Marc Bolan: Der verkannte Märchenprinz


Erst Jahre nach seinem Tod erfährt Marc Bolan die angemessene Anerkennung. Anlaß sind nicht nur unveröffentlichte Aufnahmen, die in jüngster Vergangenheit ausgegraben wurden. Vielmehr hat sich seine Einschätzung durch Kritiker und Publikum grundlegend gewandelt. Steckte hinter der narzißtischen Pose nicht doch mehr, als man früher meinte...

Liebe Kinder, auch ihr werdet (hoffentlich) mal älter, und dann werden (sicherlich) obige Attraktionen zu den Geschmacksverirrungen von vor zehn Jahren gehören“, prophezeite SOUNDS anläßlich der Veröffentlichung von Bolan’s ZIP GUN (sowie anderer LPs der Glitter Band, Bay City Rollers und Rubettes).

„Donovan nachgewisperte Traumpoesie …, die stereotype Ausschlachtung pseudo-intellektueller Dada-Klischees und das harmlose Image einer Eisdielen-Bisexualität“, glaubte zur selben Zeit das „Rock-Lexikon“ entdeckt zu haben.

Bolan hatte sich wirklich gründlich in die Nesseln gesetzt. Eine am Teenager-Publikum orientierte, enorm erfolgreiche Musik und obendrein ein hemmungsloses Superstar-Gehabe hatte ihn zum Feindbild Nummer eins aller „ernsthaften“ Rock-Kritiker gemacht. Was man ihm vorwarf, faßte Magnus Zawodsky anläßlich einer Untersuchung über „Plastic-Pop“ (am Beispiel von T.Rex und den Les Humphries Singers (!) in SOUNDS 2/73 zusammen:

„Mit ‚Hot Love‘ begann der große kommerzielle Erfolg und der musikalische Abstieg. Es ist wirklich traurig zu hören, wie bewußt und beabsichtigt T.Rex aus ihren Hit-Singles alle Verzierungen und Differenzierungen herausnahmen, wie sie sich auf Gags zu schematischen Harmonien und simplen Schlagermelodien beschränkten. Es wäre nicht so schlimm, wenn die Gruppe nicht besser spielen könnte; aber daß sie ohne weiteres anspruchsvollere Sachen spielen kann und darauf verzichtet, um bei einem anspruchslosen Publikum Erfolg zu haben … Eine Band, die von der progressiven Szene kommt und sich inzwischen regelrecht prostituiert …“

Heutzutage, acht Jahre nach Bolans größten Erfolgen und viereinhalb Jahre nach seinem Tod, beginnt das Pendel in die andere Richtung auszuschlagen. Die „progressiven“ Dogmen von damals sind es, die heute bei Rock-Kritikern die gleiche Reaktion auslösen, wie es T.Rex-Platten damals taten. In England ist die Presse voll von Bolan, alte Tapes werden veröffentlicht und allenthalben macht man sich Gedanken, wer T.Rex denn nun wirklich waren.

Marc Bolan wurde als Marc Feld am 30. September 1947 als Sohn einer Marktfrau und eines Lastwagenfahrers geboren. Sein Bruder Harry ergriff den Beruf des Vaters – und Marc erklärte, er wolle Pop-Star werden, stieß er bei seinen Eltern auf wenig Begeisterung. Mit acht Jahren hatte ihm sein Vater bereits ein kleines Schlagzeug geschenkt, mit zwölf hatte Marc eine Schul-Band, in der Helen Shapiro sang, die später in England ebenfalls zum Star wurde.

Marc sah schon damals gut aus – und so kam es, daß er mit 14 für das Titelbild des britischen Magazins „Town“ fotografiert wurde als typischer Vertreter der Mod-Bewegung. Kurz darauf bekam er sogar eine kleine Rolle in der TV-Serie „Orlando“. Musik jedoch interessierte ihn stärker, so daß er sich nicht weiter als Schauspieler versuchte.

Mit 15 lernte er Allen Warren kennen, heutzutage einer von Englands bestbezahlten Fotografen, damals Kinderstar als (ebenfalls 15-jähriger) Moderator der Radiosendung „Five O’Clock Club“. Warren versuchte seine Verbindungen spielen zu lassen, um. seinem Freund Marc den Wunsch nach einer Pop-Star-Karriere zu erfüllen, schleppte ihn in Studios und stellte ihn den einflußreichen Männern in der Branche vor, stieß jedoch überall auf eisige Ablehnung.

