Malcolm McLaren


Als Modeschöpfer kreierte er den britischen Punk-Look, als Manager der Sex Pistols schockierte er nicht nur das Rock-Establishment. In seiner dritten Rolle als Musiker nun stellt McLaren seine Pfiffigkeit erneut unter Beweis: Der musikalische Globetrotter sammelte Volkstänze aus aller Herren Länder, um sie zu einem bizarren Klang-Puzzle zusammenzusetzen. Genie oder Scharlatan? Im ME/Sounds-Interview nahmen wir den umstrittenen "Rock 'n' Roll-Schwindler" hart ins Verhör.

ME/Sounds: Macht es dir eigentlich Spaß, Interviews zu geben?

McLaren: „Mhm, manchmal ja. Komischerweise werden mir bei Interviews meine Ideen klar, sie artikulieren sich für mich. Das Manifest wird ja bekanntlich immer nach der Tat geschrieben – und nicht davor. Und je länger ich dann über eine Idee spreche, desto klarer wird mir, um was es dabei eigentlich geht. In dieser Hinsicht sind Interviews also eine gute Sache.“

ME/Sounda: Früher warst du der Mann im Hintergrund, heute befindest du dich in derselben Position wie die seinerzeit von dir betreuten Bands…

McLaren: „Ja, ich war ein Stiller, aber nur vor der Kamera. Hinter verschlossenen Türen ging es nicht immer so ruhig zu.“

ME/Sound»: Warst du ein aggressiver Manager?

McLaren: „Ich war ein verantwortungsbewußter Manager. Und wahrscheinlich habe ich deshalb so viel erreicht. Und wahrscheinlich haben auch deshalb all die Leute, mit denen ich gearbeitet habe, so originell gewirkt, obwohl sie das ursprünglich gar nicht waren. Ich hab sie bis zum äußersten getrieben, nicht, was ihr Talent betraf, sondern ihre Belastbarkeit. Hahahal“

ME/Sounds: Behebt hast du dich dadurch ja nicht gerade gemacht.

McLaren: „Nein, das war auch gar nicht meine Absicht, Ich zieh es wirklich vor, gehaßt zu werden, Das erleichtert die Arbeit, ehrlich! Alle großen Künstler sind zu Lebzeiten nicht besonders beliebt gewesen, schau dir Picasso an. Die Leute mögen Veränderungen nicht besonders, das macht ihnen Angst, besonders dem Establishment. Du wirst miserabel behandelt.“

ME/Sounds: Beziehst du aus diesem Haß die Energie für deine Arbeit?

McLaren: „Nein, aber es ist die einzige Art für mich zu leben. Und offensichtlich ist es auch die richtige, hahaha! Und wenn es mal anders ist, dann werde ich, ehrlich gesagt, nervös.“

ME/Sounds: Ist das schon einmal passiert?

McLaren: „Ja, da hatte ich jemanden, der wirklich singen konnte. Und alles ging total schief. Es war hoffnungslos, Chaos. Innerhalb von drei Wochen gab ich auf. Nach einer Demo-Aufnahme saß ich mit dieser Sängerin in einer Bar und sprach zum ersten Mal privat mit ihr. Sie erzählte mir beiläufig, daß sie früher eine Ausbildung als Politesse gemacht hatte.

Und da wurde mir klar, warum ich nicht zu ihr paßte; Ich habe festgestellt, daß es besser ist, mit Leuten zu arbeiten, die nicht wissen, was sie wollen und ständig Schwierigkeiten verursachen. Die Talentlosen haben einen verzweifelten Drang – und diese Verzweiflung gibt ihnen die Energie und den Enthusiasmus für meine Ideen.

ME/Sounds: Wann ist dir das bewußt geworden, daß es nur so klappt?

McLaren: „Als es mit meiner musikalischen Tätigkeit anfing, mit den New York Dolls in den 70er Jahren. Ich fand die wirklich schrecklich. Laß mich etwas weiter ausholen: Ich hatte etwa 1964 aufgehört, Musik zu hören. Damals war ich noch ziemlich jung, auf der Kunstakademie – und es ging gerade mit den Beatles los. Ich fand auch sie grauenhaft.

