ME hat gewählt: Das sind unsere Alben des Jahres 2024
50 Alben, die uns begeistert haben – mit Platten von Pearl Jam, Last Dinner Party und Charli XCX.
29. English Teacher – THIS COULD BE TEXAS
Nach der tollen POLYAWKWARD-EP 2022 war der Ton gesetzt, besser: die Vielfalt der Töne und Stile und Hinweise, die in einen, sagen wir, Rocksong im weitesten Sinne passen. Und falls ein solcher mal versucht ist, in Richtung Stadion-Hymne zu drehen, setzt eine Progjazz-Gitarre oder ein Piano aus der UK-Music-Hall-Tradition den ersten Schritt raus aus der Hölle. Und Sängerin Lily Fontaine taumelt voller Emphase über ein Feld der Möglichkeiten der Selbstermächtigung – kein Lehrerpult weit und breit.
Frank Sawatzki
28. Die Mausis – IN EINEM BLAUEN MOND
Gewöhnlicherweise liebt Drangsal das Brimborium und Stella Sommer die Dunkelheit. Für ihr gemeinsames Projekt schlüpften sie heuer in possierliche Mäusehäute, um darin Reduktion und Juxerei zu finden. Mit sanftem Gang purzeln sie durch Paralleluniversen voller Käsekomödien und Todestragödien. Im Duett pendeln sie zwischen Folk und seinem närrischen Brüderlein Antifolk, durchqueren dabei Pop und Country. Das Resultat ist ein wahnwitzig-entzückend-kindsköpfiges Pamphlet der Romantik.
Martin Schüler
27. Stadtlober & Tucholsky – WENN WIR EINMAL NICHT GRAUSAM SIND, DANN GLAUBEN WIR GLEICH, WIR SEIEN GUT
Die Zeiten sind scheiße. Das war in Deutschlands Historie schon oft der Fall und gerade jetzt wieder macht es Sinn, sich anzugucken, was Kurt Tucholsky zu sagen hatte, als es damals losging mit brüllenden, ausgrenzenden, antisemitischen Idiot:innen und ihren Wähler:innen. Als Robert Stadlober feststellte, wie hilfreich und heutig des großartigen Autors Texte noch sind, machte er sich ans Werk und Songs daraus, die er ohne nerviges Pathos für dieses Album einsang. Das Ganze kommt als schockierende Überraschung daher, hilft aber, wenn man sich nach Orientierung und Trost sehnt.
Rebecca Spilker
26. MGMT – LOSS OF LIFE
Für den ersten großen The-Cure-Moment des Jahres sorgten bereits im Februar MGMT: Ihr Song „Nothing Changes“ klingt, als hätten sich Goldwasser und VanWyngarden in Robert Smiths Seelenleben gehackt. Auch die anderen neun Songs von LOSS OF LIFE erwecken den Eindruck, als hätten MGMT die Landkarte der Popmusik für sich selbst neu vermessen. Es geht ihnen nicht um kurze Routen, sondern um Wege, möglichst viele Melodien abzugreifen. Weshalb „Nothing Changes“ mit barocken Trompeten und La-la-las endet.
André Boße
25. The Cure – SONGS OF A LOST WORLD
Neulich im Morgenradio: Ein Sender spielte „A Fragile Thing“, eines der, äh, muntereren Stücke der neuen Cure. Und es hörte sich seltsam an. Als bespiele diese Musik einen anderen Frequenzbereich. Der Klang des Albums ist absolut eigenwillig, schwer und bedeutungsschwanger, anmutig und supertraurig. Eine in sich geschlossene Welt. Aus der man, einmal in ihr gefangen, nicht wieder herauswill. Viele berichten davon, das Album immer und immer wieder gehört zu haben. In jeder freien Minute. Um sich von Robert Smiths großer Traurigkeit erheben zu lassen.