Marcs nächste Station war Paris, wohin ihn der Schauspieler Riggs O’Hara mitnahm. Später wurde die Legende in die Welt gesetzt, er habe dort einen echten Zauberer kennengelernt und ein halbes Jahr bei ihm gelernt, aber es war nur ein Zirkusartist, der sich in Marc verliebt hatte.

Diese Erlebnisse greift er in „The Wizard“ auf, seiner ersten Single, die 1965 von Decca veröffentlicht wurde. Vorher war er bei EMI (seiner späteren Firma) mit seinen Demos durchgefallen, doch Decca wollte ihm unter dem Namen Marc Bowland eine Chance geben.

Die Kritiker mochten „The Wizard“, das Publikum kaufte jedoch nicht, ebenso erging es der zweiten Single „The Third Degree“, diesmal unter dem Namen Marc Bolan veröffentlicht.

Es gelang ihm, in der TV-Show „Ready Steady Go“ aufzutreten, wo er „The Wizard“ vorstellt, ohne daß das jedoch den Stein ins Rollen gebracht hätte.

Auswirkungen dagegen hatte die Tatsache, daß er bei „Ready Steady Go“ auf Jimi Hendrix traf, der ihn enorm begeisterte und vielleicht sogar derjenige war, der ihm den Wunsch einimpfte, Gitarren-Hero zu werden.

Der erste Schritt in diese Richtung war Marcs Einstieg bei John’s Children, einer pseudopsychedelischen Band untersten Niveaus, von allen ehemaligen Band-Mitgliedern übereinstimmend als die schlechteste Band der Welt bezeichnet. Andy Ellison, Sänger von John’s Children, erinnert sich an ihre Auftritte:

„Marc hielt sich die Gitarre über den Kopf und erzeugte dabei während des ganzen 20-minütigen Sets ein Feed-back. Mir ist schleierhaft, wie er dabei ernst bleiben konnte. Ich rannte schreiend herum und warf Federn in die Luft, während Chris, unser Schlagzeuger, sein Schlagzeug umstieß. Dann begann Marc, seine Gitarre und seinen Verstärker mit Stahlketten zu peitschen. Nach so einem Auftritt war er immer reichlich aufgekratzt.“

Marc schrieb für John’s Children zahlreiche Songs, darunter „Desdemona“, das sogar ein kleinerer Hit wurde.

Ansonsten wurde die Band eher ignoriert, nur in Deutschland erregte sie Aufsehen, als sie im Vorprogramm von den Who auf Tournee kam und in Nürnberg im angetrunkenen Zustand auf der Bühne Mobiliar zertrümmerte und dabei „Heil Hitler“ rief. Daraufhin landeten sie nicht nur fürs erste hinter Gittern, sondern wurden auch von Who-Manager Kit Lambert aus dem Tournee-Programm gestrichen.

Marc merkte, daß dies wohl nicht der richtige Weg war. Bei John’s Children verdiente er zudem so schlecht, daß er kaum davon leben konnte. Zudem war er

überhaupt nicht damit einverstanden, was die Band aus seinen Songs machte. So hatte er schließlich die Nase voll und inserierte im „Melody Maker“ nach Musikern, um eine eigene Band auf die Beine zu stellen. Es sollte natürlich die größte und beste Band der Welt werden – und darum gab es auch nur einen passenden Namen, nämlich den des größten je auf der Erde existierenden Tiers: Tyrannosaurus Rex.

Um seine Schulden zu bezahlen, sah er sich jedoch dummerweise gezwungen, seine Verstärkeranlage und elektrische Gitarre zu verkaufen, so daß ihm nur eine alte, billige akustische Gitarre blieb, die er bei einem Trödler erstanden hatte.

Der erste, der sich auf Marcs Anzeige meldete und einigermaßen mit ihm auf einer Wellenlänge zu sein schien, war Steve Peregrine Took (Peregrin Tuk ist eine Hauptfigur in Tolkiens „Der Herr der Ringe“).

