Manfred Mann’s Earth Band – Man ist wieder wer!


Dortmund, Westfalenhalle-Ostern’73. Der „Great Eastern Circus“ lockt zehntausend Rockfans an, die meisten wegen Emerson, Lake & Palmer, der Attraktion des Abends. Aber auch andere Bands stehen auf dem Programm. Unter ihnen die neue Gruppe um Manfred Mann. Dem Mann, der seit 1964 Hit auf Hit produzierte und der neben den Animals und den Beatles als erste englische Band mit „Do Wah Diddy Diddy“ die amerikanischen Charts knackte und Platz 1 belegte. Dieser Mann ist also wieder da!

Mit dem Osterfestival in Dortmund betritt Manfred nach langer Zeit wieder deutschen Boden. Eine neue Gruppe begleitet ihn – die Earth Band. Ihr Erfolg ist nicht nur ermutigend, er ist riesig! Sie spielen alle an die Wand: Atomic Rooster, Rare Bird, Soft Machine und sogar die hoch favorisierten ELP. Wer hätte das gedacht? Der eher stille, zurückhaltende Mann noch am allerwenigsten. Die neu erarbeitete Stilmischung knockt in Dortmund selbst den unaufmerksamsten Hörer aus. Viele der Leute hier kennen seinen Namen noch nicht – sie sind zu jung, aber die, die ihn kennen, murmeln verwundert: „Mann, ich dachte, der würde so seichte Popsongs bringen . . .“

Die Earth Band

Im Gegensatz zu altgewohnten Mann-Klängen fällt auf, daß die Orgel nicht mehr im Mittelpunkt steht. Ein Synthesizer beherrscht nunmehr die Szene. Als „Nebeninstrumente“ fungieren dann Orgel, Piano und E-Klavier. Manfred dazu: „Ich spiele nicht mehr die Orgel, sie schränkt die Ideen zu sehr ein. Der Moog-Synthesizer dagegen ist für mich ein sehr ausdrucksvolles Instrument und keinesfalls ein Spielzeug“. Recht hat er, denn es gibt nur wenige Musiker, die mit ihm, außer billigen Effekten, mehr anfangen können. Aber MM spielt nicht alleine! Um sein Tastenspiel scharen sich der Gitarrist und Sänger Mick Rogers, ein Australier, der Bassist Colin Pattenden und Chris Slade, der Schlagzeuger. Wie der Name Earth Band verkündet, spielt die Gruppe erdverbundene Musik, also soliden Rock. Allerdings ohne den meist mißverstandenen Hau-Ruck-Effekt. „Erde“ steht für ein kraftvolles Rhythmusgespann aus Baß und Drums. Manfred und sein Gitarrist Mick können sich auf die Beiden verlassen und getrost Improvisationen darüberlegen, sich Themen zuwerfen oder klar aufgebaute, ausgiebige Soli vom Stapel lassen. Satte und ideenreiche Rockmusik.

Live-Gruppe

Earth Band-Musik ist also nicht die Sache, die fast jeder abzieht, wenn er in eine ähnliche Richtung hin tendiert. Zumindest war das noch in Dortmund so! Inzwischen hat sich der Stil etwas gewandelt, aber das an anderer Stelle. Manfred legt Wert darauf, seine Band bevorzugt als Live-Band anzusehen: „In erster Linie sind wir ein Live-Act. Ich bin sogar davon überzeugt, daß wir einer der besten sind, die es momentan gibt“! Selbstsicher ist er ja wieder, oder wie MM selbst es ausdrückt: „Die Moral der Truppe ist gestiegen.“ So war das wohlgemerkt nicht immer!

Die Hitgruppe

Als er 1961 aus Johannisburg (in Südafrika), wo er am 23. 10. 40 geboren wurde, in London auftauchte, wollte er nur Jazz spielen. Das tat er denn auch, allerdings mit wenig Erfolg. Er spielte Modern Jazz und war glücklich dabei. Mike Hugg, ein Drummer und Vibraphonist, begleitete ihn damals und war der Einzige, den Mann in jede seiner späteren Formationen mit einbrachte. Während des alles niederwalzenden Beatles-Boom dachte er nach und stieg ebenfalls auf Pop-(sprich Beat-) Musik um. Zu diesem Zweck mußte natürlich eine neue Band her. Die entsprechenden Leute waren schnell gefunden, und MM gab der Gruppe kurz und schlicht seinen Namen: „Manfred Mann“! Mit von der Partie waren Drummer Mike selbstredend, ein Gitarrist namens Tom McGuiness (später Gründer von McGuiness-Flint), Mike Vickers an Sax und Flöte, Sänger Paul Jones und der Meister selbst an den Tasten. Aus welchem Grund auch immer, jedenfalls wechselte die Besetzung ständig. Ein dauerndes Kommen und Gehen setzte ein. Mitunter tauchten illustre Namen auf, wie z. B. Jack Bruce und sein Baß-Nachfolger Klaus Voormann, den deutschen Beatles-Freund, der Sänger Mike d’Abo und ein bis viele Bläser. Trotz dieser fortwährenden Personalprobleme blieben Hits nicht aus. Mit dem schon erwähnten „Do Wah Diddy Diddy“ begann es und ging munter so weiter. Den Älteren unter Euch werden Songs wie „Sha La La“, „My Name Is Jack“, „Pretty Flamingo“, „Mighty Quinn“ oder „Ha Ha Said The Clown“ bestimmt noch in bester Erinnerung sein. Alle waren sie „Mann-made“ happy, clean und leicht verständlich.

