ME Liste

ME hat gewählt: Das sind unsere Alben des Jahres 2023


50 Alben, die uns begeistert haben – mit Platten von Boygenius, Mitski und Lana Del Rey.

40. Billy Nomates – CACTI

Bereits auf ihrer ersten Platte klagte die Britin an gegen eine jahrhundertealte Klassengesellschaft. Wenngleich die blanke Wut nun etwas in den Hintergrund gerückt scheint und sich sogar Momente der Erleichterung („Blue Bones“) breitmachen: Nomates sehnt sich weiter nach dem Kollaps eines Systems, das sie als zutiefst ungerecht empfindet. Nichts kann jener Revolutionsbegierde so gut Ausdruck verleihen wie in Tiraden skandierter Postpunk. Das Album endet mit den Worten: „I’ll be so happy to see the walls fall down.“ – Martin Schüler

39. Element of Crime – MORGENS UM VIER

Die erste Platte ohne Dave Young, dem ewigen Produzenten und langjährigen Bassisten, beginnt mit einem Aufgalopp: Auf den ersten Liedern spielt die Band groß auf, danach ziehen sich Element Of Crime zurück, der Fokus gilt der Kernband. Die Songs handeln vom Träumen und Wachliegen, die Liebe ist mal da, mal weg, mit „Wieder Sonntag“ verwertet Sven Regener ein sehr altes Stück, das in der englischen Frühphase noch „Blue Sunday“ hieß und damals verworfen wurde. Kommt Zeit, kommt Rat, kommt gute Tat. – André Boße

38. Angel Bat Dawid – REQUIEM FOR JAZZ

Wenn Angel Bat Dawid ein Requiem für den Jazz ausruft, darf das verwundern. Die Sängerin und Klarinettistin versorgt mit ihren Ensembles den Jazz ja gerade mit einer sozialen, lebendigmachenden Energie. Dieses Album gründet sich auf Live-Recordings aus Chicago. Obendrauf und zwischendrin: eine zitierte Jazz-Diskussion über die kulturelle Aneignung der Musik der Afroamerikaner. Angel Bat Dawid als Missionarin mit Chor und Drum Machine im Jazz-Gospel-Rausch, das heißt Durchpusten und Kraft tanken. – Frank Sawatzki

37. Nina Chuba – GLAS

Nina Chuba eroberte 2023 mit „Wildberry Lillet“ die Radios und setzte diese Sommer-Sonne-Sonnenschein-Stimmung in GLAS fort. Durch den Dancehall à la Seeed wirken auch traurigere Songs wie „Neben mir“ eher leicht als düster. Der einzige Ausreißer ist „Ich hasse dich“, der über einen unreflektierten Privilegierten herzieht. Sonst bietet GLAS vielmehr eine Pause von Defätismus. Das wird vielleicht nicht jeder mögen, doch es ist authentisch. Schließlich muss nicht jede Erfahrung tiefgründig sein. – Christin Rodrigues

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36. Yves Tumor – PRAISE A LORD WHO CHEWS BUT WHICH DOES NOT CONSUME; (OR SIMPLY, HOT BETWEEN WORLDS)

Nachdem Sean Bowie aka Yves Tumor seine Karriere in der Leftfield-Clubszene Leipzigs begann, hat er sich in den letzten Jahren mit seinen Veröffentlichung auf Warp als queerer Alt-Rock-Star etabliert. Seine Anfänge in der Elektronik hat Tumor nicht vergessen. Er tritt sowohl auf den Festivalbühnen der Welt als auch im Berghain als DJ auf. Das nunmehr fünfte Album ist mit ebenso rotzigen wie lüsternen Gitarren-Hymnen die logische Fortsetzung des Glam-Rock-Entwurfs der Vorgängeralben, diesmal erscheint dieser noch gelungener. Immer wieder erinnert Tumor an den Prince’schen Sexappeal, bleibt dabei aber dem eigenen genre- und gendersprengenden Rockstarentwurf treu. – Louisa Zimmer

35. Kapa Tult – ES SCHMECKT NICHT

Kapa Tult löst mit ES SCHMECKT NICHT Versprechen ein, die Ikonen der 90er wie die Lassie Singers oder Britta oder Die Braut haut ins Auge einst gaben, aber auf die lange Strecke doch nicht einlösen konnten. Weil sie irgendwann aufgegeben haben, sich in Luft auflösten. Ihr Erstling ist heutig und lässig, was den Umgang mit Themen wie Sex oder Depressionen („Menschen, denen es gut geht“) angeht und musikhandwerklich so gut, dass ironisches Geschrabbel keinen Platz hat. Wenn schon, denn schon. – Rebecca Spilker

34. Loopsel – ÖGA FÖR ÖGA

Düstere Zeiten erfordern düstere Musik. Die Schwedin Elin Engström spielt auf dem zweiten Album ihres Projekts Loopsel atmosphärisch dichten, verwaschenen Nightmare-Pop-Folk-Ambient. ÖGA FÖR ÖGA (Schwedisch für „Auge um Auge“) hat Stücke mit Gesang, instrumental, abstrakt, konkret – alles da und alles leicht verhallt und verwischt. Oder, wie es der große Onlineversandhändler ausdrücken würde: „Kunden, die sich diesen Artikel angesehen haben, haben auch Artikel von Grouper angesehen.“ – Albert Koch

33. Bad Bunny – NADIE SABE LO QUE VA A PASAR MAÑANA

Bad Bunnys fünftes Studioalbum dürfte langjährige Fans erfreuen, denn der als Reggaeton-King Gefeierte kehrt hier zu seinen Latin-Trap-Wurzeln zurück. Gleichzeitig schlägt die Platte eine Brücke zur Gegenwart: Während der Sound an den Bad Bunny von vor sieben Jahren erinnert, reflektiert Benito in den Texten die Kehrseiten seines derzeitigen Ruhms. Zwar ist es im Gegensatz zum Vorgänger UN VERANO SIN TI weniger politisch, doch bekommt man tiefe Einblicke in Bad Bunnys Innenleben, wie zuletzt auf YHLQMDLG. – Christin Rodrigues

32. Sigur Rós – ATTA

Die Band steht auf der Kippe, der Drummer ist weg, nach Anschuldigungen zu sexuellem Fehlverhalten. Auch scheint die musikalische Formel von Sigur Rós auserzählt zu sein, denn wie viele neue Schichten lassen sich für Schönheit noch entwickeln? ÁTTA ist keine Neuerfindung und auch keine Weitererzählung, sondern irgendwas dazwischen. Was im Jahr 2023 ungemein beruhigt, ist die Ruhe dieser Songs. Das Cover erzählt die ganze Geschichte: Es brennt lichterloh, doch der Regenbogen erhebt sich übers Feuer. – André Boße

31. Decisive – PINK TICKET TO FAME

Was zwei ungleiche Künstlerinnen, die russische Elektro-Produzentin Kate NV und die amerikanische Art-Popperin aus dem Nachlass der Dirty Projectors, Angel Deradoorian, hier in einem Kölner Tonstudio auf die Beine gebracht haben, kickt über die Strecke eines ganzen Albums. Mit der Freude schöner Götter:innenfunken zischen sie durch die Ruinen des 80er-Jahre-Synthie-Pop, retro-futuristisch, witzelnd und im kosmischen, kraftwerkesken Tanzbetrieb zu Hause. Ein Yazoo auf die absurden Momente des Lebens. – Frank Sawatzki

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