Vor den Beatles gab’s diese echte Straßenband, die Rolling Stones, die man sich nachmittags in einem Club bei Kaffee oder Cola anhörte. Und es war auch nicht so sehr ihre Musik, die aufhorchen ließ, sondern die Tatsache, daß sie schmutzige Hemden trugen; das war nicht üblich in England. Und das war sehr wichtig.

Aber die Beatles kamen mit diesem komischen Haarschnitt – und wir dachten ,Oh Gott, wie schrecklich!‘ Und dann imitierten sie auch noch die ganze Musik, die wir ständig in der amerikanischen Hot 10 auf Radio Luxemburg abends um 7 gehört haben; die Marvellettes, die Miracles, und dann hatten sie auch noch diesen gräßlichen Akzent. Wir dachten; ,Laß es Paul, laß es!‘ Danach war für mich Schluß, Da gab’s noch Billy J. Kramer, den wir mit Tomaten beschmissen, weil er nicht singen konnte und zum Playback mimte. Zu jener Zeit war das eine ziemliche Frechheit. Schließlich hatten wir ja Eintritt bezahlt, Also, kurz und gut, in der Kunstakademie waren die Leute ziemlich borniert, was Musik betraf. Wir haben nur Leadbelly gehört und Big Bill Broonzy, die ursprünglichen Einflüsse der Rolling Stones, die Roots. Da begriffen wir schnell, daß die meiste Rockmusik aus England ursprünglich schwarz und aus Amerika war.

Der einzige Grund, warum uns die Rolling Stones beeindruckten, war ihre Präsentation. Sie sahen einfach besser aus als Muddy Waters und hatten deshalb Erfolg, Und so war’s mit den New York Dolls. Obwohl sie viertklassige Eddie Cochran-Riffs spielten, hatten sie eine gute Präsentation, Es ging um das Image, darauf steigen die Leute ein) Obwohl sie die Lieblinge Malcolm McLaren, Handlungsreisender in Sachen DUCK ROCK, macht in München Station, um das Konzept einer Fernsehshow festzulegen. Ganz informell vereinbaren wir ein Gespräch, So informell, daß mittags um 12.00 erst mal meine Stimme durchs Telefon fragt: “ Weißt du. daß du um 12.00 eine Verabredung hast?“

Die Antwort ist ein verschlafenes Ja und die Frage nach einem Ort, an dem noch Frühstück serviert wird. Zu dem erscheint Malcolm dann gleich werbewirksam gekleidet und legt los. Nur seinem reifen Talent, gleichzeitig Rühreier zu essen, pausenlos zu sprechen und dazwischen sein diabolisches Lachen loszulassen. haben wir es zu verdanken, daß er an diesem Gespräch nicht erstickte. Seine scheinbar unlogischen Gedankensprünge allerdings führten dazu, daß so manche Frage zwar nicht gleich, dafür aber an einer völlig unerwarteten Stelle beantwortet wurde. Für Mß’Sounds spitzte Ingeborg Schober Bleistift und Ohren.

New Yorks waren, hatten sie keinen wirklichen Erfolg.

Ich machte also aus ihnen eine maoistische Band. Ich schrieb ihnen vor, daß in jedem Song mindestens sechs mal das Wort rot vorkommen mußte. David und die Band mußten rot gekleidet auf die Bühne, er die kleine rote Mao-Bibel in der Hand – und über der Bühne hing ein riesiges Transparent , better red than dead!‘, lieber rot als tot.

Es war eine ziemlich heiße Show, eine Menge Top-Journalisten waren da. Die waren völlig verwirrt, weil die New York Dolls plötzlich nicht mehr diese schwuchteligen abgetakelten Garagen-Typen wie früher waren. David mit der erhobenen Faust, das war stark. Und sie sangen übers Lastwagenfahren in Rotchina.

