Line Records – das Label aus dem Wohnzimmer


Immer wieder gibt es Einzelgänger im Musik-Business, die mit musikalischer wie geschäftlicher Integrität den Beweis antreten, daß Rockmusik nicht unbedingt nur den Multis überlassen werden muß. Uwe Tessnow mit Line Records gehört zu diesen Ausnahmeerscheinungen. Grund für den ME, mit Tessnow dieses gemeinsame Projekt zu machen.

In der Ausgabe vom Juni 1979 weist eine Anzeige im Musik-Express auf neue Veröffentlichungen zweier Interpreten hin, die längst als abgeschrieben galten – und folglich uninteressant, was ihre „industrielle Verwertbarkeit“ anbelangt: Mitch Ryder und Link Wray. Sollten die Multis etwa doch … ?! Nein. Ein Neuling hatte es gewagt, sich dieser verschütteten Acts anzunehmen: Uwe Tessnow (34), mit seiner Frau Jutta alleinge Inhaber der Line Records – einer Firma, die innerhalb von nur zwei Jahren fast ausnahmslos positiven Medien-und Käuferzuspruch erfahren konnte.

Tessnow („Ich mag keinen Personenkult, es geht einzig um die Musik, aber langsam kann ich mich nicht mehr dagegen wehren“), ehedem Label-Manager bei der Teldec und Repräsentant von Stiff Records, ist inzwischen auf dem Markt zu einer Institution geworden, mag er sich auch noch so sträuben. Allein: sehr oft und erst recht im Falle dieser Firma macht der Ton die Musik. Und der ist, nicht nur was die bisher ausgebuddelten Vinyl-Pretiosen betrifft, ganz einfach „ein etwas anderer“.

Das reicht von der sehr persönlichen Büro/Wohnzimmer-Atmosphäre über unaufdringliche Info-Blätter mit Lob für die Konkurrenz bis zur, von einer Portion Idealimus geprägten Fairneß im Umgang mit den jeweiligen Künstlern – die nicht selten dem Lager der Gebeutelten entstammen. Wobei ¿ der (Anti-)Chef zweier (!) Helfer keinesfalls als glorreicher Rächer der Enterbten betrachtet werden möchte: „Ich sehe mich zwar nicht als den großen Geschäftsmann, aber ich will auch leben…“.

Begonnen hatte alles 1978/ 79, die Probleme waren umfangreich: „Es war damals die absolute Discowelle, und wenn du dann mit einem rein rockorientierten Label kommst, läufst du erstmal gegen den Schrank – denn es gibt, wie’s so schön heißt, keine ‚Imagination‘ bei vielen Unternehmen. Sie sehen nur das Tagesgeschäft. Es war unheimlich schwierig, Leute von einem Konzept zu überzeugen, wie ich es damals hatte. Ich hatte noch keinen Katalog, konnte also praktisch nichts vorweisen und nur argumentieren, ‚komm zu mir und geh‘ nicht dahin oder dorthin‘.“

Die Argumentation muß offensichtlich recht stichhaltig gewesen sein, denn seitdem haben sich mehrere Dutzend Bands und Solisten Line anvertraut. Das Programm umfaßt mehr als zweihundert Veröffentlichungen, darunter über einhundert Langspielplatten.

Die Gründe für die Aufnahme eines Produktes sind von jeher „rein subjektiver Natur“ gewesen: „Wirklich rein subjektiv. In der Anfangsphase, dies als Selbstkritik, leider einige Sachen, die ich heute nicht mehr machen würde. Aber es bestand halt die Schwierigkeit, überhaupt etwas zu bekommen. Heute, ganz ehrlich, bin ich versucht, meine Lieblingsinterpreten, die schon jahrelang bei mir im Kopf sind, wie ein Plattensammler auf Line zusammenzubringen.“

Und zumindest zwei dieser seiner Favoriten haben sich zu echten Publikumsmagneten entwickelt: Roger Chapman und ein Line-Getreuer der ersten Stunde, Mitch Ryder.