Took war eigentlich Schlagzeuger, aber sein Schlagzeug ging den Weg, den schon Marcs Ausrüstung gegangen war —- die Miete müßte schließlich bezahlt werden. Man probte ein paarmal zusammen und trat bald darauf auf: als Duo —- die billigste Rockband der Welt.

Diverse Auftritte absolvierte Tyrannosaurus Rex gemeinsam mit John Peel, der gerade seinen Job bei Radio London verloren hatte. Peel spielte die heißesten neuen Insider-Platten — und in den Pausen traten dann Bolan und Took auf. Auch später, als er bei der BBC in Lohn und Brot stand, war Peel einer der emsigsten Förderer Bolans, lange bevor die Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam wurde.

Die erste Veröffentlichung von Tyrannosaurus Rex war die Single „Debora“, produziert vom späteren Bowie-Produzenten Tony Visconti, der die Band im „Middle Earth“, dem hipsten Psychdelia-Laden der damaligen Zeit gesehen hatte. „Debora“ stieg, zur Überraschung sämtlicher Beteiligter, in den Charts bis auf Platz 26, was für eine derartig unkonventionelle Band ein fantastischer Beginn war.

Es folgte die LP MY PEOPLE WERE FAIR AND HAD SKY IN THEIR HAIR BUT NOW THEY’RE CONTENT TO WEAR STARS ON THEIR BROWS (wohl der längste LP-Titel der Rock-Geschichte – dabei waren es einfach nur die letzten vier Zeilen des Songs „Frowning Atahuallpa“). Die LP hatte ein kitschiges Psychedelia-Gemälde zum Cover und enthielt fast nur Songs, die Marc ursprünglich für John’s Children geschrieben hatte. Für mich ist MY PEOPLE WERE FAIR… nicht nur die beste Bolan-LP, sondern eine der fünf besten LPs aus den Sechzigern überhaupt. Songs wie „Graceful Fat Sheba“ oder “ Wielder Of Words“ werden nicht alle Tage geschrieben, auch nicht von einem Marc Bolan.

Aber weiter geht’s. 1968 sollte zu Bolans produktivstem Jahr werden, denn im selben Jahr brachte er noch die Single „One Inch Rock“, ein richtiger Rocker, nur eben in akustischer Duo-Besetzung aufgenommen -— sowie die zweite Tyrannosaurus Rex-LP heraus, wieder mit einem recht spektakulären Titel: PROPHETS, SEERS AND SAGES – THE ANGELS OF THE AGES.

Von den Verkaufszahlen her ließ sich jedoch an den mit „Debora“ so verheißungsvollen Beginn nicht anknüpfen. Das Spätsechziger-Hippie-Publikum wollte zwar Neues, Ausgeflipptes hören, bevorzugte aber eindeutigere Sachen wie Hendrix, Pink Floyd, Soft Machine oder Cream. Die Folk-Freunde, die durch die akustische Instrumentierung angelockt worden waren, konnten sich wiederum nicht mit Bolans Texten und seiner eigenwilligen Kompositionsweise anfreunden, ihnen waren solche Klänge nicht traditionell genug.

Ebenfalls in das Jahr 1968 fällt Marcs Bekanntschaft mit June Child. June arbeitete damals für Blackhill Enterprises, die unter anderem Roy Harper und Pink Floyd managten. Bolan war an die Firma herangetreten, weil er ebenfalls einen neuen Manager suchte. So schauten sich June und Andrew Blackhill einen Tyrannosaurus Rex-Gig an, und als sie Marc später aufsuchte, um Einzelheiten des Vertrages zu besprechen, empfing er sie mit einem Liebesgedicht und den Worten:

„Ich muß mit dir reden. Ich habe mich nämlich in dich verliebt.“

June hatte zu dieser Zeit einen festen Freund, mit dem sie schon längere Zeit zusammenlebte, verließ ihn jedoch am Tag darauf, um bei Bolan einzuziehen. Nicht nur ihr Freund war von dieser Reaktion völlig überrumpelt. Schließlich war June fünf Jahre älter als Marc. June wurde seine Managerin und hatte nicht geringen Anteil an Marcs späterem Erfolg.