Und das gefiel den Medien überhaupt nicht. Alle Finger zeigten auf mich; ,Wir kennen ihn! Wir haben Informationen über ihn aus London. Er ist ein Kommunist und wird nur Schwierigkeiten machen!‘ David Johanson zog mich in die Toilette des Clubs und sagte; .Malcolm, um Himmels willen, sag bitte, daß es nur ein riesiger Spaß ist!‘ Ich sah ihn an und meinte; , Wenn du das sagst, dann hast du das Goldene Ei zerschlagen, dann ist die ganze Idee futsch, dann ist’s aus!‘ Er hatte echt Angst vor mir, schob mich zur Seite und rannte auf diese Journalistin zu, Lisa Robinson. Sie ist nicht gerade hübsch, aber David knutschte sie von oben bis unten ab und meinte: ,Lisa, Honey, es ist wirklich nur ein Spaß!‘ Und ich dachte: ,Du lieber Himmel, wie kann man nur so paranoid werden, was für Angsthasen sind doch diese Rocktypen!'“

ME/Sounds: Auffallend ist ja, daß du mit deiner Meinung über andere Leute schnell zur Hand bist. Darf ich vielleicht zur Abwechslung einmal zitieren, was vor einigen Monaten David Coverdale in ME/Sounds über dich sagte. Da heißt es: „Ich hasse diesen Mann. Er ist verantwortlich dafür, daß sich Leute vergiftet und umgebracht haben. Er ist der größte Parasit, verstehst du, ein Parasit, der Geld damit macht, das Leben anderer Leute zu zerstören. McLaren schwindelt uns vor, ein Künstler zu sein. Er ist ein verdammter Betrüger…“

McLaren: „Mhm, wer! Ah, ein Heavy Metal-Mann! Ich glaube, ein Rock ’n‘ Roller kann einfach einen Manager nicht ausstehen, der plötzlich selbst Musik macht. Mit Sicherheit ist er kein Punker, denn die haben ja alle mal geglaubt, daß jeder Musik machen kann. Das beweist nur, wie demokratisch diese ganze Rock-Chose ist.“

ME/Sounds: Bekommst du eigentlich immer noch Angebote, als Manager zu arbeiten?

McLaren: „Ja, obwohl sie mich alle hassen – früher oder später. Dabei weiß ich wirklich nicht, warum! Vielleicht haben sie irgendwann die Nase voll, daß ich sie immer bis zum Äußersten treibe. Bei Johnny Rotten kam noch diese unausgesprochene homosexuelle Liebe hinzu, mit der ich allerdings nichts zu tun haben wollte. Er war einfach nicht mein Typ.

Bei allem Respekt vor den Bands, mit denen ich gearbeitet habe; Aber sie erreichen nur einen bestimmten Punkt, weil sie nicht mehr verkraften. Sie sind nämlich nicht so subversiv, wie man als Außenstehender denkt. Wenn der Erfolg kommt, möchten sie gern in dieser Position bleiben und nichts Neues mehr entdecken. Darum verschwinden sie auch alle wieder in der Versenkung; so war’s zumindest mit den Gruppen, die ich kenne. Nicht etwa, weil David Coverdale meint, ich würde die Gruppen ausnutzen oder weil Sid Vicious gestorben ist, sondern weil sie plötzlich alle irrsinnig mit ihrer Karriere beschäftigt waren und nichts mehr für Veränderungen übrig hatten.

Sie fingen an, über sich selbst zu grübeln und sich furchtbar ernst zu nehmen. So war’s beispielsweise mit Adam Ant: Er wollte unbedingt Prinzessin Margaret die Hände küssen.“

ME/Sounds: Hat er es getan?

McLaren: „Natürlich. Und dann hat er seiner Mutter ein Foto davon geschenkt. Ich hätte mir den Hintern damit abgeputzt! Leider ist es so. Manche Leute wissen, daß Rock ’n‘ Roll ein bißchen mehr ist als Prinzessin Margaret; aber das sind weniger die Musiker als die Fans. Ich bin ein großer Anhänger der Fans, glaube an sie mehr als an die Künstler.“

ME/Sounds: Warum?