Chappo, der unscheinbare Bursche mit dem Flair eines Berserkers, hatte lange als Mitglied der unangepaßten Family und Frontman der unterbewerteten Streetwalkers in vorderster Reihe einer imaginären Sänger-Bestenliste gestanden. Ihm, dem „Spike“ auslenny Fabians Milieuroman „Groupie“, würden nach der Auflösung der Streetwalkers alle Türen offenstehen – so dachte man zumindest.

Doch gerade 1979 wurden diverse Firmen radikalen Budgetkürzungen unterzogen; außerdem blendete offensichtlich die krampfhafte Suche nach der „New Wave“ -Sensation. Wer wollte da schon das vermeintliche Risiko eingehen und einen 37jährigen Aussteiger verpflichten…?!

So war Chapmans Gastspiel beim Acrobat-Label auch nur von kurzer Dauer – trotz zweier hervorragender Alben. Als sich dann in England niemand für ihn interessierte, griff Uwe Tessnow zu und konnte den Shouter verpflichten.

Thema Verträge: „Ich habe mit Chapman quasi einen ‚lebenslänglichen‘ Deal per Handschlag. Wir machen zwar im Nachhinein dann immer etwas Schriftliches für die jeweilige Platte, aber es ist nicht so, daß ich ihn für exakt fünf oder zehn Jahre an Line gebunden habe. Das heißt, wenn morgen wer kommt und ihm 100 000 Dollar für seine nächste LP bietet, dann kann er jederzeit unterschreiben. Was dann bliebe, wäre eine persönliche Sache zwischen Chapman und mir, daß wir uns an die Köpfe geraten oder aber uns gegenseitig Glück wünschen.

Das Ganze hat folgenden Vorteil: dieser Modus setzt mich einem ganz konkreten Druck aus. Ich hab‘ zu geben, Vertrauen zum Beispiel, ich muß korrekt sein, was Abrechnungen betrifft, verläßliche Tourbetreuung. Wenn das nicht klappt, besteht die Gefahr, daß die Künstler gehen. Eine Form von Selbstzwang, die ich mir gerne auferlege.“

Chappos erste Line-LP, MAIL ORDER MAGIC, war ein Glücksgriff. Sie verschaffte dem Mann aus Leicester ein Comeback nahezu wie aus dem Bilderbuch und – „das kannst du gerne erwähnen“ – verkaufte sich obendrein so gut, daß sie zumindest sämtliche Vorkosten amortisieren konnte: „Verdient, und das ist die reine Wahrheit, hat Line nicht eine Mark.“

Eine begeisternd verlaufene Tournee rundet das positive Gesamtbild ab. Inzwischen hat Line die Acrobat-Alben wiederveröffentiicht (CHAPPO mit dem Zusatztrack „Let’s Spend The Night Together“ und LIVE IN HAMBURG mit einer limitierten 12″-Live-Single als Beigabe). Von MAIL ORDER MAGIC ist – ohne Extrawerbung, ohne Aufpreis – eine begrenzte Anzahl als qualitativ hochwertige Halfspeed-Pressung in den Handel eingeflossen. Parallel zu diesem Sampler ist auch Chapmans neues Album HYENAS ONLY LAUGH FOR FUN erschienen.

Da in England in Sachen Chapman noch immer geschlafen wird, gründete Chappo unlängst sein eigenes Camera-Label, um zunächst MAIL ORDER MAGIC zu vertreiben. Sein Stellenwert hierzulande steigt dagegen weiter: Family- bzw. Streetwalker-Platten sind wieder im Handel…

Das amerikanische Pendant zu Chapman ist Mitch Ryder, der via Line nach mehrjähriger Abwesenheit ins Rock-Business zurückgekehrt ist. Die Historie des hochexplosiven, aber auch äußerst sensiblen Vokalisten mit der Überstimme ist bekannt: Hitlistenstürmer während der Mittsechziger („Jenny Take A Ride“, „Good Golly Miss Molly“), dann eine völlig verkorkste Umpolung zum Las-Vegas-Schnulzer, Schulden satt.

