Interview

Lisa im Interview: (K)eine Pause von Blackpink

„Jetzt ist eine gute Zeit, um mich selbst zu erforschen. Mich mehr herauszufordern“ – Lisa im großen ME-Gespräch.


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Die 27-jährige Thailänderin LaLisa Manobal kennt die halbe Welt als Lisa von Blackpink – eine der größten K-Pop-Bands der Jetztzeit. Wie auch ihre Bandkolleginnen Jennie, Rosé und Jisoo nutzt sie die Auszeit aber nicht für Erholung und Urlaub, sondern um sich auch außerhalb der K-Pop-Welt zu behaupten. Lisa brachte Ende Februar ihr Soloalbum ALTER EGO raus, gibt in der aktuellen Staffel der Kultserie „The White Lotus“ ihr Schauspieldebüt und modelt um die Welt – im Sommer geht’s dann schon mit einer Blackpink-Stadion-Tour weiter. Wir hatten die sehr rare Chance, Lisa kurz vor Release ihres Albums in London zu treffen.

Hey, hattest du bisher eine gute Zeit in Paris?“ Es hätte bessere Icebreaker gegeben, wenn man sich in einem Londoner Fünf-Sterne-Hotel mit einem K-Pop-Idol trifft und sich als seriöser Musikjournalist empfehlen will. Andererseits hat der Versprecher gleich einen sehr freundschaftlichen Ton gesetzt. Lisa lacht nämlich laut auf, greift einem kurz verschwörerisch an den Unterarm und grinst: „Ach, keine Sorge, ich komme manchmal auch durcheinander mit den Städten.“ Wenn man sie dann im zweiten Anlauf fragt, ob sie eigentlich jedes Mal von König Charles angerufen wird, wenn sie in England einreist, weil sie (wie alle vier Blackpinks) den Titel „Honorary Member of the Order of the British Empire“ trägt, erzählt sie grinsend: „Leider nicht. Aber der Tag im Buckingham Palace, als wie diesen Orden überreicht bekommen haben, war wirklich besonders. Man sitzt da in Räumen, die nur wenige Menschen betreten dürfen. Es war eine große Ehre für uns. Wir hatten viel Spaß. Es gab ein festliches Dinner und so. Wir haben immer getuschelt, so nach dem Motto: ‚Oh Mann, da sitzt tatsächlich der König!‘“ Manchmal sei es aber auch ein wenig stressig gewissen, denn: „Es gab so viele Regeln! Ich wusste nie, wann man das Glas zum Anstoßen heben muss, oder wann man besser gar nicht isst, obwohl der Tisch voll ist. Ich habe dann immer die anderen beobachtet, die aussahen, als wüssten sie, was gerade passiert.“

Damit kriegen selbst jene, denen man noch ein wenig über LaLisa „Lisa“ Manobal erzählen muss, einen Eindruck, was diese junge Frau für ein Leben führt. Zwei Tage vor unserem Termin hatte Lisa übrigens tatsächlich für ihre über 105 Millionen Follower:innen noch eine Insta-Story aus Paris geteilt, bevor sie dann für eine Handvoll Pressetermine nach London reiste. Wo sie am Vortag dann auch noch im Rahmen einer Guinness-Kooperation im Emirates Stadium den Münzwurf beim Spiel FC Arsenal gegen Tottenham Hotspurs vollzog. Über die Aufnahmen ihres Solodebütalbums ALTER EGO erzählt sie: „Meistens war ich in Los Angeles im Studio. Aber immer, wenn ich wirklich busy war und keine Zeit hatte, hinzufliegen, habe ich mein Team in die Stadt geholt, in der ich gerade war. Wir waren also auch in Seoul im Studio, in Miami, sogar auf Ko Phuket in Thailand. Man könnte also sagen, es war eine sehr globale Produktion.“ Das passt ebenso gut wie die Feststellung, dass sie inzwischen eine sehr globale Karriere führt.