McLaren: „Weil ich glaube, daß die Straße wichtig ist. Das ist natürlich ein Klischee; mit Straße meine ich jeden, der nicht auf einer Bühne steht. Deshalb hab ich meine LP DUCK ROCK auch der Straße gewidmet. Das ist die Straßen-Antwort auf Jane Fondas Aerobic-Vorarbeit. Das sind Straßentänze.

Die Stars, diese Leute da auf der Bühne, die leuchten zwar in der Nacht sehr hell, aber im Tageslicht kannst du sie nicht sehen. Sie verschwinden. Wie das Leben von allen Stars ist auch ihres sehr kurz. Der Künstler hingegen, der sich ständig ändert, stirbt überhaupt nicht. Vielleicht wird er nicht akzeptiert, vielleicht benimmt er sich so wie ich, aber eins ist sicher: Er ist immer auf der Straße. Weil er sich nämlich ständig nach einer neuen Idee umsieht. Der hat gar keine Zeit, dumm auf einer Bühne herumzustehen. Das ist wichtig.“

ME/Sounds: Willst du unsterblich werden?

McLaren: „Mhm? Ich bin zwar Wassermann – aber kein Hippie! Alle möglichen Leute kommen zu mir und behaupten, meinen Charakter zu durchschauen, nur weil sie mein Sternzeichen kennen. Der Wassermann hat ja was mit Luft zu tun. Und ich wirble tatsächlich ganz gern in der Gegend herum. Aber ganz da oben möchte ich eigentlich nicht sein; ich glaub 1 , das macht nicht besonders viel Spaß.“

ME/Sounds Wie siehst du die Funktion der heutigen Rockmusik, ihre Berechtigung, ihre Botschaft?

McLaren: „Musik ist heute em Gebrauchsgegenstand geworden; jeder kann mit ihr etwas anstellen. Und erst dadurch wird Musik lebendig. Nimm beispielsweise die Aerobic-Platten: Das sind mit die besten Alben der vergangenen Jahre. Du kannst sie benutzen – eine wunderbare Idee, nicht nur um abzunehmen.

Oder nimm Filme wie , Farne‘ und , Flashdance‘, die vom Umgang mit der Musik leben. Auch wenn du keinen Pfennig in der Tasche hast, besitzt du deinen Körper, und mit dem kannst du etwas anfangen.

Deshalb passiert jetzt in den Straßen von New York so viel – diese Tanzteams, die sich gegenseitig mit Tanzstilen bekämpfen. Sie sind so gut geworden, daß sie von Musik bis Film unsere ganze moderne Kultur beeinflußt haben. Diese Kids haben die Musik zum Gebrauchsgegenstand umfunktioniert. Die Musik dient den Leuten.

Das sind die Zeichen unserer Zeit. Und damit sind wir bereits einen Schritt weiter, denn auch beim Punk war das Publikum schon wichtiger als die Band. Deshalb standen auch 500 neue Bands auf der Bühne, als sich die Sex Pistols verabschiedeten. Innerhalb von drei Monaten gab es Tausende von neuen Bands – und die stehen jetzt alle ohne Publikum da, einfach weil es mehr Bands als Publikum gibt!

Tatsächlich konnte die Musikindustrie in den 70er Jahren nur überleben, weil Bands die Platten von anderen Bands kauften. Punk hat zulange existiert und wurde langweilig. Er war es nicht wert, gekauft zu werden, weil nur die Einstellung zählte.

Doch nun wird das Tanzen wichtig als em Weg zum Abreagieren. Es gibt dem Körper wieder sexuelle Macht. Solange man sich mit einer Band identifiziert, geht das nicht. Die Band ist immer mehr Verpackung, immer weniger Inhalt. Also muß man den Inhalt der Musik im eigenen Körper entdekken. Kann man den Beat für sich selbst benutzen – oder steht man auf die Gruppe?