Im Frühjahr 1969 beendeten Marc und Steve die Aufnahmen zur dritten Tyrannosaurus Rex-LP UNICORN, die nach der etwas uninspiriert klingenden PROPHETS, SEERS AND SAGES, THE ANGELS OF THE AGES wieder einen künstlerischen Aufwärtstrend markiert und mit „The Throats Of Winter“ und „Nijinsky Hind“ wieder zwei ausgesprochene Ausnahmesongs enthält.

Das Instrumentarium wurde für UNICORN erweitert, in „Catblack (The Wizard’s Hat)“ sitzt Tony Visconti am Klavier, ansonsten finden in erster Linie Obskuritäten Verwendung, wie Lip Organ, Fonofiddle, African Talking Drums oder Pixiefone. UNICORN klingt dadurch noch psychedelischer als die beiden vorangegangenen LPs.

Marc begann als versponnenes Untergrund-Psychedelia-Genie langsam zur Institution zu werden, was ihm überhaupt nicht benagte, strebte er doch immer noch den Durchbruch zum Rockstar an. Eine US-Tour schien ihm dazu eine Chance zu liefern, da zu jener Zeit die USA einen wahren Heißhunger nach britischen Kuriositäten hatten.

Die Tour wurde jedoch trotz June Childs Diplomatie und Organisationstalent zum Fiasko. Nicht nur, daß die Tyrannosaurus Rex-Musik für Amerika offensichtlich zu schräge war, Marc ging obendrein noch sein Bongotrommler verloren.

Ohne daß Marc es richtig gemerkt hatte, hatte sich Steve Took zu einem totalen LSD-Fanatiker entwickelt und schluckte täglich mehrere Trips. Während eines Auftritts in New York begann Steve plötzlich, sich bis auf die Unterhose auszuziehen und zertrümmerte schließlich das bißchen Equipment, das man sich mittlerweile zusammengespart hatte. Nach dem Auftritt war er spurlos verschwunden, so daß Marc und June gezwungen waren, ohne ihn nach Hause zu fliegen. Hätten sie wohl aber sowieso getan.

Es gab einen Menschen im Bekanntenkreis von June Child, ein gewisser Michael Norman Finn, der ihm als Maler vorgestellt worden war, der aber, wie sich später herausstellte, keineswegs Künstler war, sondern Anstreicher. Er konnte weder Congas spielen (besaß aber welche) noch singen, sah jedoch gut aus. Als Qualifikation reichte das, zumal Marc ja am liebsten alles selbst machte und keine Lust hatte, sich in sein Konzept reinreden zu lassen.

So wurde Mickey Finn also zweiter Mann bei Tyrannosaurus Rex, gerade noch rechtzeitig, um noch einige Overdubs für A BEARD OF STARS aufzunehmen, das vierte Tyrannosaurus Rex-Album, das auch die endgültige Rückkehr der E-Gitarre brachte.

A BEARD OF STARS kommt für mich gleich nach MY PEOPLE WERE FAIR.., es enthält mit „A Day Laye“, „Fist Heart Mighty Dawn Dart“, „Great Horse“ und „Lofty Skies“ die stärksten Bolan-Songs überhaupt, allerdings mit „Organ Blues“ und „Dove“ auch zwei Totalausfälle. A BEARD OF STARS kam wegen des elektrischeren Sounds beim Rock-Publikum viel besser an als die drei puristischen Vorgänger, ohne jedoch deswegen gleich besonders erfolgreich zu sein. Immerhin war Tyrannosaurus Rex nun bekannt genug für einen Gig in der ‚Queen Elizabeth Hall‘. Bolan soll an jenem Abend in besonders guter Form gewesen sein, als übrigens kein anderer als David Bowie in seinem Vorprogramm auftrat.

Um jedoch einen noch professionelleren Live-Sound bieten zu können, kamen Marc und Mikkey überein, einen Bassisten zu engagieren, eine Rolle, die bis dahin Tony Visconti ab und zu übernommen hatte. Der Auserwählte hieß Steve Currie und war eigentlich nach London gekommen, um bei Manfred Mann’s Chapter Three einzusteigen, sollte jedoch seine Entscheidung nicht bereuen.

