LANGE NICHTS GEHÖRT VON
Nach unserem Schwerpunkt auf The Sweet in dieser Ausgabe soll die schrille Glamrockband auch das letzte Wort haben. Den einen der beiden noch lebenden Ex-Mitglieder, Gitarrist Andy Scott, haben wir in der Heftmitte gesprochen. Jetzt unterhalten wir uns mit seinem langjährigen Rivalen, Bassist Steve Priest. Der ist mittlerweile ein aufgedunsener, untersetzter 66-Jähriger mit Wischmopp-Frisur. Dabei war er in den Siebzigern der Mädchenschwarm schlechthin. Nach dem Ende von The Sweet zog Priest nach Kalifornien, ging in den Vorruhestand und schrieb seine Biografie „Are You Ready Steve?“. 2008 wurde er rückfällig und reformierte seine Version seiner alten Band.
Hattest du genug vom Rentnerdasein oder warum die Rückkehr auf die Bühne?
Es war ein Riesenfehler, keine Musik mehr zu machen. Das ist mir bewusst geworden, als ich Eric Clapton im Staples Center in L. A. sah. Ich dachte mir nur: „Verdammt, der Typ ist älter als ich. Warum steht er auf der Bühne, während ich im Publikum sitze?“
Allerdings bist du nicht der Einzige, der als The Sweet auftritt – dein Ex-Kollege Andy Scott ist unter demselben Namen aktiv. Wie unterscheiden sich eure Bands?
Sie klingen ganz anders. Wobei ich mich jetzt nicht dazu hinreißen lasse, etwas gegen ihn zu sagen. Nur so viel: Wir sind ein bisschen mehr Rock’n’Roll.
Wie stellt ihr sicher, dass ihr euch nicht in die Quere kommt?
Gibt es ein Agreement? Ja, sogar schriftlich. Er darf in den USA nicht als The Sweet touren, weil ich hier die Namensrechte habe. Gleichzeitig kann ich nirgendwo anders als The Sweet auftreten. Obwohl: Wir waren bereits in Südamerika. Und ich würde auch wahnsinnig gerne in Europa spielen. Um einen Konflikt mit Andy zu umgehen, müssten wir dort als Steve Priest’s Sweet antreten, womit ich aber kein Problem hätte -solange er keins damit hat.
Wäre ein Zusammenschluss beider Bands möglich? Das dürfte allein an der Frage scheitern, welche Musiker wir benutzen, denn da finde ich meine weitaus besser. Außerdem ist sein Sänger Bassist. Wie sollte das funktionieren?
The Sweet hatten jede Menge Hits, wurden aber nie als Album-Band akzeptiert. Stimmt. Die Leute haben uns so verstanden, wie sie uns bei Shows wie „Top Of The Pops“ erlebt haben. Das hat uns das Genick gebrochen. Die echten Fans haben zwar erkannt, wie toll Sachen wie unser Album GIVE US A WINK waren. Aber wie heißt es doch: Man kann einen Esel zum Wasser führen, ihn aber nicht dazu zwingen, auch zu trinken.
Haben The Sweet Glamrock erfunden?
Das wurde uns nachträglich so zugeschrieben. Aber wir waren keine Pioniere. Wir haben uns einfach von diesem Irrsinn anstecken lassen, dass jeder, der bei Shows wie „Top Of The Pops“ auftrat, wer weiß wie aufgestylt sein musste. Was zu einem regelrechten Wettkampf wurde.
Der so weit ging, dass du in einer Nazi-Uniform aufgetreten bist?
Oh, das war lustig. Allein wegen der Reaktion der Fernsehleute, die total ausgeflippt sind. Nach dem Motto: „Was machst du da?“ – „Ich gebe einen schwulen Hitler. Seht ihr das nicht?“ Ich kann bis heute nicht fassen, dass ich mir in diesen Plateauschuhen nie etwas gebrochen habe. Ganz schlimm war es, als wir zu Lederoutfits gewechselt sind. Da ist man nach einem Gig gar nicht mehr rausgekommen, was echt eklig war.
Wart ihr mit den übrigen Vertretern dieses Genres befreundet bzw. gab es eine Szene, die zusammen abhing?
Nein, nie. Wir haben uns nur getroffen, wenn wir bei „Top Of The Pops“ oder irgendwelchen TV-Shows im Ausland aufgetreten sind. Aber es gab keine Freundschaft und keinen Austausch. Im Gegenteil: Ich habe mich sogar mal mit Bowie angelegt. Wir saßen gemeinsam in einer Garderobe. Er hat „The Jean Genie“ vorgestellt, wir „Block Buster!“. Und ich hatte ein bisschen zu viel Make up um die Augen aufgetragen. Da sagte er zu mir: „Oh no, du musst da ein bisschen dezenter sein.“ Und ich: „Fuck off, ich bin nicht dezent.“ Marcel Anders Story S. 38