Die heutige Musik hat keine Botschaft, das wissen wir doch alle. Bestimmt nicht David Coverdales Musik. Johnny Rotten hatte noch einen Standpunkt. Aber die Leute sind es leid, auf so was zu warten – und deshalb entdecken sie auch wieder die traditionelle Musik. Tradition stirbt nie.

Und das wollte ich mit DUCK ROCK beweisen. Square Dance ist immer noch vorhanden, weil es da um elementare Sachen geht: um Partner, Liebhaber, um Magie. Weil in der heutigen Musik die Magie fehlt, brauchen sie die Leute um so mehr.

Wenn sich in New York die Kids auf dem Kopf drehen, dann kann man das durchaus mit Tänzen der brasilianischen Sklaven oder der Zulus vergleichen. Der Rapper macht auch nichts anderes als der Vorsänger im Appalachen-Gebirge. Da besteht eine direkte Verbindung.

Der Disc-Jockey ist eine wichtige Persönlichkeit geworden. Discotheken waren bisher morbide Plätze, in denen man im Dunklen herumstolperte, Jetzt werden sie wieder lebendig. Es geht darum, sich selbst darzustellen, aus sich herauszugehen, die körperlichen Fähigkeiten zu demonstrieren.

Die perfekte Lösung wäre, wenn die Fitness-Center die Discos von morgen würden. Das klingt vielleicht erst mal aseptisch. Aber da kannst du Leute einfacher kennenlernen als in der Disco. Da ist es stockdunkel, neblig, eng, man hat keinen Platz zum Tanzen, verschwindet in der Menge. Die Musik ist so laut, daß man kein Gespräch führen kann. Nach fünf Stunden bis du depressiv. Aber dennoch glaubst du – wir alle, auch ich – daß sich das ändern könnte. Also gehst du am folgenden Tag wieder hm.

Vielleicht ändern sich jetzt die Discos wieder. Vielleicht werden sie zu Fitness-Centern. Da kann man sehen, was es gibt. In Bikinis und Shorts siehst du eben alles, das ist direkt und klar, das entspannt. Die Leute

wollen wieder aus sich herausgehen. Und eigentlich ist das genau das, was der Rock ’n‘ Roll immer wollte.“

ME/Sounds: Das klingt so, wie wenn David Bowie über das gesunde Leben spricht, über die Abkehr von Dekadenz und Glitter.

McLaren: „Also, Bowie hat leicht reden, der lebt ja in einem Schweizer Schloß. Es geht auch nicht so sehr um die Dekadenz. Die wird nie aussterben, weil die Großstadt sie ausbrütet. Die Destruktion resultiert aus dem, was um dich herum passiert – und da ändert sich ja nichts über Nacht. Und so dumm sind wir wohl nicht, daß wir alle selig lächelnd in der Gegend rumsitzen wollen, oder?

Nein, die Dekadenz wird eher härter werden, die Städte werden wie Trümmerfelder aussehen, siehe New York. Je sauberer und steriler die Städte, desto mehr Selbstmorde. Aber jeden interessieren doch die schmuddeligen Ecken einer Stadt am meisten. Das ist schon als Kmd so. Ich kann mich daran erinnern. Und jetzt passierte es mir wieder in den South Bronx. Und um das zu bewahren, müssen wir auch bis zu einem gewissen Grad dekadent bleiben, oder?

Es ist eben die Kombination aus beidem, eine menschliche Eigenart, die wir alle in uns haben. Ich kann mir nicht vorstellen, in einem dieser niedlichen Schweizer Bergdörfer zu leben und ein Frischluft-Bowie zu werden. Das nennt man Lebensangst. Ich hab 1 die nie gehabt.

Und über den Tod denke ich auch nicht nach. Das kann ich nicht, denn wenn ich das tue, dann werde ich nie etwas Großes auf die Beine stellen, nie etwas Gefährliches unternehmen. Bowie hat schon Angst vorm Fliegen, reist mit dem Schiff. Das ist Paranoia.“

ME/Sounds: Du hast immer wieder als Manager der verschiedensten Gruppen Mythen aufgebaut und sie anschließend zerstört. Warum?