Zweiter Anlauf 1971 mit der Meister-Band Detroit, deren einziges Album sensationell war und ist, aber erneutes Scheitern. Auch die Knockdown-Party Band um ex-MC 5 Wayne Kramer und The Wild West Show (an der Gitarre ex-Mountin Leslie West) fiel durch. Ryder jobbte in Fabriken, Büros, Kaufhäusern. Erst der Produzent Tom Conner konnte den verständlicherweise sehr mißtrauisch gewordenen Mr. William Sherille Levise – so Ryders eigentlicher Name -1978 zu einem Neuversuch bewegen. Same old story: keinerlei Interesse der Großfirmen, aber…

Die Achse Hamburg/Detroit war schon bald hergestellt, die Kooperation läuft seitdem „zu den gleichen Bedingungen wie bei Chapman“. HOW I SPENT MY VACATION und NAKED BUT NOT DEAD sind die wohlbewerteten LP-Resultate. Den kontrovers empfundenen Auftritt im Rockpalast korrigierte Ryder in Form einer rundum gelungenen 16-Städte-Tournee im Herbst 1980. GOT CHANGE FOR A MILLION?, mit dem im Text fast hellseherischen Anti-Reagan-Song »Ich Bin Aus Amerika“, folgte mit ebenso positiver Resonanz.

Und – ganz plötzlich – besteht auch in den USA seitens einiger potenter oüshot Labels wieder akutes Interesse an der vergessenen Rock-Legende. Ryders jüngster Streich auf Line: die Doppel-LP TALKIES, digital live im Studio aufgenommen, angereichert mit einer direktgeschnittenen Maxi-Single. Wie schon das Halfspeed-Projekt MAIL ORDER MA-GIC verbraucherfreundlich. Tessnow: „Ich will eine höhere Qualität des Produktes bringen. Aber das Entscheidende ist, konkret zu beweisen, daß solche Sachen möglich sind, ohne in sphärische Verkaufspreise abzugleiten.“

Und wenn bei sowas die Vertriebsfirma nicht mitzieht? „Dann sperre ich die Platten. Die Sache ist doch so: die geben mir soundsoviel Gesamtvorschuß und wenn ich ein 78er-Mastertape anliefere, womit man Halfspeed machen kann, zahle ich jederzeit einige Extras wie zusätzliche Überspielfolien usw. Das heißt: wo ist die Berechtigung der Firma, mehr für das Produkt zu verlangen?

Genauso beim direct cutting. Die Zusatzkosten übernehme ich gerne zusammen mit dem Künstler, damit die Möglichkeit für die Industrie wegfällt, plötzlich statt, was weiß ich, 29 gleich 38 Mark zu verlangen. Klar gibt es ein Mehr an Aufwand, an Kontrollen, aber dann müßte auch jede ganz normale Klassikplatte diese astronomischen Summen kosten. Es geht auch anders!“

Chapman und Ryder blieben also „linientreu“, zwei weitere hoffnungsvolle Kräfte dagegen konnten/sollten nicht gehalten werden. Einer war der ewig erfolglose Sean Tyla, dessen JUST POPPED OUT-LP und vor allem die ausgekoppelte Single „Breakfast in Marin“ (Line’s Debüt in den hiesigen Charts) dem ex-Pubrocker endlich auf die Sprünge geholfen hatten. „Absolut niemand wollte ihn nehmen, es war eigentlich nur eine Promotion-Single geplant. Später war’s dann abzusehen, wie sich das entwickeln würde. Aber das liegt sehr oft an Leuten im Hintergrund. Zu Tyla habe ich persönlich weiter das beste Verhältnis.“

