Max Raabe im Interview: „Rechtes Denken und Ironie schließen sich aus““
Max Raabe im ROLLING-STONE-Gespräch über wesensverwandte Rapper, Riesenmonster im Raum, das Revival der Goldenen 20er-Jahre sowie sein aktuelles Album „Max Raabe & Palast Orchester – MTV Unplugged“.
Mit „Max Raabe & Palast Orchester – MTV Unplugged“ haben Max Raabe und das Palast Orchester ein Album im Rahmen der populären Musik-ohne-Strom-Reihe des Fernsehsenders veröffentlicht. Vor handverlesenem, gut gekleideten Publikum nahmen der Sänger und seine Band ein Konzert in Clärchens Ballhaus in Berlin-Mitte auf. Begleitet wurden sie von Gaststars wie Herbert Grönemeyer, Samy Deluxe, Lars Eidinger und dem finnischen Rocker und ESC-Gewinner Lordi.
ROLLING STONE traf Raabe vor Ort zum Interview, im Dezember 2019 wurde es veröffentlicht. Wir teilen es an dieser Stelle, weil Raabe als Abschluss in unserer gemeinsamen Reihe #DAHEIMDABEIKONZERTE auftritt.
Wie kamen Sie auf die Idee eines „Unplugged“-Albums?
Max Raabe (lacht): Das wüsste ich auch gern! Vor allem wäre ich im Leben nicht darauf gekommen, als Künstler bei „MTV Unplugged“ eingeladen zu werden. Ich habe versucht mir vorzustellen, ob und wie ich in das Format passen könnte. Wahrscheinlich liegt genau darin der Reiz. Zuerst dachte ich ja, das Projekt riecht nach viel Arbeit – und einer Menge Potenzial sich zu blamieren! Dann dachte ich darüber nach, wie es wäre, wenn man Leute einlädt, auf die man gar nicht kommt. Ich habe auf dem Schulhof auch immer gerne mit Rabauken gespielt. Ich fand grenzübergreifende Geschichten stets spannend.
Hat MTV bei Ihnen angerufen?
An den genauen Vorgang kann ich mich nicht mehr erinnern. Es war auf jeden Fall plötzlich ein Thema. Dann haben wir uns mit den Verantwortlichen von MTV getroffen – wir haben ja kein externes Management, das machen wir alles selbst. Unser Geschäftsführer spielt bei uns das erste Alt-Saxophon.Wir sprachen mit den Verantwortlichen von Universal , Joe Chialo von Airforce 1 und unserem Team von der Deutschen Grammophon, und dann auch schon mit Mara Ridder-Reichert und ihrem Team von MTV. Und dann haben wir einfach mal ein bisschen drauflosgequatscht. Das hat mir gefallen.
MTV richtet sich normalerweise an ein Publikum, für das Ihre Musik eher traditionell klingt.
Ja, MTV und ich, das sind eigentlich zwei verschiedene Welten. Man müsste fragen, was sie geritten hat, auf mich zuzukommen. Aber schon die ersten Gespräche waren sehr konstruktiv und spannend. Und dann haben wir überlegt, wen man als musikalische Partner für „Unplugged“ anfragen könnte.
In gemeinsamer Arbeit mit MTV?
Ja, natürlich. Wir haben gleich ganz oben angefangen: Herbert Grönemeyer. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn er gesagt hätte: „Du, ich habe genug zu tun“. Aber es hat geklappt.
Die Kooperation mit Samy Deluxe ist unkonventionell – Rap und Orchestermusik, wie passt das zusammen?
Darauf war ich auch sehr gespannt. Ich habe mit ihm telefoniert, und ihn gefragt, ob er sich das vorstellen kann. Er sagte: „Das ist lustig – ich hatte eh vor, dich für mein nächstes Album als Gast anzufragen!“ Es gibt wenig Gemeinsamkeiten zwischen uns, aber eine ist entscheidend: die große Begeisterung für die Rhythmisierung und Formsprache unserer Muttersprache. Also mit der deutschen Sprache zu jonglieren und etwas aus ihr zu bilden. Samy Deluxe war für mich immer ein Rapper, der nicht zu diesen schlechtgelaunten Kettenträgern in dicken Autos gehört, die maulig und muffig ihre einsilbigen Thesen auf die Welt verteilen. Samy ist jemand, der etwas erzählt, der die Gesellschaft reflektiert und einen Blick auf die Gegenwart hat und das in seinen Texten deutlich macht.