McLaren: „Ich mag Magie. Aber Mythos? Ja, ich habe ihn zerstört, immer wieder. Es ist wie mit dem Spielzeug. Ich vergleiche die Musikindustrie gerne mit der Spielzeugindustrie. Sie stellt ja auch Spielzeug her. Und Kinder, die keine Verantwortung kennen, zerstören ihr Spielzeug, um herauszufinden, woraus es gemacht wurde.

Der Mythos ist eigentlich die Verführung, die ein Kmd verspürt, wenn es ein ausgefallenes Spielzeug entdeckt. Aber da ja die Musikindustrie selten ehrliche Dinge produziert, war mein Wunsch am Schluß immer wieder, das Produkt zu zerstören.

Persönlich bin ich auch der Meinung, daß die Sex Pistols wirklich nicht so gut waren. Und Adam & Ants sowieso nicht. Bis zu einem gewissen Grad waren sie alle gut, aber meiner Meinung nach haben die Leute einfach das Recht, ihr Spielzeug zu zerstören, Schließlich haben sie ja dafür bezahlt!

Damit verhindern wir auch die Entstehung einer neuen Aristokratie. Die hat man in den 70er Jahren in der Musikindustrie zur Genüge gepflegt und gehegt. Ich habe Geschmack daran gefunden, sie zu zerstören. Natürlich erholt sie sich wieder. Wahrscheinlich nur, weil ich mich nicht oft genug blicken lasse, hahaha!“

ME/Sounds: Ist das nicht ein amoralischer Standpunkt? Schließlich wurden dabei auch Menschen und nicht nur Spielzeug zerstört?

McLaren: „Du hast vollkommen recht. Ich bekenne mich schuldig. Aber auf diesen Vorwurf kann ich nur antworten: England hätte aus mir einen Maler machen sollen, dann hatte ich eben Leinwand zerstört. Aber England haßt nun mal die Künstler, Leute wie Lord X im Hochmoor – die wollen keine Kunst, brauchen sie nicht, weil sie nichts verändern wollen.

Wir leben noch immer in einer strikten Klassengesellschaft in England – und die verhindert jede Kunst. Und deshalb bleibt nur diese kleine offene Tür, und die scheint die populäre Kultur zu sein: Mode und Musik.

In beide Sachen bin ich verstrickt. Entweder zieh ich den Leuten Kleider an oder bring‘ sie zum Singen oder sogar zum Selbstmord. Aber die Verantwortung darf man nicht bei mir suchen, da sollte man die Königin fragen, Ich finde es traurig, daß Leute wie David Coverdale, diese Rock-’n‘-Roll-Typen, so von mir denken. Das zeigt nur, wie gestört sie eigentlich sind, wie wenig Ahnung sie von dem Land haben, in dem sie geboren wurden.

Ich weiß, was mit England los ist. Wir haben nicht die Levis-Jeans erfunden, Gott bewahre! Wir haben sie deshalb nicht erfunden, weil wir einfach nicht wollen, daß die Leute klassenlos aussehen. Und die Levis ist ja wohl das klassenloseste Kleidungsstück, das je erfunden wurde.

England möchte jeden in seiner Klasse zurückhalten. Warum hab‘ ich wohl aus Johnny Rotten einen asexuellen Buckligen von Notre Dame gemacht? Warum Adam Ant wie eine Mischung aus Jeronimo, Errol Flynn und Captain Blood? Warum Boy George davon überzeugt, daß er in einem Rock besser aussieht? Weil das in England der einzige Weg- ist, weder zur upper class, middle class noch zur working class gezählt zu werden! Das ist eine Verzweiflungstat, deshalb sind wir so verrückt aufs Verkleiden.

Die Musik ist eigentlich nur der Hintergrund dafür. Wir sind kein musikalisches Land. Wir können nicht mit unseren Hüften denken. Gott sei gedankt für die Fitness-Center in England. Vielleicht ändern die mal was!