Ärgerlicher allerdings der Fall des Terry Dolan (Terry & The Pirates), der seine komplette Westküsten-Band jüngst an John Cippollina verlor, „weil die Musiker endlich ’ne entspannte Situation haben wollten“ und mit dem Uwe Tessnow „überhaupt nichts mehr zu tun“ hat: „Die LP war ja nur hier rausgekommen, aber er hat sich plötzlich aufgeführt, als sei er Jefferson Airplane. Dagegen so’n Typ wie Chapman, der bleibt total auf dem Boden und sagt, ‚Los, komm‘ und laß uns machen‘.“

Ebenso geplatzt sind Deals mit Wilko Johnson und der Gruppe Force (Tyla, Deke Leonard, Martin Ace und Terry Williams), weil sich „quasi über Nacht die Forderungen irgendwelcher Manager und Geldeintreiber ständig erhöhten, wie auf einer Auktion, obwohl vertraglich .schon alles ausgehandelt war.“

Daß trotz vereinzelter Rückschläge erhebliche Programmvielfalt vorherrscht, verdeutlicht ein Blick auf den Line-Katalog, der- konkrete Schwerpunkte eigentlich nicht aufweist. Vielleicht weniger spektakulär als der Gesamtbereich USA erscheint die „England-Fraktion“. Einiges dreht sich dabei um einstige Musiker der Joe Cocker assistierenden Grease Band. So sind beide vorzüglichen Originalalben dieser Gruppen erhältlich, Chris Staintons gleichfalls lange verschwundene TUNDRA-LP liegt vor, und das beinahe komplette Team unterstützt die farbige Sängerin Viola Wills auf WTTHOUT YOU sowie deren Kollegen Gareth Mortimer: Morty & The Racing Cars, LOVE BUND.

Weitere Sänger von Format sind Mike Harrison (Solo, RAINBOW RIDER und mit Spooky Tooth, THE MIRROR) und Carol Grimes, „der größte Flop auf Line“. Der Dauer-Verkannte und Kritikerliebling Mickey Jupp zahlt mit drei Platten zum festen

Stamm und ist in England nun genauso gefragt wie die Folk- bzw. Comedy-Rocker Chas & Dave (ex-Heads, Hands Feet).

Gitarrist Ion Mark gehört zur hochkarätigen Besetzung auf Paul Williams‘ Blues-Juwel IN MEMORY OF ROBERT JOHNSON, ist bei SWEET THURSDAY vertreten und natürlich eine Hälfte von Mark-ALmond. Deren definitiv letzte LP THE LAST & LIVE sorgte eine Zeitlang für abendliche „Round table‘-Sitzungen in Alsternähe: Familie Tessnow – Line goes Leim – klebte in Handarbeit die notwendigen Spezialcover für die Doppelplatte. Vorläufig letzter GB-Vertreter: ex-Deaf School Clive Langer (SPLASH).

Von der Insel kommen jedoch vermehrt und unaufgefordert Offerten an Line. So beispielsweise von den früheren Man- und Help-Yourself-Musikern Deke Leonard, Malcolm Morley und Martin Ace, die alle noch Unveröffentlichtes in den Archiven haben. Verstärkt melden sich auch Bands aus den USA (Bay Area, Westcoast). Uwe: .Ein schönes Gefühl, zumal nach der harten Anfangszeit, wo einem nur Knüppel zwischen die Beine geworfen wurden. Deswegen bin ich vielleicht momentan in einer Phase, wo ich sage: ‚Ich nehm’s zur Kenntnis‘; diese jetzt aufflammende Goodwill-Attitüde von vielen Leuten, ich nehm‘ sie eher skeptisch an, gerade jetzt, wo langsam so etwas wie Erfolg aufkeimt.“

Kleine, aber deshalb nicht minder aufmerksam betreute Abteilungen sind Kanada und „Euro-Rock“. Die beinharte Toronto-Kapelle Battered Wives (mit Spuren sowohl von Schwermetall als auch „New Wave“) mußte sich bisher drei Alben lang un ter Wert schlagen, der ex-Dudes/ex-Wackers Bob Segarini und die True Confessions bestreiten ebenfalls noch Aufstiegsspiele.