Aber zurück zum Interviewtag in London. Dass der geklappt hat, ist ein kleines Wunder für sich. Wer über K-Pop schreibt, hatte sich in den letzten Jahren fast schon dran gewöhnt, dass man so gut wie niemals ein K-Pop-Idol (so nennt man die über mehrere Jahre ausgebildeten Performer:innen) sprechen wird. Die südkoreanische Industrie hat eigene Wege der Kommunikation – die sie weitaus besser kontrollieren kann als ein klassisches Interview. Idols in Lisas Größenordnung treten zwar in Südkorea in TV- und Radio-Shows auf, antworten in Livestreams mit ihren Fans auf einige, eher harmlose Fragen und kommen gerne in die großen amerikanischen Late-Night-Shows – recht freie Interviewsituationen, wie man sie bei uns im Musikjournalismus voraussetzt, waren jedoch lange Zeit kaum möglich. Mit dem internationalen Siegeszug koreanischer Popmusik – der dank BTS, Stray Kids, Twice, Aespa, Le Sserafim und eben Blackpink vor allem den amerikanischen Markt erfasste – hat sich das ein wenig geändert. Bei Lisa stellt sich zum Glück auch das Problem der Sprachbarriere nicht: Sie spricht fließend Englisch – neben Thai, Mandarin, Koreanisch und Japanisch. Das Label ließ sich allerdings zum Vertrauensaufbau im Vorfeld noch ein halbes Dutzend Texte schicken, die belegen, dass man sich mit K-Pop im Allgemeinen und Blackpink im Speziellen auskennt.

Blackpink ist ein gutes Stichwort: Deren Fans, „Blinks“, genannt, haben ausgerechnet, dass Lisa, Jennie, Rosé und Jisoo in letzter Zeit solo schon mehr Songs veröffentlicht haben, als Blackpink in ihrer gesamten Karriere. Lisa lacht wieder dieses strahlende Lachen, wenn man sie auf diesen Fakt anspricht. „Jaaaa, ich weiß. Die BLINKS haben verständlicherweise oft geklagt: ‚Gebt uns mehr Songs! Das reicht nicht!‘“ Die Gründe dafür erklärt Lisa so: „Als ich in Blackpink war – was ich natürlich immer noch bin – ging es uns bei der Arbeit an einem Album immer darum, wirklich etwas Spezifisches zu finden, das eben nur Blackpink machen kann. Etwas, dass die Einzigartigkeit einer jeden von uns highlightet und trotzdem diesen gemeinsamen Blackpink-Punch hat. So was braucht Zeit, bis es wirklich perfekt ist und der Zeitplan für uns alle aufgeht, weil wir ja alle unsere Verpflichtungen haben.“ Nach der letzten Tour sei für alle klar gewesen, dass die vier einen längeren Zeitraum an Me-Time haben wollten. „Wer sich ausruhen wollte, konnte das tun“, sagt Lisa. „Wer sich sofort in eigene Dinge werfen wollte, natürlich auch.“ Lisa gehörte – wie eigentlich alle anderen auch – zur letztgenannten Fraktion. Sie nahm besagtes ALTER EGO auf, rauschte schon vor Album­release mit Singles wie „Rockstar“, „New Woman“ feat. Rosalía oder „Born Again“ feat. Raye und Doja Cat durch die Charts und gab ihr Schauspieldebüt bei der neuen Staffel von „The White Lotus“, die diesmal in Thailand spielt.

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Ganz augenscheinlich hatte sich im streng getakteten Blackpink-Alltag viel Kreativität und Tatendrang angestaut. Sie selbst meint: „Mir ging es nicht um die Frage, ob und wie ich auf ein neues Karrierelevel komme oder so. Ich wollte mich eine Weile auf meine Soloprojekte konzentrieren, sei es in Sachen Musik oder in anderen Dingen. Jetzt ist eine gute Zeit, um mich selbst zu erforschen. Mich mehr herauszufordern. Ich liebe es, mich selbst anzutreiben, neue Dinge zu tun, die ich noch nie getan habe. Ich bin jetzt 27 Jahre alt: Das ist nicht zu spät und nicht zu früh, um etwas Neues zu beginnen.“

In Deutschland chartet Lisas ALTER EGO später auf Platz zwei der Albumcharts – und auch ihre Bandkolleginnen enttäuschen nicht: Jennie spielte in der HBO-Serie „The Idol“ und brachte das wirklich starke Album RUBY raus. Von Jisoo gab es zum Valentinstag die EP „Amortage“ und kurz davor die lustige Amazon-Zombieserie „Newtopia“. Rosé landete mit Bruno Mars und „APT.“ wohl den größten Hit der vier und ist mit dem sehr Taylor-Swift-inspirierten Band-Sound ihres Albums ROSIE wohl am nächsten an der Musikexpress-Leser:innenschaft.