André Boße
24. A.G. Cook – BRITPOP
Nach zehn Jahren legte der Brite sein maßgebliches Hyperpop-Label PC Music 2024 auf Eis. Fortan sollen hier nur noch Wiederveröffentlichungen des Backkatalogs erscheinen. Cooks erstes Album nach dieser Ära ist dann passenderweise eins, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft seines Schaffens zusammenfasst – als ehrgeiziges Trippelalbum. Die 24 Tracks führen so von schrillem Glitch-Pop über Lo-Fi-Alternative-Pop und gipfeln in der eindringlichen, elegischen Schönheit von Stücken wie „Out Of Time“.
Stephan Rehm Rozanes
23. Paula Hartmann – KLEINE FEUER
Auf ihrem zweiten Album nimmt uns Paula Hartmann mit in die triste Lebensrealität der Westberliner Gen Z, irgendwo zwischen KaDeWe, Kantstraße und Westend. Die dreizehn Songs handeln von Selbstzerstörung, fragilen Geisteszuständen, destruktiven Beziehungen und langen Nächten in den Clubs der Stadt. „Sieben Mädchen aufm Klo in ’ner Bar in Westend / Minirock, und meine Freunde ziehen Kreide“, rappt sie in „7 Mädchen“ mit ihrer zarten Stimme, die einen Kontrapunkt zu den düsteren Lyrics markiert. KLEINE FEUER ist ein bemerkenswertes Coming-of-Age-Album, das eine ernsthaftere Facette der jungen Künstlerin einfängt.
Louisa Zimmer
22. Cassandra Jenkins – MY DESTROYER, MY LIGHT
Wenn man sich den kantigen Heartland-Rock von „Clams Casino“, das sakrale Synthesizer-Stück „Delphinium Blue“ und den sanft jazzigen, urbanen Songwriter-Pop von „Only One“ (einer der allerschönsten Lovesongs des Jahres) anhört, bekommt man einen guten Eindruck, wie vielgestaltig das dritte Album der eleganten New Yorker Musikerin ist. Und doch wirkt es ob seiner übergreifenden intimen, zugleich kosmischen Stimmung – verstärkt durch kurze Zwischenspiele wie „Shatner’s Theme“ und „Betelgeuse“, eine Unterhaltung mit ihrer Mutter über Planeten und Sternbilder – schlüssig wie ein Konzeptwerk.
David Numberger
21. Antilopen Gang – ALLES MUSS REPARIERT WERDEN
Das erste „richtige“ Gang-Album nach dem Überraschungserfolg von Danger Dans Solo-Platte (2021) … Da musste natürlich mehr als einmal in die Hände gespuckt werden. Die Antilopen entschieden sich für eine Überwältigungsstrategie: Ein Doppel-Album mit über zwanzig Songs. Aufgeteilt in eine Punk- und eine HipHop-Platte. Doch mit reiner Materialschlacht schafft man es auch nicht in Herzen und Bestenlisten. ALLES MUSS REPARIERT WERDEN zeichnet sich über herrlich quatschige wie aber auch sehr deepe Stücke aus. „Oktober in Europa“ stellt dabei eine Intervention gegen Antisemitismus dar, die das Jahr überdauern wird.
André Boße
20. Beyoncé – COWBOY CARTER
Beyoncé erobert den Country zurück. Nach dem Vorgänger RENAISSANCE, einer Ode an die Roots der House-Music, möchte auch COWBOY CARTER die weißgewaschenen schwarzen Ursprünge des Country mit dem Scheinwerferlicht ihres globalen Popstartums beleuchten. Die Platte reiht sich dabei als zweiter Teil einer angekündigten Trilogie ein. COWBOY CARTER jedoch lediglich als Queen Bs Country-Album zu betiteln, würde der Platte nicht gerecht werden: Neben den omnipräsenten Country- und Americana-Einflüssen, werden auf ganzen 27 Tracks unter anderem Trap, Soft Rock und eine italienische Arie eingesprenkelt. Sowie mit „Blackbiird“ ein Beatles-Cover, das von der Geschichte neun Schwarzer Mädchen, der „Little Rock Nine“, an einer weißen Schule kurz nach dem Ende der Segregation inspiriert wurde.
Sophie Boche