LIZ im Interview: Apfelwein, grüne Soße und Gewalt
Die hessische Berlinerin LIZ dealt nicht mit Auf-die-Fresse-Attitüde, sondern auch mit Empowerment.
„Nach einer Veranstaltung stand auf einmal ein Typ vor mir und erzählte, seine Tochter würde meine Musik total feiern. Da sie aber nicht hier sein konnte, fragte er, ob es okay sei, ein gemeinsames Foto für sie zu machen. Ja, klar – und als er es verschickt, meine ich: ‚Wie alt ist denn Ihre Tochter?‘ Er antwortet: ‚Dreizehn‘. Da habe ich kurz geschluckt, da meine Musik doch von der Sprache her nicht gerade, ähm… sanft ist.“
LIZ grinst an dieser Stelle ihrer Anekdote. Ja, ja, „nicht gerade sanft“ my ass … Die Sägezahn-Lyrics der 25-jährigen Rapperin aus Frankfurt lassen selbst die Kanaksprak-Dealer-Stories des frühen Haftbefehls wie Walter von der Vogelweide klingen. Aber hören wir doch erst mal weiter zu, worauf diese Geschichte, die LIZ gerade erzählt, hinausläuft: „Der Vater sagt mir daraufhin, seiner Tochter sei zuletzt ein Mann an einer Bushaltestelle zu nahe gekommen – doch sie hat sich getraut, laut zu werden. Sie hat gerufen, er solle sich verpissen. Er meinte, den Mut dazu habe sie durch meine Musik bekommen. Mund aufmachen, sich nichts gefallen lassen … Das hat mich krass berührt, diesen Blick hatte ich selbst gar nicht auf meine Stücke – aber in dem Moment dachte ich: ‚Du kannst ja doch mehr als einfach nur ins Mikro pöbeln. Du hilfst Mädchen, sich stark zu machen.‘“
Vom Bordstein bis zum Feuilleton
Dass für LIZ das Empowerment aus dieser Bushaltestellen-Anekdote ein bedeutsamer Teil ihrer offensiven Rap-Persona ist, soll die Story der Wahlberlinerin aber nicht zu Sozialarbeiter-Prosa runterrechnen. So à la: „Die ehemalige Dealerin, die – in der Sprache der Straße – den Kids wieder neuen Mut macht.“ Auf keinen Fall. Wir sind hier ja nicht bei der Gewerkschaft, beim Kommunionsunterricht oder beim Frühstücksfernsehen; außerdem ist LIZ für so eine Verkürzung zu vielschichtig, ist ihre Geschichte zu unique. Und sie kommt dabei auch nicht ohne eine dramatische Backstory aus: LIZ wächst auf im Frankfurter Ostend, ist Scheidungs- und Schlüsselkind, der Vater große Teile ihrer Jugend absent, sitzt im Gefängnis. LIZ selbst vertickt und nimmt Drogen, begeht Einbrüche, verbringt eine Zeit in der geschlossenen Abteilung einer Jugendpsychiatrie. Verkrachter Lebenslauf, Existieren in Schwierigkeiten, in großen Schwierigkeiten.
LIZ nimmt dann aber während der Corona-Jahre die Selbstermächtigungsparolen des HipHop beim Wort. Sie veröffentlicht 2021 mit BLEIBE ECHT eine erste EP, die bereits viel Aufmerksamkeit erreicht – vom Bordstein bis zum Feuilleton. Von nun an scheint die Rapperin mit aserbaidschanisch-türkischem Migrationshintergrund nicht mehr zu stoppen zu sein, es erscheint in kürzester Zeit eine weitere EP „Liz Taylor“ sowie das Longplay-Debüt MONA LIZA, dazu diverse Featurings bei Acts wie Prinz Pi oder Bozza. Das zweite Album steht bereits in den Startlöchern, es soll den Titel AMY WINEHOUZE tragen – und stellt in dieser atemlosen Fast-Forward-Karriere musikalisch die erste große Zäsur dar.
Denn LIZ bricht den brachialen Straßen’n’Stress-Rap ihrer bisherigen VÖs auf, traut sich, ihr Repertoire um selbsttherapeutische Innensichten zu erweitern. Was für den durchschnittlichen Singer/Songwriter selbstverständlich Teil eines gefühligen Konzepts ist, stellt für die Musikerin in ihrem Genre ein Wagnis dar. Im Interview merkt man, dass es sie durchaus nervös macht, hinter dem kugelsicheren Gangsta-Panzer hervorzutreten und in den Texten auch Schwächen zu verhandeln. Schließlich erinnert das Album ja nicht umsonst an eine der tragischsten Figuren der Musikindustrie, Amy Winehouse.
„Ich möchte nicht enden wie Amy Winehouse“
„Amy Winehouse ist für mich eine unheimlich inspirierende Frau“, erzählt LIZ, „ihr Abgang zeigt mir allerdings, wie ich nicht enden möchte. Gerade weil ich weiß, wie schnell das gehen kann in einem Umfeld, das letztlich nur aus Drogen und Alkohol besteht. Ich habe mich immer in ihren Songs wiedergefunden, besonders aber auch in ihren Versuchen, sich selbst mit der Musik zu therapieren. Es gibt ja dieses eine Video von einem der letzten Auftritte, wo sie total abkackt auf der Bühne, das berührt mich sehr und ist mir auch eine Warnung. Ich möchte nicht enden wie sie – was ich aber möchte, ist, andere genauso inspirieren zu können, wie sie es tat.“
Bei aller Innerlichkeit der wutstarken Künstlerin sollte man dennoch eine gewisse Content-Warnung nicht aussparen: LIZ’ demnächst erscheinendes, zweites Album wird auch trotz der nachdenklichen Zeilen als Lehrerschreck funktionieren. AMY WINEHOUZE ist eine intensive und heftige Platte. Es geht an vielen Stellen immer noch um Gewalt, Drogen, um Straße – oder auch mal um Sex Positivity: „Ich hab ’ne Scheide aus Gold / auch ohne ein’ Schwanz bin ich King“.