Zur selben Zeit entschloß sich Marc, seine Band völlig stromlinienförmig auszurichten, den Namen auf T. Rex zu reduzieren, und einen Schlagzeuger zu engagieren, Bill Legent. Marcs Stimme und seine Art Stücke zu schreiben, garantierten schließlich, daß T. Rex nicht im Mainstream versinken würde.

Es folgten zwei Monate, in denen er sich intensiv dem Schreiben neuer Songs widmete. Ein besonders hitverdächtiger Song war unter dem dabei entstandenen Material, „Ride A White Swan“ — und obwohl er nach so vielen Single-Mißerfolgen eigentlich vorhatte, sich ganz auf Alben zu beschränken, machte er einen letzten Versuch und brachte den Titel am 24. Oktober 1970 als Single heraus.

Und plötzlich war der Hit da – „Ride A White Swan“ stieg in den Charts, stieg und stieg und stieß schließlich bis auf Platz 2 vor. Im Dezember folgte das Album T. REX (in der BRD unter dem Titel „Ride A White Swan“ veröffentlicht — die Hitsingle ist in dieser Fassung enthalten, dafür fehlt „The Time Of Love Is Now“), das ebenfalls sehr basisnah produziert wurde, mit Streichern, viel Background-Gesang und Bolans unverkennbarer Mutanten-Heavy-Gitarre. Andererseits enthält T. REX mit „The Visit“, „The Time Of Love Is Now“ und „Suneye“ auch noch drei rein akustische Titel, die offenbar bewußt mit besonders harten Rockern wie „Jewel“, „Childe“ und der neuen, fast zehnminütigen Version von „The Wizard“ kontrastiert wurden.

Durch einen simplen Trick verstärkt Marc in diesem Stadium bewußt die Teenager-Hysterie, die sogenannte `T. Rextasy`: Er senkt die Eintrittspreise bei seinen Konzerten soweit, daß jeder Teenager sie bezahlen kann. Plötzlich mischen sich in den Konzertsälen kreischende zwölfjährige Mädchen, späte Psychedeliker und fusselbärtige Studenten. Letztere bleiben jedoch bald fern, weniger weil sie Marc nicht mal einen Hit gönnen, sondern weil sie sich mit den ekstatischen Massen und Bolans Glitzerdress nicht anfreunden können. Bolan war übrigens einer der ersten, wenn nicht sogar der erste, der den Glitterdress propagierte und konsequent geschminkt in die Öffentlichkeit trat.

Die Reaktion der Medien war natürlich ablehnend. Marc hatte sich zuviel zu Schulden kommen lassen -— hatte erst seine Band elektrifiziert (womit sich ja seinerzeit schon Bob Dylan den Haß seiner Fans zugezogen hatte), hatte sich dann öffentlich zur Kommerzialität und zum Startum bekannt, hatte ein kreischendes Teenager-Publikum angezogen und war schließlich seinen alten Verehrern musikalisch zu primitiv geworden. (Blues war zwar noch primitiver, hatte aber den „arme Neger“-Bonus und war deswegen unangreifbar).

Derartige Kritik störte Marc nicht mehr. Lange genug hatte er künstlerische Anerkennung, aber keinen Erfolg gehabt, nun wollte er’s umgekehrt. Im Februar 1971 erschien „Hot Love“, das in diversen Ländern ein Nummer 1-Hit wurde. Krawalle und Massenhysterie standen plötzlich bei T. Rex-Konzerten auf der Tagesordnung.

Bei Marc verursachte der über Nacht hereinbrechende Erfolg eine völlige Wandlung. Er wurde größenwahnsinnig und brach mit fast allen früheren Freunden, auch mit John Peel: „Marc behandelte John wie einen Untertanen“, erzählt June Child, „und John war tief verletzt dadurch. Er hatte ihm seine erste Chance im Radio gegeben, ohne es ihm je vorzuhalten. Er hatte ihm viele Aultritte verschallt. Es war alles so blöde und so unerfreulich, dabei hatte man das Ganze in weniger als einer Minute bereinigen können.

