Lightning Seeds & Gomez
WENN MAN FAN VON GRENZSITUATIONS-SZENARIEN IST, könnte man es sich vornehmen, sich nur letzte Konzerte von Tourneen anzuschauen. Dann wird man zwar viel ausgepowertes Volk halbkatatonisch auf Bühnen herumbaumeln sehen, aber im glücklichen Fall haben letzte Konzerte dieses gewisse auf-Feierabend-zu-hinein-ins-Weekend-Feeling. Dann geht die Alltagskonzertroutine offroad und seltsame Dinge vor – vor allem, wenn auf der Baustelle zwei partyfeste Briten-Combos arbeiten, von denen wenigstens eine bereits hoffnungsvoll betrunken ist. Doch vor jeden Spaß hat der Herr den Quark gesetzt, heute Abend in Gestalt von Schweden-Schnuckel Andreas Johnson, der mit seiner Unwiderstehlichkeit nervt. Aber bald kommt ein schlecht rasierter Mittdreißiger in uncoolen Klamotten auf die Bühne, mit einer Band, die aussieht wie nicht aus dem Katalog, und alles wird gut. Lightning Seeds-Boss lan Broudie ist ein guter Mann. Er schreibt die unverschämtesten aller zuckersüßen Pop-Ohrwürmer. Und hat dabei das Herz eines Rrrockers, der zu gern mal in die Feedback-Bratgitarre langt, was einen ungeahnt famosen Kontrast geriert.“Sugarcoated Iceberg“ bekommt ein Akkorde-Dresch-Intro, als wären wir hier bei Crazy Horse, und selbst das auf Platte gar so sterile „Life’s Too Short“ erwacht in der kracherten Live-Version zum Leben, lan Broudie ist auch eine Respektsperson, so etwas wie eine graue Eminenz des Britenpop. Vielleicht deswegen fangen bierdosenhaltende Mitglieder der Jungspunde Comez jetzt an, nach und nach alle ihre (vielen, vielen) Gitarren auf die Bühne zu tragen, und sie im Kreis um den schüchtern-amüsierten Broudie herum aufzustellen, wie seltsame Opfergaben. Sie blödeln mit dem Schlagzeuger und piesacken den Bassisten, beim Ronettes-Cover „Be My Baby“ sind sie längst bis zu den Mikrofonen vorgedrungen. Sieht ganz so aus, als brauchte Herr Broudie jetzt auch ein kühles Blondes. Sehen sie also nun: Gomez, Engländer mit Faible für die amerikanische Weite. Was soll man sagen – sie sind druff. Und jammen gleich ungemein los. Wie eine Schülerband, die sich nicht zwischen Punk und Crateful Dead entscheiden kann, sehen sie aus, wie sie so – sieben Mann ,. hoch – ständig Instrumente durchtauschen, zwischen lärmigen Anwandlungen und Pop-Melodeien immer wieder ausufernde, aber tight rollende Improvisationen setzen. Manchmal kommt da etwas die Spannung abhanden, aber Songs wie das vom selig grinsenden Ben Ottewell gesungene „Here ComeThe Breeze“ halten das Ganze zusammen. Und bald latschen auch hier Unbefugte über die Bühne. Ist das der Lightning-Seeds-Drummer, der jetzt, während ein monströs wabernder finaler Jam anhebt, das Kommando übernimmt und anfängt, Menschen auf die Bühne zu holen und ihnen Percussioninstrumente in die Hand zu drücken? Bald ist die ganze Bühne voll, noch der letzte abwehrende Techniker wurde heraufkomplimentiert und klatscht und trinkt im Takt, lan Ball hockt am Boden und ist vollkonzentriert dabei, irgendwelchen Effektgeräten durch Knopfdruck Geräusche zu entlocken, lan Broudie sitzt im Schneidersitz mitten im Gewusel und dudelt sich einen auf der Gitarre. Und so geht das, und geht und geht und endet irgendwann nur, weil alles mal enden muss. Spaßig kann das sein, anderen Leuten beim Spaßhaben zuzuschauen. Bei Big Brother gab’s jetzt die Aftershow-Party im Internet.