Wie entstand die Zusammenarbeit mit dem finnischen Rocker Lordi?
Ich wollte unbedingt einen ganz stillen und empfindsamen Moment auf der Scheibe haben. Lordi ist das Gegenteil von dem, was man mit still und empfindsam verbindet. Es war ein Rabatz: Das Orchester spielt klasse, es gibt Bodennebel – plötzlich steht da dieses Riesenmonster im Raum, es wird still, ganz still. Und Lordi singt „Just a Gigolo“ – allein für diesen Effekt hat sich das alles gelohnt.
Gerade feierten wir 30 Jahre Mauerfall. Sie selbst sind mit 20 aus Westdeutschland nach Berlin gekommen. Wie haben Sie die Wende wahrgenommen?
Ich fand Berlin ja wunderbar, so wie es war. Kein Mensch hat mit dem Mauerfall gerechnet – im Gegenteil, wer in meinen Kreisen an eine Wiedervereinigung gedacht hat, galt eher als Revanchist. Man hat die Spaltung akzeptiert, als Strafe für den Krieg.
Also war es eine Utopie, an die niemand gedacht hat?
Es war immer eine Utopie. Ich habe niemanden gekannt, der jemals über Wiedervereinigung nachgedacht hat. Eher noch, dass Ost und West sich etwas öffnen, dass man leichter hin und her fahren kann, dass alles geschmeidiger wird. Ich fand Berlin großartig, es war eine Menge los – es gab tolle Clubs und Partys, und mir hat nichts gefehlt. Aber ich habe zu der Zeit studiert, und dann hatten wir Premiere mit der Henze-Oper „Das Ende einer Welt“ just am 9. November. Dann kamen die ersten Gerüchte über eine Maueröffnung auf, und die Leute sagten „darüber macht man keine Witze“. Wir waren danach in einer Pizzeria feiern, und die Gerüchte verdichteten sich, wir beschlossen: Jetzt fahren wir mal zum Brandenburger Tor. Und da tanzten die Leute dann auf dieser Mauer, die an der Stelle ja sehr breit gewesen ist.
„Rechtes Denken und Ironie schließen sich aus“
Werden Sie manchmal mit dem Vorwurf konfrontiert, dass Musik aus der Weimarer Republik später auch von den Nazis gehört wurde?
Nein. Meine favorisierten Texter waren zu 90 Prozent Juden. Es gab katholische und protestantische und jüdische Komponisten, die sich aber nicht auf ihre Religionen bezogen haben, sondern sich ganz einfach als Texter und Komponisten sahen. In den Texten wird auch eine große Ironie deutlich. Und rechtes Denken und Ironie schließen sich aus. Rechte können vielleicht lustig sein, aber Ironie setzt auch eine gewisse Selbstreflektion voraus und einen selbstkritischen Blick. Und diesen distanzierten Blick auf sich selbst haben rechte Leute nicht – können sie gar nicht haben. Die sind von sich überzeugt, im Sinne von „und so machen wir das“ – ohne ironische Brüche. Können Sie sich vorstellen, dass Hitler mal einen selbstironischen Spruch gebracht hat?
Nein.
Stellen sie sich das mal vor: „Ich bin heute beim Rasieren ausgerutscht, da musste ich die linke und rechte Hälfte abnehmen. Ups, Tadaa, jetzt sehe ich aus wie Charlie Chaplin, naja egal – Hauptsache, der Scheitel sitzt.“
2020 werden die Goldenen 20er schon 100 Jahre alt. Haben Sie das Jubiläum im Sinn?