Lisa setzt mit ALTER EGO eher auf die stilistische Vielseitigkeit, die auch der Albumname suggeriert. Radiopop wie „Moonlit Floor (Kiss Me)“ folgt auf Rapbanger wie „Fxck Up The World“ feat. Future oder den Dicke-Hose-Flex-Rap-Track „Rapunzel“ feat. Megan Thee Stallion. Aber es gibt auch verspielten Y2K-Pop wie „Elastigirl“ oder die schwebend-schöne Ballade „Dream“. Wie es zu dieser bunten Tüte kam: „Zu Beginn hatte ich sehr viele Sessions und habe dabei immer wieder neue Musikstile ausprobiert – und die Ergebnisse haben mir fast immer gefallen.“ Sie habe gar nicht gewusst, dass sie „diese Art von Stimmen“ habe „Meine ersten beiden Solosongs, ‚LaLisa‘ und ‚Money‘, die 2021 rauskamen, haben halt nur die Rap-Lisa gezeigt. Das wollte ich nicht auf Albumlänge. Ich bin neugierig darauf, wie verrückt und anders ich sein kann. Ich liebe es, an meine Grenzen zu gehen. Ich frage nicht groß rum, was andere von dieser Musik halten, oder ob ich sie machen soll oder nicht. Ich mach einfach mal drauf los und schaue dann, wie es wird. Das ist gerade mein Vibe. Aber ich hatte Glück, dass diese sehr unterschiedlichen Songs am Ende sehr gut geworden sind und ich das Ergebnis wirklich geliebt habe.“

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Interessant ist bei all dem vor allem die Tatsache, dass Lisa – wie ihre Bandkolleginnen – ihre Solosachen für K-Pop-Verhältnisse fast schon „independent“ organisierte. Mit Blackpink ist sie nämlich bei YG Entertainment unter Vertrag – eine der vier größten Produktionsfirmen im koreanischen Pop. Diese Firmen sind eine Mischung aus Musikschule, Label, Management, Produktionsstudio und Agentur – und sie sind die Ausbilder im sogenannten Trainee-System, das ein wenig so funktioniert wie die Nachwuchsförderung im Profifußball. YG entdeckten Lisa bei einem Casting in Thailand, wo sie als Teenagerin teilnahm. Schon mit 14 ging sie dann allein nach Seoul, wo sie als Trainee fünf Jahre in Gesang, Tanz und anderen Fächern ausgebildet wurde, bevor sie dann mit 19 bei Blackpink als Idol debütierte. Meistens sind die Idols danach einige Jahre an ihre Produktionsfirma gebunden. Bei Blackpink liefen diese ersten Verträge vor gut zwei Jahren aus – als sie gerade am Höhepunkt ihrer Karriere waren. Lisa, Jennie, Rosé und Jisoo scheinen dabei hart verhandelt zu haben – und erkämpften sich die Freiheit für ihre Solosachen, setzten als Band aber weiter auf YG. Ob da alle Beteiligten so happy mit waren, und ob das schnell verkündete Blackpink-Comeback samt Stadiontournee in diesem Sommer im Sinne der vier ist – das wird gerade in der K-Pop-Community heiß diskutiert und spekuliert.

