Lämmer Demmerung
"Stop Making Sense" (Musikfilm) oder "Gefährliche Freundin" (Komödie) -— die Filme von Jonathan Demme waren immer etwas anders als das jeweilige Genre. Mit dem Thriller "Das Schweigen der Lämmer"fallt das jetzt erstmals dem ganz großen Publikum auf.
Ein Spießrutenlauf unter verschärften Bedingungen: Jodie Foster auf dem Weg zu ihrem ersten echten Einsatz als FBI-Agentin. Schritt für Schritt passiert sie den langen Gang einer Haftanstalt. Die Kamera zeigt, was ihre Augen sehen: Gitterstäbe rechts und links, dahinter Zellen mit verurteilten Schwerverbrechern. Zotige Anmache ist noch das Harmloseste, was ihr aus dem Dunkel hinter den Gittern entgegenkommt. Am Ende des Ganges ein spezieller Sicherheitstrakt für einen einzigen Insassen: Dr. Hannibal Leder. Ein Ex-Psychiater, der selbst zum Fall wurde und als „Hannibal, the Canibal“ in die Kriminalgeschichte (und die Sensations-Presse) einging. Er mordete eine ganze Reihe von Menschen, verstümmelte seine Opfer und verzehrte einzelne Körperteile.
Jodie Foster betritt Dr. Leders Trakt, dann steht sie dem Monster gegenüber. Auge in Auge. Die Zelle ist hell erleuchtet und: Kein Gitterstab stört den Blick. „Wir haben endlose Probeaufnahmen mit Gittern gemacht“, erinnert sich Regisseur Jonathan Demme. „Dicke Stäbe, dünne Stäbe, weiter Abstand, enger Abstand, verschiedene Farben. Aber jedesmal sah es wieder aus wie in Millionen anderer beschissener Filme, wo Leute durch ein Gitter miteinander reden.“ Die Produktions-Designerin Kristl Zea brachte die Lösung: Glas. Die Kamera kann jetzt ungehindert den Angelpunkt des Films herausarbeiten: die Beziehung zwischen der Agentin und dem hochintelligenten Irren (dämonisch gut: Anthony Hopkins). Sie will Informationen aus seiner Zeit als Psychiater. Er verlangt im Gegenzug intime Einzelheiten aus ihrem Leben.
„Die Entscheidung Glas statt Gitter zu verwenden, war nicht einfach“, erklärt Demme. „Sie war einer der Punkte, an denen man sich fragt: Werden wir damit durchkommen?“ Jonathan Demme kam durch damit. „Das Schweigen der Lämmer“ belegte wochenlang den ersten Platz der amerikanischen Kino-Charts.
Begonnen hatte Demme vor 17 Jahren mit einem Film, in dem ebenfalls Gitter eine große Rolle spielten: „Caged Heat — Das Zuchthaus der verlorenen Mädchen“. Im Auftrag von Roger Corman, dem König der B-Movies, drehte Demme einen klassischen „Frauen hinter Gittern“-Film. Damals schon arbeitete Demme mit dem Kameramann Tak Fujimoto, der auch „Das Schweigen der Lämmer“ photographierte. Und der Ehrgeiz der beiden Jungfilmer war es, alles etwas anders zu machen.
Zur Musik von John Cale sind Schnittfolgen zu sehen, wie sie Jahre später in Video-Clips auftauchten.
Nach weiteren Auftragsarbeiten wie“.Mord ä la Carte“. „Mach ein Kreuz und fahr‘ zur Hölle“, einer Mini-Karriere als Schauspieler („Planet Saturn läßt schön grüßen“) und einem Achtungserfolg mit „Melvin und Howard“ dann eine große Überraschung: „Stop Making Sense“ wird 1984 das wohl erste Beispiel für ein Konzert, das komplett für die Kamera inszeniert ist. Mutig auch Demmes Neu-Interpretation des Genres Dokumentarfilm: „Swimming To Cambodia“ zeigt 87 Minuten lang einen Mann, der an einem Tisch sitzt und redet, und wird trotzdem nie langweilig.
„Stop Making Sense“ und „Swimming To Cambodia“ (lief nie in Deutschland) waren hochgeschätzt von Kritikern und Insidern. Was Jonathan Demme fehlte, war das Publikum. Erster Annäherungsversuch: „Gefährliche Freundin“. Demme bringt Melanie Griffith und Jeff Daniels als Paar für einen Tag und eine Nacht in schier ausweglose Situationen. Der zweite Streich: „Die Mafiosi-Braut“ mit Michelle Pfeiffer. Beide Komödien funktionieren, beide Haupt-Darstellerinnen erfahren einen Karriere-Schub, beide Filme in Maßen erfolgreich an der Kasse. Jonathan Demme schien der kommende Komödien-Mann Hollywoods zu sein. Aber damit war er nicht zufrieden.
„Es ist großartig, dem Monster ,Komödie‘ entkommen zu sein“, erklärt der 47jährige Demme heute.
„Ich mußte mich nicht mehr um Timing oder um das Visualisieren von Gags sorgen. Ich konnte mich auf das konzentrieren, was zwischen den Figuren vorgeht.“ Und darauf, einiges wieder deutlich anders zu machen als die Kollegen.