Heimatliche Gefilde werden repräsentiert durch Bad News Reunion, auf der Wellenlänge von London bis Los Angeles, die Zwölftakter der Rainer Baumann Band und Larry & The Movers um den Duesenberger Harry Gutowski, seines Zeichens Beat-Apologet aus der Starclub-Ära. Von drauß‘ vom Walde kommen die finnischen Rhythm & Blueser The Dogs, formiert aus Mitgliedern der dort führenden Hurriganes.

Die Oldies-Kisten der Fachgeschäfte bedient Line mit unveröffentlichtem Material der Easybeats (THE SHAME JUST DRAINED), Uralt-Rock’n’Roller Gene Vincent (BIRD DOGGIN‘) und gleich sieben Alben des „Runaway“-Sängers Del Shannon. Letzteres ein Resultat durchaus üblicher Paket-Ankäufe, sei’s einen Künstler oder aber ein Label betreffend.

Das dominierende USA-Kontingent auf Line ist ebenso Folge einiger Kompakt-Deals. So bestehen gegenwärtig Auswertungsverträge mit Greg Shaws Bomp und mit älteren Firmen wie Challenge, Vault oder Autumn.

Die Zahl der auf einigen Compilaüons gebündelten Bands steigt und steigt. Es erscheinen dabei Namen, die selbst in den Staaten oft nur regional bekannt sind. VAMPIRES FROM OUTER SPACE z.B. stellt Kim-Fow ley-Ausgrabungen vor, WAVES VOL. 1 &2 sowie BEST OF BOMF und HITS OF M1D-AMERICA lassen gleichfalls mehr oder minder Namenlose aus den Bereichen Power-Pop, Punk, „New Wave“ und Verwandtes zu Wort und Ton kommen. Daß zugleich rare Einspielungen, u.a. der Flamin‘ Groovies, des Rockfield Chorale mit Dave Edmunds oder von Iggy And The Stooges, enthalten sind, mag die Sampler auch für spezielle Sammler interessant machen.

In Planung befinden sich die Serien „Producers Profile“ (hier werden, Audie Ashworth soll beginnen, verschiedene Arbeiten eines Produzenten angeboten); „On The Radio“ (Rundfunkaufnahmen, live, von Bands wie Copperhead, Quicksilver und anderen) und: „Mindrocker“, hinsichtlich ihrer Entstehung eine hierzulande bis dato wohl einmalige Unternehmung. Auf mehreren Langspielplatten, „wenn’s geht, zehn oder mehr“ (Uwe), sollen bergeweise obskure, verschollene Songs des amerikanischen „Garagen-Punk“ der Jahre um 1965 zutage gefördert werden. Und: für die Zusammenstellung sorgen … alle Fans und Interessanten!

Bis Ende Juni herrschte sozusagen die freie Auswahl, da Line mit den infragekommenden Lizenzhaltem kaum Probleme hatte. Die Überspielungen erfolg(t)en von noch versprengt existierenden Platten und Originalbändern. Aufnahmen der Other Half, Tikis, Fenwyck, Fire Escape, Au Go Go’s undundund (Volume I) werden eine Dokumentation entstehen lassen, die zweifelsohne mit den US-Vorreitern „Nuggets“ und „Pebbles“ konkurrieren kann.

Einige Bands aus jenen Tagen tauchen bereits im laufenden Line-Programm mit Wiederveröffentlichungen bzw. neuem Repertoire auf. Kantiges vom Schlage der legendären Seeds oder Sonics, Weichliches der Marke Knickerbockers, Beau Brummeis und Barbarians, außerdem Kenny And The Kasuals oder der instrumentale Surf-Beat von Jon And The Nightriders, die einen harmlosen, aber stimmungsvollen Wellenritt direkt aus den Lautsprecherboxen spülen.