Ja, das ist mir schon aufgefallen. Wir haben ein Stück von Robert Stolz, das ist von 1920 – nächstes Jahr ist das dann auf einmal 100 Jahre alt. Als das Palast Orchester und ich anfingen, haben wir teilweise noch Komponisten und Interpreten aus der Zeit kennengelernt. Das waren natürlich alte Herrschaften, wie Robert Biberti, den Bass von den Comedian Harmonists. Da hat eine Art Staffelübergabe stattgefunden. Unser erstes Konzert datierte auf 1987 – das heisst, wenn jemand damals 77 war, war das ja eigentlich kein alter Mensch. Die saßen bei uns im Saal und haben dieselbe Musik gehört, die sie als Teenie gehört haben. Damals war das für mich ganz selbstverständlich. Nur ist es jetzt so, dass mir klar wird, wie alt dieses Repertoire plötzlich geworden ist.
Sehen Sie hinsichtlich Serien wie „Babylon Berlin“ eine wachsende Popularität der Zeit?
Wenn wir diese Musik mal nicht mehr machen, macht das eben jemand anderes. Mozart und Beethoven sind auch allgegenwärtig – die Musik ist geschrieben worden und sie ist präsent. Man geht zu YouTube und kriegt alles vorgelegt, was einem die Musikgeschichte bietet. Bei mir im Hof rennen auf einmal kleine Mädchen übers Pflaster und singen „Girls just wanna have fun“ – und ich denk, woher kennen die das? Alles ist verfügbar. Jeder kennt alles und jeder kann sich aussuchen, was er möchte. Als ich 16 war, hat man nur eine ganz bestimmte Richtung gehört. Und wenn man keinen Parka getragen hat mit einer Drahtbürste in einer Einstecktasche, dann gehörte man nicht dazu – und war der, der ABBA gehört hat. Und man hat auch nicht mit Leuten geredet, die ABBA gehört haben.
Wo ordnen Sie die Vor-Swing-Ära in der Musikgeschichte ein?
Die Vor-Swing-Ära hat einerseits eine gewisse Eckigkeit, aber auch eine gewisse Geschmeidigkeit. In meinem Freundeskreis hatten wir immer schon Jazz gespielt, darum war das eh immer eine Clique, die auf einem anderen Level tickte. Ich war nie orthodox, mein Bruder hat immer Jazz Total oder Birth Control gehört, Kraftwerk, das fand ich auch gut. Wenn „Gamma Ray” von Birth Control irgendwo läuft, spring ich immer noch wie ein Bekloppter auf die Tanzfläche. Ich bin für alles offen, aber das war mein Ding, das hat mich gepackt.
Haben Sie jemals überlegt, Musik zu machen, die nicht aus der Dekade kommt, die Sie berühmt gemacht hat?
Ja, ich bin eigentlich über Schubert und Schuhmann zu Liedern gekommen. Ich war ganz ergriffen von diesen Geschichten und von diesen Bildern. Und dann habe ich in Berlin Musik studiert, aber die Lehrer meinten, nur Opernsänger zählen. Glücklicherweise ist dann während des Studiums alles anders gekommen.
Haben Sie neben Ihren Cover-Versionen jemals überlegt auf englisch zu singen?
Wir haben ja Stücke wie „Night and Day“ im Programm. Da singe ich nicht so viel, weil ich dem deutschen Publikum keinen englischen Text vorsingen will. Bei englischsprachigen Liedern will ich das Orchester brillieren lassen. Das sind meistens Stücke der mittleren 1930er-Jahre, die Orchester- Arrangements der Amerikaner sind einfach wilder und bilden einen schönen Kontrastpunkt zu dem, was hier in Europa entstanden ist. Stücke wie „Night and Day“ werden in Amerika mittels Bigband geswingt.
Das Gespräch führte Jonathan Anda.
Max Raabe als Special Guest in unserer Reihe #DAHEIMDABEIKONZERTE: 3. Juni, 19 Uhr auf musikexpress.de, RollingStone.de und Metal-Hammer.de
Alle Konzerte auf magenta-musik-360.de und #dabei/MagentaTV sehen