ln ihm toben Kämpfe
Daniel Johnston wollte ein Star werden. Ein Freak wie er hätte dem Pop auch noch gefehlt. Doch seine Leiden sind viel zu real - und mächtig.
Es begann in Austin, Texas, in den 8oer-Jahren, als ein Teenager namens Daniel seine selbst produzierten Kassetten in der Einkaufsstraße verteilte: Er wollte unbedingt berühmt werden. Sein sechstes Demo nach knapp zwei Jahren – seine Produktivität war ungeheuer – hieß „Hi, how are you“, auf das Cover hatte er einen seltsamen Filzstift-Frosch mit Stielaugen gezeichnet. Knapp zehn Jahre später tauchte Kurt Cobain mit einem „Hi, how are you“-Shirt beiden MTV Awards auf. Das Statement eines Fans. Der Durchbruch von Daniel Johnston. Wenn das schon als Durchbruch gilt, wenn ab diesem Augenblick einigen Alternative-Rock-Freunden der Name Daniel Johnston bekannt vorkommt. „Ah, genau… der mit dem Frosch!“
Heute ist Johnston viel größer und schwerer und unendlich älter als damals (47, allerdings nur nach herkömmlicher Zeitrechnung). Er ist ein kranker Mann, der Hochwasser-Jogginghose und ein fleckiges Sweatshirt trägt. Zum Interview kurz vor seinem Konzert im Kölner Gebäude 9 kommt er mit Zigaretten und einer Zwei-Liter-Flasche Cola im Arm. Den direkten Blickkontakt scheut er. Seine Arme zittern, offenkundig eine Nebenwirkung der langjährigen Einnahme von Psychopharmaka.
Der Dokumentarfilm „The Devil and Daniel Johnston“ vermittelte 2005 eine Ahnung, wie beschwerlich Daniel Johnston sein Leben vorkommen muss: Der Film erzählt von seinem fundamentalchristlichen, oft genug tyrannischen Elternhaus, seiner gescheiterten Suche nach Liebe, seinen manisch-depressiven Störungen und Wahnvorstellungen – und wie er sich immer mehr in seine Fantasiewelt zurückzog. Dort lässt er Superhelden mit Monstern epische Kämpfe um Gut und Böse austragen, dort imaginiert er sich ein Mädchen an seine Seite, und dort entstanden bis heute über 300 Songs und unzählige Zeichnungen.
„Ich hab‘ keine Freunde“, sagt Johnston und starrt ins Dunkel. „Ich hatte auch nie welche. Ich habe nur meine Band in Texas und meine Geschwister, die sich um mich kümmern.“ Bis vor Kurzem lebte Johnston noch bei seinen Eltern, kürzlich ist er zumindest ins Nebenhaus gezogen. Was seine Arbeit wert ist, ist ihm egal, sagt er, solange er seine Grundbedürfnisse finanzieren kann: Cola, Zigaretten, Comics, Platten. So gern Johnston ein richtiger Star wäre, so erfolgreich haben er und seine Krankheit dies immer wieder vereitelt. Wann immer Größen wie Sonic Youth, der legendäre Musiker, Songwriter und Produzent Kim Fowley (Beach Boys, Kiss, Gene Vincent) oder Art-Punk-Gott Jad Fair zur Zusammenarbeit riefen, steuerte Johnston in die nächste Krise oder vermasselte die Gelegenheit komplett – er bekam Panikattacken und landete nicht selten in der Psychoklinik. Nach einer solchen Episode zog sich Johnston meist wieder in die eigenen vier Wände zurück und nahm seine Musik auf wie fast immer: very lo-fi.
Johnston ist ein Genie der poetischen Schlichtheit: Seine Melodien sind trotz der seltsamen Intonation oft enorm eingängig, und seine naiven, aber alles andere als unschuldigen, vor allem aber entwaffnend klaren, unverklausulierten Texte treffen oft sehr sensible Stellen. Doch wenn er dort oben auf der Bühne ungeschützt und pausenlos zitternd von den Verletzungen seines Lebens berichtet, kommt sich der Zuschauer schrecklich indiskret vor. In „Lonely Song“ singt er ,And I bet you never knew/What I went through /And what I had to do /Just to bring you a lonely song.“ Es scheint, als gäbe es in seinem Fall überhaupt keine Distanz zwischen dem Sänger und seinem Lied. Kein Wunder, dass im Zusammenhang mit ihm immer wieder von Hank Williams und Robert Johnson die Rede ist. Wie wäre eigentlich die Vorstellung, dass Paul McCartney ein Song von ihm zu Ohren kommen könnte? „Neeeein“, sagt er und lächelt schüchtern: „Die Beatles sind meine größten Helden. Ich bezweifle stark, dass sich ein Beatle für meine Musik interessiert!“ Dann zählt er ehrfurchtsvoll seine Lieblingslieder auf: „I’m The Walrus“, „The Fool On A Hill“ und „Yer Blues“. Dass sich seit über 15 Jahren Helden wie Henry Rollins, Sonic Youth und David Bowie vor ihm verneigten und zu seinen Ehren ein Tributalbum the LATE GREAT DANIEL JOHNSTON (2OO4) – mit Beiträgen von The Flaming Lips, Teenage Fanclub, Bright Eyes u. a. aufgenommen wurde, lässt ihn hingegen eher kalt: „Das Album ist ganz okay. Aber leider wurde kein Song ein Hit“, sagt er lakonisch. „Dann wäre ich endlich reich geworden.“
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