Schmerz laß nach. Hinter Tonfassaden haben die Einstürzenden Neubauten ihr Herz entdeckt und lassen in Klangwüsten jetzt Leben sprießen.
„Der Auslöser für die Einstürzenden Neubauten war tatsächlich nur, daß jemand in den Laden kam, den ich damals hatte, und fragte, ob ich Lusi hätte, in einem Laden zu spielen, den es heute nicht mehr gibt.“
Das war vor dreizehn Jahren. Einstürzende Neubauten sind seither ein deutsches Synonym für kreatives Klangchaos, für systematische Lärmattacken und ein rotes Tuch für harmoniebedürftige Kritiker. Einstürzende Neubauten sind aber auch deutsche Hochkultur im gelegentlichen Schulterschluß mit Theatergrößen wie Peter Zadek oder Heiner Müller, sind dem FAZ-Feuilletonisten bisweilen näher als dem Privat-Radio-Moderator und außerdem im Ausland mit Sicherheit bekannter als Klaus Kinkel. „Eine Institution, „stellt Blixa Bargeld, der Mann des Wortes im Konglomerat der fünf Klangkünstler, unumwunden fest.
Auch so können intelligente Menschen aussehen: Blaß, hager, die Haare zurückgekämmt und die Kleidung Ton in Ton mit den schwarz umrandeten Augen. Fast schon sentimental dieses Auftreten in einer Zeit, in der ‚ Trendsetter ihr persönliches Avantgardistentum mit einem bunten Stiissy-Mützchen krönen. Früher, da war man ideologisch und stilistisch auf der Höhe, wenn man den Sommerurlaub im Straßenstaub der Mauerstadt verbrachte und den kleinen Kämpfer in sich mit den brutalen Tönen dieser unbequemen Berliner Kinder pflegte. Ein Mythos, der Bargeld nicht erst heute schaudern läßt: „Die Legende, daß wir eine Berliner Band sind, hat nie gestimmt. Wir haben immer verstreut gewohnt, wir hatten noch nie einen Übungsraum, in dem wir uns Stücke ausgedacht haben. “ Und mit einem süffisanten Lächeln fügt er noch hinzu:
„Mit Hilfe moderner Transportmittel, Telefon und Fax läßt sich trotzdem ganz gut zusammenarbeiten. „
„Gegen wen?“ mag der durchschnittliche Neubauten-Anhänger gewohnheitsgemäß fragen, doch auch da steuert Herr Bargeld gegen seine Altlasten: „Provokation war nie unser Ausgangspunkt. “ Sein natürlicher Gegner ist eher die Erwartungshaltung seines eigenen Publikums. „Mit .Kollaps‘, unserer ersten Platte wollten wir tatsächlich eine Platte machen, die so gemein und unhörbar sein sollte, wie nur denkbar. Aber man kann nur einmal die unhörbarste Platte aller Zeilen machen. Mit fortschreitendem Bekanntheitsgrad ist die eigentliche Konfrontation das Publikum, dessen Erwartungshaltung du immer wieder enttäuschen mußt. „
Dreizehn Jahre nach „Kollaps“ veröffentlichen die Einstürzenden Neubauten eine Trilogie von Neuheiten ihres außergewöhnlichen Musikschaffens: „Tabula Rasa“, „Interim“ und „Malediction“ sind ein Dreiergespann aus Album, Maxi-Single und Mini-CD, das tatsächlich allenfalls noch das Weltbild ihrer abgehärteten Zuhörer zusammenbrechen läßt. Überraschend ruhig, besinnlich, bisweilen ethnisch angehaucht, und — darf man es sagen — auch romantisch, präsentieren sie sich. Dichter und Denker Bargeld findet menschliche Formulierungen für selten persönliche Seelenepen, die zwar „immernoch kryptisch, doch trotzdem eingängiger sind, aus irgendeinem seltsamen Grund, “ wie er selber zugibt. „Reife vielleicht, ich weiß es nicht, “ zuckt er mit den Schultern.
Handzahmer sind sie trotzdem nicht geworden, nur erreichbarer. Im dreizehnten Jahr der Einstürzenden Neubauten findet manche Zeile und mancher Ton ihrer neuen Veröffentlichungen durch unzählig verknüpfte Hirnwindungen doch ins Herz. Damit sind sie natürlich immer noch mehr als drei Sprachebenen von Grönemeyer & Co. entfernt. Und diese Feststellung läßt sogar über Blixa Bargelds Gesicht mal ein Lachein huschen: „Das freut mich aber. Na, denn viele Grüße an meine Kollegen: Ich habe gewonnen. „