Das gleiche passierte mit Tony Visconti. Er war ein sehr guter Freund, wir kamen bestens mit ihm aus. Plötzlich versuchte Marc, Tonys Fähigkeiten als Produzent herunterzumachen. ‚Ich brauche keinen Produzenten, ich kann meine Platten selber produzieren.‘ Er fand Gefallen an seinem Ruhm, seiner Wichtigkeit und seinem angeblich so göttlichen Talent.“

Durch seine Bekanntschaft mit anderen Rock-Stars geriet er auch ans Kokain. Kokain war häufig die Ursache, daß Leute plötzlich ihren Charakter änderten, egozentrisch und paranoid wurden. June gibt dem Kokain eine große Schuld an Marc Persönlichkeitswandel.

Zunächst kam jedoch noch Hit auf Hit: „Get It On“, „Jeepster“, „Telegram Sam“, „Metal Guru“, „The Children Of The Revolution“, „Solid Gold Easy Action“. Dazu im Herbst 1971 die LP ELECTRIC WARRIOR und im Sommer des folgenden Jahres THE SLIDER.

Die Songs waren alle nach dem gleichen Muster gestrickt, simple Bubblegum-Ohrwürmer mit Boogie-Rhythmus und manchmal noch mit den Resten von Marcs mystischer Poesie. Die Fachpresse haßte die Songs natürlich, aber hört man sie heute, mit dem Abstand von fast zehn Jahren, kann man ihnen einen gewissen Charme nicht absprechen. Bolan wußte jedenfalls genau, was er tat.

„Get It On“ (heutzutage spielen es die Undertones als Zugabe) wurde sein größter Hit, auch in USA kam er hoch in die Charts. Im März 1972 gab er zwei ausverkaufte Konzerte im Empire Pool in Wembley, die Ringo Starr filmte und die Ende des Jahres unter dem Titel „Born To Boogie“ in die Kinos kamen.

Damit schien sein Ruhm zunächst einen Höhepunkt erreicht zu haben. 1973 erschien das Album TANX, das sich aber schon nicht mehr so gut verkaufte wie ELECTRIC WARRIOR oder THE SLIDER, trotz des Erfolges von „Born To Boogie“.

Die nächsten Singles, nämlich „2Oth Century Boy“, „The Groover“ und „Truck On Tyke“, konnten sich auch nicht mehr ganz oben in den Charts placieren. Marc glich das aus, indem er häufiger tourte. Besonders in den USA wollte er jetzt den endgültigen Durchbruch schaffen. Nach einer solchen Tour lernte er Gloria Jones kennen, die für T.Rex als Backgroundsängerin engagiert worden war, obwohl sie eigentlich eher eine Songwriterin und auch Produzentin war. Die Affäre mit Gloria Jones war nicht die erste nach seiner Heirat mit June Child, aber es war diejenige, die June Child dazu brachte, endgültig den Schlußstrich zu ziehen. Marc blieb mit Gloria Jones zusammen —und 1975 kam beider Sohn Roland Seymour zur Welt, den sie Rolan Bolan nannten.

Während die nächste LP herauskam, ZINC ALLOY AND THE HIDDEN RIDERS OF TOMORROW, lebte er in Frankreich in einem Hotel und schüttete Unmengen Cognac in sich hinein, lebte überhaupt so ungesund, wie es irgend ging, was zur Folge hatte, daß er diverse Pfunde zunahm und nicht mehr in den Spiegel sehen mochte.

Er ging wieder auf ausgedehnte Tourneen, versuchte an frühere Erfolge anzuknüpfen, ohne daß das so recht gelang. Schließlich verließ Schlagzeuger Bill Legent die Gruppe. Marc nahm eine Single auf mit dem Titel “ Whatever Happened To The Teenage Dream“, was wohl als Selbstironie zu verstehen war. Dies war die erste Veröffentlichung als ‚Marc Bolan & T. Rex‘!

Mit der Zeit überwand Marc jedoch die Krise, er war zwar etwas rundlich, hatte jedoch seine künstlerische Energie zurückgewonnen und viele Pläne für die Zukunft. Bei der EMI hatte er ein eigenes Label. Er wollte u.a. eine elektronische LP herausbringen, ebenso ein Album ausschließlich mit Dichtung.

