Mike Oldfield


Ossi Hoppe ist furchtbar aufgeregt. ‚In finsterstem Frankfurterisch klagt Oldfields deutscher (!) Manager, wie furchtbar alles sei. Daß aber Mike die Kids nie und nimmer enttäuschen würde! Die Kids, das sind knapp 30 000 Rosküde-Püger, die nach einem langen ersten Tag voller Ideal und Jackson Browne, Zeltaufbauen und Bierkisten-Besorgen in die abendlichen Sphärenklänge Meister Oldfields eintauchen wollen. Und verständlicherweise ist es in dieser Situation furchtbar, daß ausgerechnet die Frachtkiste mit Mikes spezialangefertigem 40-Kanal-Mixer kurz vorher vom Kranhaken krachte. „Meine Güdde, wie solle mer stöhnt Ossi besorgt. Oldfields Manager weiß genau, daß die Spitzen-Crew und vor allem Ultra-Profi Mike das ‚hinkriesche‘. Kein Kid krabbelt heute nacht enttäuscht ins Zelt. Kurz vor dem Auftritt war ein erstes, leicht gehetztes Kennenlernen in der Baracken-Garderobe möglich. Bei aller Eile konnte ich doch schon ausmachen, daß Mike Oldfield in Wirklichkeit einen wesentlich attraktiveren Eindruck macht, als auf bis dato gesichteten Fotos. Wie oft doch so etwas passiert. Wenn sich die Bilder bewegen, Leben in die Gesichter kommt, alles zum Greifen nahe geschieht, dann ist nicht unbedingt alles ganz anders, aber eben farbig, echt, bekommt Persönlichkeit und Charakter. Ich stelle zunächst also ganz subjektiv fest, daß Herr Oldfield momentan gut aussieht. Er hat etwas von einem wildentschlossenen Jungen, der kriegt, was er sich in den Kopf setzt. Lediglich ein bißchen klein ist er, aber – Kompensation, ich hör dir trapsen – das sind ja überraschend viele Musiker. Eine Woche später thronen wir nebeneinander hoch über der Außenalster in großer Tischrunde. Muße also, ihn näher in Augenschein zu nehmen. Apropos Augen: Liebhaberinnen blauer Augen dürften in Mikes riesigen Kinder-Exemplaren ihren Traum verwirklicht sehen. Klassische Gitarrenhände besitzt er auch, so wie man sie gewöhnlich nur noch bei den Gitarristen Spaniens findet: kräftige Mittelhand, starke Finger, die Nägel der Greifhand kurz, die der Zupfhand extralang. Der jetzt 29jährige fing bereits mit neun Jahren an zu spielen. „Mein Vater zeigte mir drei GitarrengriHe. Und meine Schwester sang, schon damals. Sie sang in der Schule, in Folkclubs und hörte zu Hause immer immerfort Folkplatten, Bert Jansch, Pentangle. Folglich spielte ich zunächst Stücke dieser Art nach. Mit 11 war ich auf der Akustik-Gitarre schon ganz beachtlich undfingan aufzutreten. “ Ein Wunderkind, sagten damals alle. Mike sei immer etwas Besonderes gewesen, sagt heute noch Schwester Sally. Der gewöhnlich leise redende Oldfield wird ungewöhnlich lebhaft, wenn er angesprochen wird: „Seit ich acht bin, habeich jeden Abend drei bis vier Stunden geübt. Ich habe jedes Wochenende geübt, jeden Freitag, jeden ganzen Samstag, jeden ganzen Sonntag und das mindestens vier Jahre lang. Etwas Ausgefallenes, Träume, Wunder. .. nichts dergleichen! Wenn du gut sein willst, mußt du arbeiten. Du kannst nicht einfach hingehen, spielen und sagen: Das kann ich auch.