Lisa hat für ihre Solokarriere sogar eine eigene kleine Firma namens LLOUD gegründet. Sie ist nun also einerseits Chefin von rund einem Dutzend Angestellten und gleichzeitig erfolgreichster und einziger Act im Haus. Wobei das Album in Kooperation mit RCA Records / Sony veröffentlicht wird und das Majorlabel zum Beispiel Promotage wie diesen organisiert. Die Vibes in Lisas Team scheinen dabei extrem gut zu sein: Das sieht man zum Beispiel in einem sehr sweeten YouTube-Video über die LLOUD-Weihnachtsfeier, und man merkt es auch in der Suite im Rosewood Hotel. Interviews mit K-Pop-Stars sind nämlich keine vertraulichen Gespräche unter vier Augen, sondern werden gerne inmitten der engsten Entourage geführt. Wenn Lisa sehr respektvoll über ihr Team spricht, glaubt man kurz ahnen zu können, in was für einer harten Businesswelt sich Idols wie sie behaupten müssen. „Ich bin bei LLOUD einfach ich selbst und wir haben ein sehr freundschaftliches Arbeitsverhältnis“, sagt Lisa. „Ich kommandiere hier niemanden rum, es ist eher so, dass ich mal gefragt werde: ‚Hey Boss, was hältst du von dieser Idee?‘ Aber es fühlt sich die meiste Zeit eher an, als wären wir eine Clique, in der man sich gegenseitig unterstützt.“ Dann wird sie kurz ernst und sagt: „Ich habe gerade das große Glück, von Menschen umgeben zu sein, die nur mein Bestes wollen. Ich merke, dass ich noch eine Menge lernen muss, aber ich bekomme sehr viel Hilfe und Führung von meinem Team. Es ist einfach schön zu wissen, dass ich mich nicht sorgen muss, ausgenutzt zu werden oder so.“ Ein – mit einem boombastic side eye auf die K-Pop-Industrie – erstaunlicher Satz.

Zum Schluss muss es aber noch um ihrer anderen Karrierezweige gehen: Als Model und Markenbotschafterin für Brands wie Louis Vuitton, Bulgari, Adidas und Celine läuft’s eh schon gut. Seit Februar hat man sie aber auch als Schauspielerin auf dem Schirm – was ihre Bekanntheit über die K-Pop-Bubble hinaus noch einmal verstärken dürfte. Lisa spielt die Hotelangestellte Mook in der wunderschön anzusehenden, zwischenmenschlich aber herrlich abgründigen Serie „The White Lotus“, deren dritte Staffel in Thailand spielt. Showrunner Mike White sagte bei einem Interview zum Serienstart über Lisa: „In ihrer Heimat ist Lisa wie eine Mischung aus Popstar und Lady Diana.“

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Sie selbst sagt über ihr Schauspieldebüt: „Es ist ganz anders als das, was ich bisher gemacht habe. Auf der Bühne zu performen, ist das eine, aber so vor der Kamera zu stehen – da bin ich am Anfang einfach erstarrt. Ich habe mich gefragt, was ich denn jetzt hier machen soll. Manchmal muss man an einem ganz bestimmten Punkt stehen, dannwieder mit einer Person reden, aber die andere anschauen. Diese feinen Nuancen funktionieren ganz anders als auf der Bühne, wo man jeden Blick schon fast überperformen muss, damit er auch an der letzten Reihe ankommt.“ Sie habe aber die perfekte Starthilfe vom Cast und vom Team bekommen. „Und Mike White ist einfach unglaublich. Er ist super entspannt – und das ist irgendwie ansteckend, sodass es auch mich beruhigt hat.“ Dann lacht Lisa aber plötzlich ein dezent diabolisches Lachen, bei dem man kurz daran denken muss, wie bossy sie zum Beispiel im Video zu „Rockstar“ wirken kann. „Jetzt hätte ich aber auch Lust, mal einen Actionfilm zu drehen. Ich glaube, das liegt mir ein wenig näher: Ich bin Tänzerin. Performerin. Ich liebe es, mich zu bewegen. Ich glaube, das würde mir Spaß machen.“ Bis es dazu kommt, muss aber erst einmal die große, schon jetzt überwiegend ausverkaufte Blackpink-Comeback Tournee absolviert werden.

Ihre letzte Tour umfasste innerhalb eines Jahres 66 Konzerte in 34 Städten, die fast allesamt innerhalb weniger Minuten ausverkauft waren und insgesamt 1,8 Millionen Menschen vor den Bühnen versammelten. So sehr wir uns über ein Wiedersehen mit Blackpink freuen, hoffen wir doch irgendwie für Lisa & Co., dass diese Tour nicht ganz so lang wird.