1974 begann mit einer erfolgreichen England-Tour, es folgten aber eher unerfreuliche Ereignisse wie die Trennung von June Child (obwohl sie nie offiziell geschieden wurden), die Tatsache, daß ZINC ALLOY ein Hop wurde oder das Ausscheiden von Mikkey Finn aus der Band (der sich daraufhin völlig aus dem Musikgeschäft zurückzog).

1975 wurde besser. „Dream Lady“ und besonders „New York City“ gelangten wieder in die Hitparaden, wenn auch nicht auf Platz 1. Außerdem engagierte man Marc wieder für diverse Fernsehauftritte, er hatte sogar eine Zeit lang eine eigene Talkshow. Nach eigener Aussage fühlte er sich wie Bob Dylan nach dem Motorradunfall.

Trotz zum Teil ausverkaufter Tourneen wollte sich auch die nächste LP nicht so gut verkaufen, BOLAN‘ s ZIP GUN; auch „Zip Gun Boogie“ wurde als Single ein Flop. Marc störte das inzwischen jedoch wenig, seine Haltung war Optimismus: „Normalerweise wacht es ein Rock-Star nicht länger als fünf Jahre. Ich bin jetzt schon in meinem sechsten – und das heißt, daß ich gut

bin für zehn weitere.“

Seine Hauptaktivitäten galten jetzt dem TV. Zusammen mit Mike Mansfield produzierte er mehrere Shows und hatte Ideen für hun dert ähnliche Projekte. Er versuchte sich auch weiter als Schauspieler, ohne daran jedoch besonders viel Spaß zu finden.

1976 war er wieder mal in den Top Twenty, diesmal mit der Single „I Love To Boogie“. Als das nächste Album FUTURISTIC DRAGON erschien, wollte er die beste live-Band zusammenstellen, die er je hatte. In der Band, mit der er schließlich ging, waren unter anderem der Singer/Songwriter Miller Anderson (der der Hauptgrund für die Erfolge der Keef Hartley Band in den frühen Siebzigern war, ausserdem ein ausgezeichneter Jazz-Gitarrist), sowie Herbie Flowers, heutzutage Großverdiener bei Sky. 1977 nahm er mit dieser Band sein letztes Album auf, DANDY IN THE UNDERWORLD. Im Anschluß daran ging er mit den Damned im Vorprogramm auf Tournee. Marc war ohnehin einer der ersten begeisterten Punk-Fans. Er ließ viele Bands in seinem Studio aufnehmen; für Rat Scabies von The Damned ist er auch heute noch „The Godfather Of Punk“. Herbie Flowers (den er übrigens nur engagierte, weil er gerne mit einem Mann, der so einen Namen besaß, zusammenspielen wollte), hält noch heute große Stücke auf Marc Bolan, hält ihn für einen der allergrößten Stars, einen wahren Profi-Entertainer, der seine Musiker extrem gut behandelte und der auch selbst ein außergewöhnlicher Gitarrist war. „Marc spielte manchmal nur einen einzigen, langen Ton während eines Solos, aber es war genial Andere Leute hätten stattdessen 700 Töne gespielt, aber es wäre trotzdem todlangweilig.“

Weiterhin engagierte sich Marc für Punk-Bands, half Generation X und Eddie And The Hot Rods im Studio und vermittelte den Jam ihren ersten Fernsehauftritt. Auch die Boomtown Rats debütierten in „Marc“, seiner TV-Show. Geplant war auch eine Zusammenarbeit mit David Bowie.

Am Freitag, dem 16. September 1977, starb Marc auf dem Beifahrersitz eines roten Mini, der von Gloria Jones gesteuert wurde. Gloria überlebte und lebt jetzt mit Sohn Roland in den Staaten. Den ehemaligen Bassisten von T. Rex, Steve Currie, ereilte 1981 in Spanien das gleiche Schicksal, während Marcs Begleiter der ersten Stunde, Steve Took, 1980 an einer Cocktailkirsche erstickte.

Marc Bolan starb in einer Periode größter Kreativität und Produktivität. Bekannte sind sich einig, daß sein Beitrag zur Rockgeschichte in den folgenden Jahren bestimmt von unschätzbarem Wert gewesen wäre. Aber das war es auch so.