLANS DRAWN IN pencil (Morr/Indigo): Könnte sein, daß man sich an Michael Rother und Eno erinnert und das angenehm rindet; kann auch passieren, daß man den dazugehörigen Film vermißt, einschläft oder feststellt, daß man das ohne viel Aufwand selber besser kann. Letzteres gilt auch für den schleppenden Riffrock, den Blood On The Wall ausbreiten: Spielen können die Shanks-Geschwister Courtney und Brad und Kumpel Miggy Littleton kaum so gut wie jede Giesinger Freizeitheim-Combo bei der ersten Session nach drei Maß Bier. Lustigerweise entfaltet awesomer (Fat Cat/Rough Trade) dennoch einen seltsamen Charme, spätestens bei der (unfreiwilligen?) „Roadrunner“-Coverversion. Vielleicht hat das schon wieder was mit dem Sommerzu tun und mit der Tatsache, daß die drei (da sie hiermit keine 50 Euro verdienen werden) so engagiert drauflosmachen, als ginge es nurum die Musik (und höchstens noch ein bißchen Umsturz). Wenn daraus (und daraus) ein „TTend“ wird, hätte ich übrigens ausnahmsweise gar nichts dagegen. Dann gibt’s vielleicht irgendwann mal sechs Sterne …:-) Dafür ist es im Falle Ooberman wahrscheinlich zu spät: Die musizieren seit 19S4 zusammen, sammelten emsig Verschrobenheitspunkte, waren Ende des letzten Jahrtausends fast mal Brit-Indie-Mainstream und sind inzwischen aber ganz woanders angelangt: CARRIED away (Rotodisc) trieft stellenweise vor Selbstzufriedenheit, La-la-la-Verbrüderschwesterung und Banalmelodien, für die das entsprechende Stadion erst noch gebaut werden muß, und erinnert manchmal sogar an Blackmore’s Night (ohne den Gitarrenritter). Das ungefähre Gegenteil: Neulinge im weiten Universum der Abseitigkeiten sind die Legendary Pink Dots schon seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr- ihre Diskographie dürfte ungefähr so viele Platten umfassen wie das letzte lahrhundert lahre (oder Monate?), und trotzdem musizieren sie auch auf your CHILDREN PLACATE YOLJ FROM PREM ATURE GRAVES (ROI R/

Cargo) wieder so hingebungsvoll und ideenreich zwischen Lärm und zarter Kammerstille, als wär’sdas erste Mal. und schielen nicht mal mit einem halben Hühnerauge aufirgendeinen „Markt“. Diese reine Musik erweitert immer noch (ähem) das Bewußtsein und läßt die Frage „Warum die und nicht irgendeine andere?“ nicht aufkommen: Es reicht, sie zu hören; besitzen muß man nichts.

Besessen (und zuvor gekauft!) werden wollen hingegen die Produkte, mit denen Collective Soul in konsumentenfreundlichen Intervallen ihr Segment füllen. In den späten goern haben sie, erfahre ich, „richtig Gasgegeben“ und „die Billboard-Rockcharts nach Belieben dominiert“. Ja mei. Jetzt kommt die „acoustic experience“ FROM THEGROUND up (India/Rough Trade) – wahrscheinlich hat die BWL-Abteilung Wind vom „Unplugged“-Trend gekriegt. Mir wird von derartigem Format-Mist schon beim einleitenden Rotvvein-Elektrokaminfeuer-Geschrammel schlecht; spätestens wenn das Weihegesülze einsetzt, muß ich dann brechen, und hinterher frage ich mich, ob sich Leute, die so überfließen vor Zynismus, daß sie derartig lackierten Hohlmüll herstellen (ohne selber brechen zu müssen), wenigstens heimlich schämen.