Warum die HipHop-Werbung von Lidl so gut funktioniert
Beef der Supermärkte? Nach Edeka produziert nun auch Lidl einen eigenen HipHop-Werbeclip mit dem Titel „Lidl Plus Rap“ und disst die Konkurenz. Nach einer Woche zählt das Video bei YouTube plötzlich über 3 Millionen Aufrufe. Wie das passieren konnte und warum die Werbung tatsächlich kein Fremdscham-Erlebnis ist?
Nachdem sich Edeka zuletzt den Rapper Luciano zu Werbezwecken ins Boot holte, macht nun Discounter Lidl ein neues Kapitel in der fragwürdigen Geschichte der HipHop-Werbung auf. In dem Video zum Song „Lidl Plus Rap“ steht ein junger Lidl-Mitarbeiter namens Tillmann im Mittelpunkt, der in seinem Text nicht nur die Vorzüge der Lidl Plus App aufzeigt, sondern in typischer Battle-Rap-Tradition gegen die Konkurrenz der Supermarktkette schießt. Mittlerweile hat der Clip über drei Millionen Klicks und landete in den YouTube-Trends. Wie das funktionieren konnte und warum Lidl mit seiner HipHop-Werbung einiges richtig gemacht hat? Ein Erklärungsversuch.
Lildl schreibt das nächste Kapitel der HipHop-Werbung
Auch wenn die Instrumentalisierung der HipHop-Kultur für Werbekampagnen schon von vielen Seiten kritisiert wurde, können sich Rap und Werbung offenbar nicht wirklich voneinander trennen. Zu attraktiv ist der Gedanke, die mittlerweile prägnanteste Jugendkultur des Landes gewinnbringend einzusetzen. Anstatt sich also in Debatten um Authentizität und kulturelle Aneignung zu verstricken – zumal deutscher HipHop schon lange keine Subkultur mehr ist, die man schützen müsste – , reicht es vollkommen aus, sich über die Umsetzung der Werbekampagnen zu streiten. In einem älteren Artikel über die aktuelle Edeka-Werbung wurden bereits einige Peinlichkeiten in der Geschichte der Deutschrap-Werbung aufgezählt, an denen Rapper wie Samy Deluxe und Eko Fresh eine Mitschuld tragen. Nun versucht es also Lidl mit seinem „Lidl Plus Rap“.
Weniger Klischees
Zunächst einmal das Visuelle: Den im HipHop-Bereich mittlerweile bekannten Regisseur Orkan Çe für die Umsetzung des Werbeclips zu engagieren, war definitiv ein cleverer Schachzug des Lebensmittel-Discounters. Der Videoproduzent, der unter anderem schon mit Capital Bra und Samra zusammengearbeitet hat, hat definitiv ein Händchen für die richtige Inszenierung von Protagonist*innen in Rap-Videos und hat die Produktion eventuell vor verbrauchten HipHop-Klischees (Breakdance, Graffiti etc.) bewahren können. Stattdessen konzentriert das Video sich auf den Hauptdarsteller, den Lidl-Mitarbeiter Tillmann, der bei Nacht durch eine Lidl-Filiale stolziert, während hier und da ein paar junge Mitarbeiter*innen auftauchen, die, anstatt sich für exorbitante Dance-Moves ins Zeug zu legen, relativ cool und gelangweilt in die Kamera schauen. Nicht mal Geldbündel werden durch den Raum geschmissen. Sie wirken nicht wie bestellt und in ein „HipHop-Korsett“ gezwängt, sondern eher so, als würden sie nach Feierabend einfach noch ein bisschen auf dem Parkplatz abhängen, weil der Kollege ein Video dreht. Dazu gesellen sich neben der Rap-Legende Azad noch ein paar Motorradfahrer, die vor dem Lidl Rennen veranstalten. Die Mischung aus Lässigkeit, Protzigkeit und Humor funktioniert auf jeden Fall gut.