“ Gefragt, was er denn von den Bilderstürmern halte, die 76 die Parole ausgaben: Nimm dir ein Instrument und hau drauf, ist er um eine drastische Einschätzung denn auch nicht verlegen. üben zum üssen. Sie sagen, jeder kann spielen. In gewisser Weise stimmt das sogar, schließlich habe ich auch nicht lange gebraucht, um die anlänglichen drei Akkorde zu lernen. Wenn du aber Musik machen willst, mußt du üben, üben, üben.“ Musik in meiner Großmutter Ohren. Ohne Fleiß kein Preis, Mike Oldfield ist das perfekte Beispiel dafür. Nachdem er als 14jahriger erstmals mit Schwester Sally aufgetreten war, sich ein Jahr spater einer Formation namens Barefoot anschloß und darauf beim wilden, liebenswerten Kevin Ayers als Bassist in dessen „The Whole World“ einstieg, nahm er sich mit strammen 18 Jahren die Freiheit, sich ohne die störenden Einflüsse “ schöpferisch auszudrücken“. 7iNe Wochen lang schloß er sich samt Instrumenten und Bandmaschine in sein Wohnzimmer ein und produzierte das Demo zu „Tubular Beils“. Es fand Gnade vor den Ohren des „Virgin“-Plattenladen-Besitzers Richard Branson, der mit dieser ersten „Wunderkind“-Platte den Grundstock zu seinem frisch ins Leben gerufenen Label bildete und von dem der gesamte Jungfrauen-Verein gut und gerne zehn Jahre finanzielle Rückendeckung erhielt. Mike war, wie er betont, von Anfang an von seinem Erfolg überzeugt. Eine Weile hielt er sich gar für eine Genie, gibt aber auch zu, daß in seinem Debüt-Werk eine gewisse Bewältigung seiner nicht gerade überwältigenden Kindheit steckt. Er zog sich nach dem Millionen-Erfolg konsequent zurück, fing an, über seine persönlichen Schwierigkeiten nachzudenken, wollte lernen, mit anderen zu kommunizieren – was er bis dahin als absoluter Autodidakt vermieden hatte. Selbsterfahrungskurse, die Isolation zu durchbrechen. Trotz ausgeprägter Angst vor dem Fliegen machte er beispielsweise zwei Monate später den Pilotenschein. „Ich mußte meine Einstellung dem Leben gegenüber grundlegend ändern. So entschloß ich mich, mit meiner Musik auf die Bühne zu gehen. Um diese Konzerte durchführen zu können, muß man mit Leuten zusammenarbeiten können, muß lernen, seine Ideen mitzuteilen. Folglich mußte ich mich dazu zwingen, Arbeit auch außerhalb des Studios fortzusetzen.“ Und das Ergebnis dieser Einsicht? „Ich habe die Erfahrung gemacht, daß Touren ein wesentlich sichereres Gefühl gibt. Du fühlst die Anteilnahme des Publikums – und das bekommst du im Studio nun mal nicht.“ Kein Zweifel. Musik bedeutet dem Multimillionär private Problem-Bewältigung, aber auch Kreativität und Ausdruckskraft. Und da er es so gründlich gelernt hat, ist Musik für ihn aber auch Handwerk, das wie jedes Handwerk erlernt werden muß. „Ich weiß absolut nicht, was diese New-Wave-Leute dabei denken. Mir nichts, dir nichts zu behaupten, Musik zu machen sei nichts Besonderes! Vielleicht kommen ja tatsächlich ein paar nette Stücke raus, die von der musikalischen Substanz her aber ganz sicher nicht exzellent sind. Das gibt’s offenbar nicht mehr, so wie es in den letzten fünf Jahren ja auch keine herausragenden Solisten auf irgendeinem Instrument gab. Nicht einmal Sänger! Es gibt einfach kemewirklich hervorragenden Musiker mehr. Hoffen wir, daß sich das bald ändert.