Diese ganze visuelle Präsentation war immer nur ein wunderbarer Weg, unsere musikalische Unfähigkeit zu vertuschen. Ich finde, daß die Beatles ein verdammter Betrug waren! Jahrelang haben sie den Leuten vorgegaukelt, daß England das Land der Rockmusik sei. Unsinn! So ein Schmarrn! England hat keine einzige musikalische Idee entwickelt.

Ihr Deutschen seid musikalischer als wir. Ihr habt wenigstens den verdammten Mozart und Wagner gehabt. Was hatten wir? Benjamin Britten, diesen fünftklassigen Puccini! Und die Rolling Stones, die Chuck Berry imitierten, und danach Bands, die die Rolling Stones imitierten. Alle sind eine billige Version von etwas, was vom Mississippi kam, oder aus Afrika, oder sonstwoher. Wir müssen an all diesen Dingen immer ¿ „Bei Johnny Rotten kam noch diese homosexuelle Liebe hinzu. Aber er war einfach nicht mein Typ.“

sehr hart arbeiten. Das hab 1 ich schon in der Schule gelernt. Zehn Jahre stand dieser Lehrer vor mir in seinem grünen Anzug, dem gräßlichen grünen Hemd und dieser Krawatte, die aussah, als würde sie ihn gleich strangulieren. Da wurde mir klar, daß wir Engländer diese Kleidung erfunden haben, um jegliche sexuelle Regung zu unterbinden.

Die Afrikaner binden sich ein Röckchen um die Hüften und finden das schön. Sie betonen ihre Geschlechtsteile und geben sich damit auch die Möglichkeit einer körperlichen und rhythmischen Freiheit. Aber wir Engländer haben den zweiteiligen Anzug erfunden, damit ja niemand in der Nähe eines anderen Menschen sexuelle Regungen bekommen kann. Deshalb sind wir ja alle so homosexuell geworden.“

ME/Sounds: Wieso kommen eigentlich in England so viele Musiker von der Kunstakademie?

McLaren: „Weil dies die letzten Paradiese sind. Das bezieht sich wieder auf das, was ich vorher gesagt habe: Der einzige Weg, das Klassensystem zu durchbrechen besteht darin, eine dieser exzentrischen Institutionen zu besuchen. Alle dort wissen, daß sie niemals Maler werden, sie probieren es nicht mal, weil sie in England als Maler verhungern würden.

Nein, man geht hm, weil a) dort die interessantesten Mädchen sind, b) es eine sehr sexuell orientierte Lebensphase ist; c) man machen kann, was man will.

An meinem ersten Tag dort traf ich im Atelier einen Typen, der Saxophon spielte. Ich fragte: , Warum?‘ Seine Antwort: .Das ist meine Malerei‘. Dieser Typ wurde später Mitglied der Bonzo Dog Band. Es war sein letztes Studienjahr, er hat nie gemalt, und seinen Abschluß machte er damit, daß er vor einer weißen Leinwand saß und Saxophon spielte. Ziemlich verrückt.

Wahrscheinlich hat sich meine ganze Einstellung und mein Weltbild auf der Kunstakademie entwickelt. Die war gut für Leute wie Charlie Watts, Pete Townshend, die Kinks, die Bonzo Dogs und diesen wunderbaren Syd Barrett von Pink Floyd, die einzige englische Antwort auf William Blake. Er war unglaublich talentiert, aber selbst den Leuten auf der Akademie zu viel.

David Bowie hat eine Akademie im Vorort besucht, er ist nicht der typische Absolvent. Wir haben nie ein Geheimnis aus unserem musikalischen Ideen-Klau gemacht, waren ganz offen. Er aber ist immer geheimnisvoll, sagt nie, woher seine Ideen stammen. Er hält das für clever, aber es ist auch sehr langweilig. Er war nie ein Protagonist, nie fähig dazu. Er kann Entdeckungen wohl gar nicht genießen.“

ME/Sounds: Du hast vorhin gesagt, du selbst seist ein Fan. Ein Fan von wem zum Beispiel?