Neben eher halbdunklen Namen wie diesen trägt das Gros der US-Mannschaftsaufstellung Züge eines „Who’s Who In Rock?“. Für die Blues-Entusiasten wurden fünf Alben der

ewig links und sonstwo liegengelassenen Siegel-Schwall-Band wieder zugänglich gemacht. Ähnliches gilt für den Sektor Country im Falle dreier Werke von Mason Proffir, die lange Zeit den ja allerorts bekannten Händlern der Sorte Gierschlund & Raffke zu Wuchergewinnen verholfen hatten. Waschechter Rock’n’Roll ist von Link Wray vorhanden (er besorgte mit BULLSHOT, Line LLP Nr. 5001, die Premiere des Labels), zwei weitere Edel-Gitarristen sind Elvin Bishop und der verstorbene Mike Bloomfield.

Schwerpunkt Westküste: neben den eingangs erwähnten Terry & The Pirates konnten u.a. John Cipollina, Nick Gravenites, Commander Cody und David Laflamme gewonnen werden. Auch Moby Grape sind LIVE wieder da, in Kentucky gibt’s außer dem unsterblichen J31ue Moon“ noch immer die N.R.B.Q. und sogar die schon x-mal totgesagten Spirit kochten eine Kartoffelstory aus, POTATOLAND. Die Grandmothers treiben s in Abwesenheit von Väterchen Frank mit Line, zwei sogenannte „Kultfiguren“, Alex Chilton und Arthur Lee (Love), segeln ebenfalls unter Hamburger Flagge.

Alles in allem also eine, für ein nach wie vor kleines Label, immense Fülle. Sind eigentlich noch einige „Wunschposten“ offen? „Mein absolutes Lieblingsthema ist momentan Mindrocker. Aber ich frage mich natürlich, wieder rein subjektiv und sammlermaßig, wo liegen andere Sachen brach, die ich gerne hätte? Rockpile ist ja nicht mehr, doch wo ich im Äugenblick dran bin und was mich faszinieren würde, sind die beiden alten Big-Star-Platten mit Alex Chilton. Eine Riesensache wäre es natürlich auch, die Creedance-Clearwater-Leute wiederzubelebea Darin sehe ich sowieso meine Kreativität, daß ich irgendwas im Hintergrund machen kann, z. B. Ryder weiter konsequent aufzubauen, Chapman weiter aktuell zu halten oder einen Alex Chilton regelrecht zu suchen. Das ist meine Projektion.“

Also geht es unvermindert vorwärts? Ja, solange es mir Spaß macht, ganz klare Aussage, da gibt’s keine andere Diskussion. Wenn der Spaß weg ist: Feierabend. Es kann passieren, daß die Sache zu groß wird. Und dann ist Schluß, wenn ich in der Situation bin, daß ich nur noch Schecks unterschreibe, Verträge mache, Anweisungen gebe oder im Flugzeug sitze. Definitiv ist’s dann aus.

Es gibt aber andererseits so eine Art Vision bei mir. Daß ich vielleicht eines Tages auch das Thema Vertrieb, Promotion, Marketing… daß ich das selbst mache. Aber gerade nicht aus Expansionsgründen. Ich halte das für sehr wichtig, weil ich – ein Beispiel dafür kämpfen muß, daß ich keine Vierfarbanzeige kriege. Es heißt, ‚Hier, Musikmarkt, toll, bunte Bilder, Headline usw…. Linein ganz groß’… und ich muß hingehen und sagen, ‚Vergiß die Überschrift mit dem ‚größten Ding der Welt‘, sondern schreib ‚das ist eine LP von Line‘ … vergiß die Vierfarbanzeige und gib mir stattdessen lieber sechs Randstreifen im Musik Express oder Sounds‘.

