Ex-Liquido-Sänger Wolfgang Schrödl im Interview: „Von ‚Narcotic‘ kann ich bis heute leben“
Wir sprachen mit Wolfgang Schrödl Ende Februar, also noch vor Ausbruch der Coronakrise, über reizlose Rockmusik, reizvollen Electro Pop, den weltweiten Erfolg von „Narcotic“ und über eine mögliche Livereunion von Liquido.
Magst du ihre jüngeren Platten auch noch?
An die ersten beiden Platten kommen sie nicht mehr ran. PINKERTON war ein kommerzieller Flop, für mich aber ein absoluter Meilenstein. Seit der damalige Bassist aufhörte, ist Weezer für mich nicht mehr das gleiche. Ich verzeihe dieser Band trotzdem alles.
Die „Narcotic“-Neuauflage mit YouNotUs entstand 2019 eher durch Zufall, stimmt‘s?
In Berlin-Kreuzberg mietete ich ein Studio. Ein paar andere Jungs kamen als Co-Hauptmieter dazu und sprachen mich in der Küchenzeile an, ob sie sich mal an meinen Song herantrauen dürften. Ich wusste von ihnen nur, dass sie Schattenproduzenten von Alle Farben und anderen DJs waren. Dachte deshalb, sie fragen für Alle Farben an. Ich kannte diese Welt nicht. Ich habe „Narcotic“ 20 Jahre lang ziemlich teuer gehalten und es praktisch nie freigegeben. Anfragen für Remakes und Remixes gab es immer. Die eingesandten Demos gefielen mir nie. Ich wollte geduldig auf die richtigen Leute warten.
Und plötzlich standen sie in deinem Studio.
In dem Fall kam es anders als geplant, ja. Ich bin als alleiniger Urheber des Songs sehr protektiv. Habe Tobias Bogdon und Gregor Sahm, so heißen sie, dann aber zugestanden, sich mal daran zu setzen. Ich war schließlich ihrerseits im Studio jederzeit willkommen. Protegieren wollte ich aber nicht, ist ja nicht mein Genre. Ich habe geholfen die Akustikgitarre einzuspielen. Sie wollten sogar, dass ich die Nummer singe. Wollte ich aber nicht. Ich werde als angebliches One-Hit-Wonder ja eh seit 20 Jahren auf diesen Song reduziert. Deshalb habe ich als graue Eminenz dann nur den C-Part gesungen. Den Hauptteil singt der Niederländer Janieck. Erst nach den Aufnahmen erfuhr ich, dass die Jungs den Track als YouNotUs selbst herausbringen wollten. Alle Plattenfirmen hatten Bock und ich habe es bei aller Skepsis freigegeben. So kam es zu dem Erfolg, mit dem ich selbst gar nicht rechnete.
Trotzdem: Fandest du es zuerst aus künstlerischer oder kommerzieller Sicht interessant?
Aus kommerzieller Sicht war ich schon immer sehr selbstbewusst. Ich wusste seit jeher, dass irgendwann der Zeitpunkt für ein Remake gekommen ist und ich dem nicht nachlaufen muss. Ich hätte auch noch länger warten können und musste es aus finanziellen Gründen nicht freigeben. Aus kreativer Sicht fand ich es deshalb spannend, weil die vorherigen Anfragen selten Ausflüge in andere Genres boten. Für mich war klar: Wenn ich „Narcotic“ neu auflegen lasse, dann in einem dem Original gegenüber völlig fremden Genre. Kein Rock, kein Indiepop, kein College Rock. Einen 100BPM-Bouncer á la „Und jetzt alle springen!“ brauchte ich auch nicht.
Woher kannten diese Mittzwanziger den Song überhaupt? Sie konnten kaum laufen, als er herauskam.
Sie wussten anfangs nicht, wer ich bin. Aber in aller Bescheidenheit: Das Lied kennt wirklich jeder, auch in deren Generation. Der Nachteil ist, dass ich darauf reduziert werde, der Vorteil ist die Bekanntheit.
Kannst du dich noch daran erinnern, wie du „Narcotic“ geschrieben hast? 1998 kam er heraus…
… und ging anfangs ganz schlecht los.
Ich habe ihn zum ersten Mal auf einem Sampler der Kolleg*innen vom VISIONS-Magazin gehört.
Oh wow, dann warst du ja wirklich einer der ersten, die ihn hörten, damals noch in einer Demoversion. Geschrieben habe ich die Nummer 1996, mit 21 Jahren. Kann mich natürlich ganz genau daran erinnern. Das Lied wurde wahrscheinlich auch deshalb so erfolgreich, weil es ein ehrliches ist. Ich verarbeite in dem Lied die Trennung von meiner damaligen Freundin, die mich verließ. Die Nummer schrieb ich in zehn Minuten an meinem neuen Keyboard. Komposition und Text schrieben sich fast von selbst.
Und dann?
Zwei Jahre lang hat unser Demo bei den Plattenfirmen kein Schwein interessiert. Dann kam dieser VISIONS-Sampler namens „The New, The Classic & The Unexplored“, da waren sogar Turbonegro mit drauf. So fanden wir einen Verlag, der es schaffte, dass die Demoversion beim Mainstreamradio lief. Mit dem Pfund im Gepäck hatte sich dann auch eine Plattenfirma erbarmt. Wir galten anfangs sogar trotz Erfolg als Kritikerlieblinge, das kam als innovativer Chartrock an, und ungewöhnlich wollten wir ja auch sein. Vier Akkorde mit Keyboard und Indiepop gab es aus Deutschland wirklich so gut wie noch nicht. So ging es los.
Und dann wurde „Narcotic“ weltweit ein Hit.
Nur nicht im UK und in den USA.
Warum dort nicht?
Im UK kam es gar nicht raus. Angeblich weil der Markt für kontinentaleuropäische Musik dort eh so klein ist. Und weil es im Radio eh nie laufen würde wegen des Drogenkontexts im Text. In den USA war es nicht messbar im Sinne von Billboard Charts oder ähnlichem. Trotzdem kennen den Song dort sehr viele Leute. Vermutlich weil es national auf K-Rock in hoher Rotation lief. So wurde es mir erzählt. Wir tourten dort aber nie.
Du verdienst wahrscheinlich bis heute noch ganz gut daran?
Ja, Gott sei Dank. Die Tantiemeneinnahmen geben mir die Freiheit, Musik zu machen, weil ich es will, aber nicht, weil ich es muss. Deswegen habe ich jahrelang mein Indiezeug machen können, was auf kommerzieller Ebene völlig uninteresssant ist. Davon kann man nicht leben. Ich kann mir das erlauben. Ich habe diese Luxus und bin sehr dankbar dafür.
Ihr wart ja nicht nach „Narcotic“ wieder weg. Ich erinnere mich an Singles wie „Play Some Rock“ und „Doubledecker“, die nicht mehr so groß wie ihr Vorgänger wurden.
Wir haben fünf weitere Platten gemacht. Drei bei Virgin. Ich akzeptiere, dass wir als One-Hit-Wonder gelten. Aber die anderen Songs wurden auch so erfolgreich verkauft, wie man es sich heute kaum noch vorstellen kann. Es reichte halt nur nichts an „Narcotic“ ran. Das ist schade. Zwei weitere Alben erschien bei Nuclear Blast. Daraus könnte man noch unsere Single „Ordinary Life“ kennen. In Italien war das unsere einzige Nummer 1. „Narcotic“ aber stellte alles andere in den Schatten.