McLaren: „Ich liebe Picasso. Der war immer sehr demonstrativ, wenn er eine Idee hatte. Und das ist wichtig, das fehlt in der Kunst. Du mußt raus mit deinen Ideen, darfst sie nicht verstecken.

Mein anderer Held ist der alte griechische Gott Pan. Der war nicht nur der Gott der Musik, sondern auch des Streits, der Schwierigkeiten. Und diese Kombination hat mich schon immer fasziniert.“

ME/Sounds: Bist du eigentlich heute noch mit einem der Musiker befreundet, für die du gearbeitet hast?

McLaren: „Ich sehe keinen von ihnen. Sie mögen mich ja auch alle nicht besonders. Das sind ziemlich komplizierte LiebeVHaß-Beziehungen. Sie sind alle ähnlich verlaufen wie die Beziehung zu Johnny Rotten, vielleicht nicht ganz so pikant.

Ich weiß auch gar nicht, ob es so wichtig ist, befreundet zu bleiben. Ich entwickle mich ja weiter, entdecke andere Dinge. Das hat mich bei meiner Manager-Tätigkeit am meisten gestört: Diese Band-Beziehung hört ja nie auf! Ein Filmregisseur ist fertig, wenn der Film vorbei ist. Bei einer Band hört es aber nie auf. Wenn es nach den Gruppen ginge, dann würdest du noch mit 95 für sie arbeiten. Deshalb mußte ich immer den Schlußstrich ziehen. Nach ein oder zwei Alben verlierst du einfach die Lust, weil die Bands meistens gar nicht so gut sind.“

ME/Sounds: Langweilst du dich bei deinen privaten Beziehungen auch so schnell?

McLaren: „Nein. Ich habe 12 Jahre mit der gleichen Frau zusammengelebt. Solche Beziehungen sind meiner Meinung nach etwas, woran du zusammen arbeitest, wodurch du dich gemeinsam entwickelst.

Es ist traurig, daß bei Gruppen diese Beziehungen immer sehr schnell eine Grenze erreichen, nie wirklich privat werden. Das hat schon viele Manager unglücklich gemacht. Etwa Brian Epstein, der sich umgebracht hat – oder den Stones-Manager Andrew Loog Oldham, der spurlos verschwunden ist.“

ME/Sounds: Wie war dein Kontakt zu all den Leuten, die auf DUCK ROCK mitgemacht haben? Zu den Zulus in Afrika, zu den Eingeborenen in Südamerika, zu den Square Dance-Fiddlem in den Appalachen?

McLaren: „Wunderbar. Das waren ja alles Amateure wie ich. Echte Fans eben. Keiner von ihnen hat jemals zuvor eine Platte aufgenommen. Der einzige Profi war Produzent Trevor Hörn – und der war manchmal wirklich schrecklich, weil er so professionell war, uns nicht verrückt spielen lassen wollte.

Ich hab‘ mich wirklich wie einer von ihnen gefühlt, ehrlich. Und ich habe eine Menge dabei gelernt. Vielleicht bin ich sogar nur dadurch in der Lage, all das heute so klar zu formulieren. Wenn ich diese Reise nicht gemacht hätte, wären mir diese Gedanken über Musik möglicherweise gar nicht gekommen.“

ME/Sounds: Hast du ihnen die LP zugeschickt?

McLaren: „Einigen ja, aber ich weiß meist gar nicht, wo die alle stecken.“

ME/Sounds: Hat jemand reagiert, gesagt, ob er es mag?

McLaren: „Ich glaube schon, daß es ihnen gefällt. Aber wenn du mit Amateuren arbeitest, mußt du wissen, daß es ihnen eigentlich egal ist. Die sind mit ihrem Alltag beschäftigt, das waren ja alles Bauern, Jäger, Bauarbeiter, Mechaniker, Lebensmittelhändler, Blumenverkäufer.

Gut, die Platte war vielleicht eine nette Überraschung, wird auch mal am Samstagnachmittag aufgelegt, wenn die Nachbarn vorbeisehen. Aber das Erfrischende ist ja: Die Leute wollen keine Stars sein. Amateure wie du und ich.“