Das progressive Kapitel

Irgendwann in der großen Ernte-Zeit begann sich Manfred zu fragen, wie er das, was er da fabrizierte, mit seiner Jazz-Vorliebe vereinbaren könne. Und er kam zu dem reifen Entschluß, es müsse sich etwas ändern! Ein MANN, ein Wort: Mitte ’69 löste er die eine Gruppe auf und gründet mit Busenfreund Mike Hugg eine neue. Die entsprach schon eher seinen Erwartungen – sie war jazzig, progressiv und intellektuell. „Chapter Three“ nannte sich das Unternehmen, das in den zwei Jahren des Bestehens zwei ausgezeichnete Platten, die sich trotzdem überhaupt nicht gut verkauften, veröffentlichte.

Mehr oder weniger bekannte Jazzer spielten mit, meist war es eine 10-köpfige Band, die auf der Bühne ihren Avantgarde-Rock-Ambitionen freien Lauf ließ und sich ab und an auch mal rockig benahm. Aber wo blieben Fans und Anerkennung? Die MM-Ur-Anhänger versteinerten, als sie diese völlig ungewohnten Klänge ihres Idols hörten. Das gewünschte Publikum erwartete freilich erst gar nicht, daß einer, der Hitparaden-Stücke schrieb, auch noch „anständige Musik“ machen könnte. „Chapter Three“ saß zwischen allen Stühlen, und selbst die allmächtige Kritik stand ihr ratlos gegenüber. In dieser Zeit der Ernüchterung ließ Manfred einen gewichtigen Spruch los: „Zum erstenmal seit Jahren gehe ich mit erhobenem Kopf auf die Bühne und komme nicht verlegen wieder herunter“! So war das also-Aha!!

Neubeginn

Nun gut, seit ’71 gibt es nun die „Earth Band“, die mit keinem der bisherigen Kapitel etwas zu tun hat. Außer vielleicht, daß sie aus beiden Spielarten das Brauchbarste herauszieht. Die relativ eingängigen Melodien und schnittigen Arrangements auf der einen, improvisierte Teile und weitschweifige Solo-Parts auf der anderen Seite. Ihre Discographie beginnt im Gründungsjahr mit „Manfred Mann’s Earth Band“, einer sauberen, zum Großteil aufregenden Produktion. Sie läßt große Erwartungen zurück. Es folgt ein Jahr später „Glorified Magnified“, ein genauso gutes Album. 1973 folgt „Messin“ und weist schon eine gewisse Blässe auf. Sie wirkt nicht mehr so frisch und spielfreudig wie die beiden Vorgänger. Eine Single mit dem sinnigen Titel „Joybringer“ stellt dann alles auf den Kopf bei den Mann’s. Sie wird nämlich ein Hit in England, der erste seit 1969. Die LP’s laufen zwar (ganz besonders in den USA), die Single aber schreckt alle auf! Man(n) ist wieder Wer! Auf die Frage, ob „Joybringer“ nicht etwas zu kommerziell für die Earth Band ist, antwortet Manfred: „Sie war als Single geplant und sollte nicht unsere eigentliche Musik repräsentieren. Ich sehe sie mehr als Popularitätshelfer und hoffe nicht, daß sie unser Image verändert!“ Wie meint er das nun genau???

Stilwechsel

Dieser Erfolg scheint ein Grund für den Stilwechsel, der sich leider nicht sehr positiv ausgewirkt hat. Dortmund und Scheessel waren nur 2 der Festivals, auf denen die Mann-Band ’73 dick absahnte, bevor sich Ende des gleichen Jahres die Wandlung vollzog. Neues Ziel: anspruchsvoller Kommerz auf Langspielplatten. „Solar Fire“, das erste ’74er Album (bei neuer Plattenfirma), entsprach zwar dem Vorsatz, das gewisse Etwas aber fehlte gänzlich. Die Sonne hatte einem düsteren Himmel Platz gemacht. Auch die neueste Scheibe „Good Earth“ klingt schwermütig und von schwülstigem Weltschmerz durchsetzt. Die Live-Shows bestechen dagegen durch Dynamik, Spannung, exakt gespielte Arrangements und einen bärigen Sound. Insbesondere die Plattenmusik klingt zu perfekt, ausgetüftelt und irgendwie kalt. Ob es an mangelnder Identifikation Manns fehlt oder am neu erblühten Perfektionismus, kann er nur selbst entscheiden. Er sollte sich jedoch überlegen, ob der Fehler von damals diesmal nicht vermeidbar ist. Es wäre zu schade, würde er erneut mit gesenktem Kopf und schlechtem Gewissen die Bühne betreten müssen. Der angekündigte Deutschland-Trip im April wird zeigen, für welchen Weg er sich entschieden hat: Die sonnige Frische oder den kalten Perfektionismus! Vielleicht kommt aber gar ein zweites Dortmund auf uns zu?