All das möchte ich mehr gestalten können. Noch enger mit den Künstlern zusammenarbeiten, wenn sie mal hier sind. Mehr Zeit haben für Gruppenbetreuung. Nicht ‚Guten Tag, ich komm‘ von sowieso und jetzt hab‘ ich noch ’n anderen Termin‘.“

Weitere Ideen? Ja, die Cover etwa. Wenn ich eine Hochpreis-LP für zehn Mark veröffentlichen könnte, wäre ich geneigt, eine Art Standardhülle zu machen: schwarzweißes Bild, Informationen gesetzt oder mit Schreibmaschine, gefütterte Innenhülle mit Texten, und dafür den Preis um fünf Mark drücken. Denn warum gibt’s z. B. auf dem Buchmarkt Paperbacks?! Warum ist so ein Prinzip nie in der Schallplattenbranche gelaufen? Für mich ist nach wie vor entscheidend, was auf der Scheibe drauf ist und nicht das bunte Bild. Hüllenetat, das nebenbei, bei Hipgnosis für irgendein Mammut-Ding: ca. 10000 Pfund. Aber all das hat dann auch wieder mit dem Vertrieb zu tun, das seihst zu kontrollieren, damit nicht am Ende doch wieder neunzehn Mark verlangt werden.Das Problemist: wie und wo finde ich eine Form für eine solche Diskussion um m.E. über wesentliche Dinge zu sprechen und nicht darüber, was nun gerade der neue Trend ist oder sonstwas.“

Vieles des hier Gesagten mag zu idealistisch klingen, womöglich illusorisch. Geht man jedoch davon aus, was bisher trotz etlicher Widrigkeiten in die Tat umgesetzt werden konnte, ist ein mildes Belächeln derartiger Vorhaben eher unangebracht Es ist – wie gesagt – so einiges schlicht „anders* bei diesem Label. Wobei der Begriff .Alternativer“ zu Recht auf Ablehnung stößt: „So sehe ich mich überhaupt nicht. Ich bin zwar kein Industrie-Label im herkömmlichen Sinne – bei zweieinhalb Mitarbeitern – aber ich benutze zumindest das Umfeld der Industrie, was Pressung, Hülle etc. betrifft. Ich mache Platten für Leute, die Spaß an der Musik haben. Und die gibt’s auch im Bayerischen Wald oder im Westfälischen Hochland. Also muß ich sie dort erreichen, und folglich brauche ich einen intakten Vertrieb.“

Dies also in groben Umrissen eine Chronik der gelaufenen und noch laufenden Ereignisse um einen willkommenen Störenfried auf der Glaspalast-Szenerie, dem die vielen postiven Kritiken „schon bald peinlich“ sind: „Aber irgendwo brauch‘ ich das ja auch.“

Zweifel an einigen seiner Veröffentlichungen, die absolut angebracht sind, finden den gleichen Stellenwert als «unbedingt nötiger Ansporn“. Und daß ein Mitch Ryder plötzlich unter all den Arrivierten in den Hitparaden und einSeanTyla neben Gräßlichkeiten wie „Some Broken Hearts Never Mend“ auf Arrrrcade auftauchte, „das macht ja aus beiden keine schlechteren Musiker.“

Was bliebe zu erwähnen? Vielleicht daß sich Ryder-Fans freuen können. Denn sowohl für dessen DE-TROIT-Album von 1971 wie auch die LP THE DETROIT/MEMPHIS EXPERIMENT stehen die Chancen einer Neuauflage nicht schlecht. Oder daß die für einige Line-Cover mitverantwortliche Jennifer Luttow“ doch mehr auf den Namen Uwe Tessnow hört … („auch das spart wieder Geld“). Oder daß Line weiterhin auf Österreich, die Schweiz und dieses, unser Land beschränkt bleiben soll: „Ich möchte nicht, daß das Label woanders und von anderen gedealt wird, weil ich mich für die von mir mit den Künstlern geschlossenen Verträge verantwortlich fühle. Im anderen Fall laufen dann womöglich Sachen, für die ich nicht mehr garantieren kann.“

Abschließend noch einmal zur „roten Laterne“ von Line. Ein paar Dutzend Carol-Grimes-Fans brauchten sich nicht länger die Hacken abzulaufen auf der Suche nach der zweiten LP der Dame, und sie mußten auch keine Irrsinnspreise auf irgendwelchen Börsen dafür zahlen. Nicht zuletzt diese einhundert und… verkauften Exemplare beantworten die Frage nach der Notwendigkeit eines Projektes wie Line Records.