Bloß ist der Vorschlaghammer musikalisch wie inhaltlich variabler geworden. Scherben hinterlässt er immer noch. Auf „Main Grau“ blickt LIZ melancholisch auf das geliebt-verhasste Frankfurt ihrer Jugend – und Gegenwart. Überhaupt spielt dieser Ort in ihrem Werk eine große Rolle. Während andere Rapper:innen sich nach einem Umzug in die Hauptstadt betont Berlin geben und ihre weniger coolen Herkunftskäffer oder -städte beflissen verwischen, webt LIZ allzu gern hessisches Lokalkolorit in ihre Storys hinein. Das ändert auch die neue Platte nicht, „Main Grau“ war eines der ersten Stücke, mit dem sie nach draußen ging. Es erzählt nicht davon, wie LIZ sich auf der Straße behauptet, sondern wie sie sich bei all dem Wahnsinn fühlt: „Alles hier zu bunt / ich vermiss’ Main Grau / Man sagt: ‚Was dich nicht umbringt / Frisst dich auf“.
Mehr Selbstverständlichkeit
Dieser persönliche Angang – emotional wie lokal – lässt das Phänomen LIZ noch authentischer wirken, hinter all dem messernden Splatter-Horror steckt ein interessanter Mensch. So ist das hier alles nicht bloß ein HipHop-Comic ab 18, vielmehr stellt diese Frankfurterin die erste Gangsta-Rapperin dar, die nicht in der ewigen Geschlechterkategorie festhängt. LIZ repräsentiert das Genre in keiner „Frauenliga“, ihre Ebenbürtigkeit mit all den Haftis, Capital Bras oder 187-ern wird selbst in der Testosteronhölle des HipHop nicht infrage gestellt. Ein langer Weg, den so viele Pionierinnen geebnet haben, scheint sich mit ihr nun endlich erfüllt zu haben. Empowerment, aber gleichzeitig auch Selbstverständlichkeit.
Darauf lässt sich LIZ gern ansprechen, sie hat es nicht nötig, so tun als sei ihre Akzeptanz in der Rap-Szene vom Himmel gefallen. Ohne sich besonders feministisch definieren zu wollen, ist ihr das Thema Role-Models sehr bewusst und stellt für sie – man erinnere sich an ihre Eingangsanekdote – einen großen Wert dar.
Der Kreis hätte sich sogar schließen können zu der vielleicht ersten großen female Gangsta-Rap-Figur des hiesigen Games. Diese stammt wie auch LIZ aus der hessischen Bankenmetropole und verstörte frühere Sprechgesang-Generationen mit markigen Drohkulissen wie „Lauf Lutscher, lauf!“. So hatte LIZ auch die Idee gehabt, mit jener Ikone Sabrina Setlur einen gemeinsamen Track aufzustellen: „Ich feier’ dieses ‚Young generation / Old generation‘-Ding total!“, sagt sie und wirkt ein wenig ernüchtert darüber, dass Sabrina Setlur für diese Offerte nicht zu begeistern war. Da ist dem deutschsprachigen HipHop-Weltgeist aber auch wirklich das Team-up des Jahres durch die Hände geglitten. LIZ kann es aber sportlich sehen: „Trotzdem … ich bin stolz, dass sie auch aus Frankfurt kommt. Ich bin nämlich ziemlich lokalpatriotisch.“ Den letzten Satz hätte es nicht gebraucht, denn dass LIZ die kriminelle On-Beat-Version von Badesalz ist, kapiert man auch ohne Apfelwein- und Grüne-Soße-Hintergrund.
Die ICE-Strecke Frankfurt – Berlin und zurück ist für LIZ aber längst nicht der ganze Horizont. Für die Frage, wann sie sich von diesem heftigen Jahr, in dem sie fast 40(!) neue Stücke schrieb, erholt, hat sie nicht viel übrig. Viel eher wälzt sie handfeste Pläne, die sogar über die Landesgrenzen hinausreichen: „Die Wurzeln meiner Familie liegen in Aserbaidschan und der Türkei – und ich würde sehr gern gerade in den türkischen Markt reinschnuppern, drei Songs in türkischer Sprache habe ich schon fertig. Wenn die Tour zu AMY WINEHOUZE nächstes Jahr rum ist, hätte ich Lust, da mal einzutauchen. Als deutsche Staatsbürgerin habe ich in der Türkei mehr Möglichkeiten, mich zu äußern. Ich meine nicht, dass ich da jetzt total politisch auftreten möchte, aber in Bezug auf Frauenrechte kann ich bestimmt etwas einbringen.“
LIZ in der Türkei? Klingt mehr als spannungsgeladen, das wäre nun wirklich Zukunftsmusik, auf die man neugierig sein darf. Doch soll jene nicht von Album Nummer zwei, das am 16. Februar erscheint, ablenken. Vor dem Bosporus soll erst mal der Himmel von Main bis zur Spree brennen.
LIZ‘ dreidimensionaler Gangsta-Entwurf zwischen Messer und Mental Health verbreitet dabei mindestens soviel Faszination wie Schrecken – und steht für nicht weniger als einen Paradigmenwechsel. Es kann heute genauso die und nicht bloß immer der Gangsta heißen. Der Unterschied sieht sich hiermit abgeschafft. LIZ ist der schlagkräftige Beweis.