Tillmann teilt aus wie ein Battle-Rapper
Was aber in dem Werbeclip wirklich überrascht, ist der Rapper selbst. Und das aus einem eigentlich trivialen Grund: Der Typ kann rappen. Und nicht nur das. Während Tillmann auf der einen Seite die Vorzüge der Lidl-App aufzeigt, was eher unspektakulär ist, liefert er ein Battle-Rap-typisches Namedropping vom Feinsten und zieht einfach mal die Konkurrenz durch den Schmutz. Und das ohne Rücksicht auf Verluste. Statt bekannter Rapper werden Supermarktketten attackiert und in Wortspiele eingebaut. So heißt es beispielsweise im Text: „Lidl lohnt sich, mir sind all die (ALDI) anderen egal“ oder „Die Qualität der andern ist doch wirklich keinen Penny wert.“ Dass Zeilen wie „Du stehst auf schlechte Ware? Ja, dann geh doch zu Netto“ auch rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnten, scheint an dieser Stelle egal zu sein. Es wird einfach gemacht, weil es provoziert und irgendwie auch unterhaltsam ist. Insofern muss das Talent von Tillmann, sofern er denn so heißt und tatsächlich ein Lidl-Angestellter sein sollte, an dieser Stelle gewürdigt werden.
Instagram, TikTok und „Reaction“-Videos verbreiten den Song
Der Song wurde bereits über mehrere Social-Media-Plattformen wie Instagram und TikTok gestreut, wo sich die vorher ermittelte Zielgruppe tummelt. Hierdurch konnte der Clip bereits zu Beginn einen guten Start hinlegen. Für einen anschließenden „Viral-Boost“ sorgten aber vor allem sogenannte „Reaction“-Videos. Hier kommentieren und bewerten mehr oder weniger bekannte YouTuber*innen Videos, wovon diese wiederum profitieren können. Man mag sich vorstellen, dass manche Zuschauer*innen ein unterhaltsames Fremdscham-Erlebnis erwarteten, letztendlich aber über die Qualität des Videos verblüfft waren. Sogar der HipHop-Journalist Rooz ließ sich dazu hinreißen, auf den „Lidl Plus Rap“ zu reagieren. Der Song zieht aber auch andere Formen der Aufmerksamkeit auf sich. So will beispielsweise der YouTube-Kanal einer Rechtsanwaltskanzlei überprüfen, ob es sich bei dem Clip um „unlautere Werbung“ handelt. Bevor es zu so einer Debatte und etwaigen Konsequenzen kommt, rühren solche Videos aber erstmal ordentlich die Werbetrommel.
Das Urteil
Dass Werbung immer wieder versucht, sich an ein junges Publikum anzubiedern, kann und sollte immer wieder kritisiert werden. Wenn man es jedoch nicht verhindern kann, dann sollte das Ergebnis wenigstens nicht so weh tun. Edeka versuchte kürzlich mit einer Mischung aus Werbung und Mockumentary ein neues Statement zu setzen. Grob zusammengefasst hieß die Botschaft: „Es ist nicht cool Deutschrap für Werbung zu verwenden und Edeka weiß das und deshalb ist Edeka cool“. Das Ergebnis war zugegebenermaßen interessant, aber auch etwas zu verkopft.
Lidl begibt sich mit einer neuen Variante wieder zurück zu den Wurzeln und bearbeitet nun endlich das eigentliche Problem: Rap in der Werbung fehlt meistens eine jugendliche und authentische Perspektive. Wenn man der Geschichte rund um Tillmann Glauben schenken mag, dann handelt es sich bei dem jungen Rap-Talent tatsächlich um einen Lidl-Angestellten aus Kahl am Main, der als Hobby-Rapper die Idee zu dem Song seinem Arbeitgeber unterbreitete, der ihn offensichtlich gewähren ließ. Das klingt einfach besser als die Geschichte eines Marketing-Teams, das das Wort „HipHop“ samt Mindmap auf ein Whiteboard kritzelt und dann Schlagwörter platziert.
Einzig allein die Rolle von Azad wirkt nicht ganz schlüssig. Der scheint in dem Video eigentlich nichts anderes zu tun, als Tillmann symbolisch die Erlaubnis zu erteilen jetzt den coolen Rapper mimen zu dürfen. Das hätte vielleicht auch ohne diesen Stempel funktioniert und hätte weniger Geld gekostet.