Linda Ronstadt – Schnucki, ach Schnucki…
Wie unschuldig darf ein Mädchen ausschauen, daß im zarten Alter von 30 Jahren mit seiner Stimme ein Millionen-Dollar-Geschäft garantiert und mehr Platten umsetzt, als sämtliche deutschen Popgruppen zusammengenommen? Wenn Linda Ronstadt droben auf der Bühne steht wie jüngst zum ersten Mal in Hamburg und Offenbach, dann scheint es so, als sei aus einem Marktflecken an der amerikanisch-mexikanischen Grenze die Dorfschönste entwichen: Schleifchen im Haar.Kußmund und zickige Sprüche: „And on guitar…(Lachen und Glucksen)…it’s my friend…(Kichern)…Andrew Gold!“ Verkehrte Welt: Eine Lady mit gewaltiger Stimmkraft und traumhaften Bilanzen entpuppt sich als ein wahres Schnuckelchen.
Um niemanden auf die falsche Fährte zu hetzen: Ich mag Linda und ihren Country-Rock, und mich hat es gestört, daß während ihres Deutschland-Debuts ihr Produzent und Manager Peter Asher sowie ihr Plattenpräsident Joe Smith (Boß von Elektra und Asylum) dauernd um sie herumwieselten. Denn unter vier Augen hätte ich sie gerne mal gefragt, wie man sich so durchbalanciert zwischen Image und Identität, wie Erfolg, Geld, Streß aufs Gemüt drücken und Musik verändern. Aber so wie die Dinge liegen, weiß ich nur, daß Linda es haßt, ihre bislang veröffentlichten Platten zu hören, daß sie das Radio leisedreht, wenn Discjockeys ihre Hits spielen. „Ich höre immer Fehler“, sagt sie, „höre Dinge, die ich hätte besser machen können. Und das macht mich nervös.“
Ihren eigenen Songs auszuweichen, bereitet ihr Mühe. Denn mittlerweile ist sie die erfolgreichste Frau im amerikanischen Popbusiness, hat sie Joni Mitchell oder Carly Simon längst abgehängt. Ihr jüngstes Album „Hasten Down The Wind“ wurde in nur fünf Wochen 800.000mal verkauft und hat inzwischen die Millionengrenze überschritten; nach neuem amerikanischen Brauch gibt es dafür eine Platinplatte.
Den Durchbruch schaffte Linda Ronstadt mit der 1974 veröffentlichten LP „Heart Like A Wheel“, die das großartige Stück „You’re No Good“ enthielt, eine neu arrangierte Erfolgsnummer der britischen Band Swinging Blue Jeans. Lindas Aufstieg lief .parallel zum Aufschwung der Eagles, die genau wie sie aus Los Angeles kommen und mit ihr und anderen Country-Rock-Leuten – Jackson Browne, Herb Pedersen, Sneaky Pete Kleinow – seit jeher eine Art von Clan bilden. Daß sie und die Eagles in den USA zu Superstars aufrückten, markiert den Stellenwert, den die Fusion von Rock, Bluegrass und Country & Western heute besitzt: Der mal bedächtige, mal introvertierte, mal lebensfrohe Sound vom Lande, den 1968 die Band, Bob Dylan, Gram Parsons und die Byrds als neuen Trend etablierten, ist inzwischen – nach etlichen Wandlungen – ein Bombengeschäft.
Gutgetan hat dem Country-Rock die Vermarktung großen Stils natürlich nicht. Viele der jüngsten Songs von den Eagles zum Beispiel muten ein wenig an wie Fließbandprodukte, und auch Linda Ronstadt singt nicht mehr so taufrisch und gelöst wie noch auf ihrem Album „Don’t Cry Now“, das 1973 herauskam und das, so glaube ich, die beste Produktion war, die sie jemals eingespielt hat. Seit zehn Jahren lebt Linda Ronstadt in Los Angeles, und offenbar hat diese Stadt der Erfolgreichen ihre Psyche im Laufe der Zeit nachhaltig beeinflußt. Manches an der hübschen Tochter eines Rinderzüchters aus Tucson in Arizona wirkt heute so künstlich wie die Plastikblumen am Rande des Sunset Strip in L. A.: Passagen ihrer Musik und oft auch ihre Ausstrahlung auf der Bühne erscheinen seltsam unpersönlich und klinisch rein. Dabei hat sie früher durchaus auf Tuchfühlung mit den Wurzeln der Country-Musik gelebt, in Arizona sogar einen Hauch mexikanischer Folklore verspürt – spanische Songs findet man daher auch heute noch in ihrem Repertoire.
Mit 17 Jahren sang Linda Folk- und Country-Songs in dem Trio New Union Rambiers; später in Kalifornien machte sie mit der Band Stone Poneys weiter, nahm zwei LP’s auf und startete schließlich 1969 ihre Solokarriere. Die späteren Eagles Randy Meisner,Glen Frey und Don Henley gehörten damals zeitweise zu ihren Tourneebands; Clubs und Hochschulen waren die Schauplätze ihrer Konzerte. Im Frühjahr 1969 erschien Lindas erstes Soloalbum („Hand Sown, Home Grown“), ein Jahr später ihr zweites („Silk Purse“) mit der Hitsingle „Long, Long Time“. 1971 kam die LP „Linda Ronstadt“ heraus, 1973 „Don’t Cry Now“ und 1974 schließlich „Heart Like A Wheel“, ihre erste Platte,die vergoldet wurde.
Linda Ronstadt singt so gut wie keine Eigenkompositionen; sie versteht es dafür jedoch, altvertraute Rocksongs und aktuelle Ohrwürmer in ein attraktives Gewand zu verpakken. Ihre Geheimwaffe ist die außerordentliche Stimmkraft,die man ihr kaum zutraut,wenn man sie zum ersten Mal auf die Bühne kommen sieht. Bei ihren deutschen Konzerten überzeugte sie am ehesten mit schnellen, rockigen Songs: mit „Heat Wave“ etwa, dem alten Reißer von Martha & den Vandeüas, mit „Silver Threads And Needles“, einer ehemaligen Dusty Springfield-Nummer, und natürlich mit „You’re No Good“.
Ihre Balladen dagegen, die fast fünfzig Prozent des Repertoires ausmachten, zerrten zuweilen an den Nerven und gaben dem Zuhörer nur selten den richtigen Kick – der Geschmack von Plastik hing in der Luft. Linda Ronstadt, so scheint es, zahlt jetzt den Preis der Popularität, und sie spürt das auch. „Da kommen immer mehr Leute und sagen, du bist so und du wirkst soundso“, erzählte sie kürzlich. „Ich fühl mich mies‘ und auf eine bestimmte Art beleidigt. Die Leute verunsichern mich maßlos; so versuch‘ ich, so höflich und zurückhaltend zu sein, wie ich kann. Aber sehr oft werde ich dann stinksauer!“