“ Starker Tobak aus dem Munde des Meisters. Die Frage drängt sich auf, in welcher Form denn eine derartige Veränderung eintreten könnte. Schließlich hat sich seit 1977 ja auch auf anderen Gebieten Erhebliches geändert. “ Das Problem sehe ich sehon : Diese New-Wave-Musik ist erfolgreich, die Leute kaufen sie. Da niemand mehr weiß, wie man eine Gitarre ordentlich spielt, ersetzt man sie durch die entsprechende Programmierung eines Synthesizers. Hört man dann die Synthie-Einsätze der ersten zwanzig Top-Hits, so klingt dies ausgesprochen kindlich, lächerlich, mit zwei Fingern bedient. Das sind sicher wirtschaftlich gut kalkulierte Produktionen, bei denen Geld durch Schlichtheit gespart wird. Ist in gewisser Weise ja auch recht nett. Aber eigentlich solle doch Musik gemacht werden – Musik mit außergewöhnlichen Ton-Abläufen, Harmonien und Rhythmen. Das ist doch auch notwendig.“ Mit Blitzen im Augenblau und einem Ich-kann-etwas-was-du-nichtkannst-Lachen schließt er an: „Die meisten Punks und New-Wave-Leute sollen zur Strafe regelmäßig zu Hause üben, haha.“ Braucht die Zukunft den überhaupt noch die Helden, die Mega-Stars, die du beschwörst? „Man sieht in letzter Zeit die Leute im Rampenlicht ja immer häufiger kommen und gehen. Dadurch, daß zu Beginn dieser New-Wave-Ära ein paar Leute überflüssigerweise aufs Podest gestellt wurden, hat sich überhaupt nichts geändert. Wir haben lediglich die Ablösung einer langweiligen Art von Musik durch eine andere erlebt. Die Einstellungist in jedem Falle zerstörerisch. Ich meine diese Haltung, nicht üben zu müssen.“ Nun richtet er sich sogar temperamentvoll im Sessel auf. „Das stimmt nicht, das geht eben nicht und kann nicht wahr sein. Es stimmt, daß jedermann diese neue Art von Musik imitieren kann. Alles recht nett, aber es wäre auch recht nett, da mal mehr Varianten und Komplexität reinzubringen. Sting von Police beispielsweise ist ein Musiker, den ich sehr schätze. Er kann was, macht aber trotzdem so simple Musik, daß die Leute nie erfahren werden, was für ein hervorragender Musiker er in Wirklichkeit ist. Und das nur dadurch, daß er bei so einer Modegeschichte mitmacht. Hast du dich je mit ihm unterhalten 7“ Errötend gebe ich zu, den blonden Frauen-Liebling im Berliner Kant-Kino gesprochen zu haben, als noch kein Mensch Police kannte. Ich erinnere mich, daß der kluge ex-Lehrer immer auch andere Pläne hatte, nicht nur Musik (und die große Knete) zu machen, sondern auch Filme zu drehen, Stücke zu schreiben. „Ich wäre gern Schriftsteller“, fühlt sich Mike angesprochen, „Leider habe ich nie die Zeit dazu. Momentan interessieren mich Videoproduktionen sehr. Ich bin von allem Elektronischen fasziniert und möchte meinem Studio einen Video-Bereich anschließen. Ich arbeite einfach ungeheuer gern mit Maschinen, ich liebe den Geruch von heißen Verstärkern, Transistoren und Computern. “ Er macht bei diesen Worten einen ausgesprochen glücklichen Eindruck, schwärmt wie von einem wundervollen Spielzeug. „Es ist ein Spielzeug, ein riesiges Spielzeug, mit dem manproduktiv arbeiten kann.“ Dann bist du rundum glücklich? “ Glücklich ? Wenn ich dauernd glücklich wäre würde ich vermutlich keinen Finger mehr rühren. Ich bin ständig auf der Suche, auf der Suche nach musikalischen Äusdrucksmöglichkeiten. Vielleicht werde ich dann glücklich sein, wenn ich den Stein der Weisen gefunden habe. Vielleicht passiert das ja nie! Auch in Ordnung, denn so hält es mich wach, weiterzusuchen.“