Mit seinem 16.Studioalbum „In den Wahnsinn“ entsagt Westernhagen dem zuletzt gepflegten Pop. Was viele Leserfragen aufwarf. Eines aber wollten fast alle wissen: Geht er nochmal auf Tour?
Ist es heute immer noch das gleiche Gefühl, Musik zu machen wie damals zu “ Pfefferminz „-Zeiten, oder hat sich da etwas verändert?
Harald Henze, Maintal (überlegt lange) Es ist inzwischen weitaus vielschichtiger, weil ich ständig neue Erfahrungen sammle, die mein Gefühl zu meinem Beruf beeinflussen. Aber es es ist immer noch das Gleiche, was die Intensität und die Lust daran anbetrifft. Wenn du über so viele Jahre einen so massiven Erfolg hast – das war für mich ja auch das Problem nach der letzten Tour -, besteht die Gefahr, dass lähmende Routine in deine Arbeit einkehrt. Und wenn man dann merkt, dass das Risiko und der Kick verloren zu gehen drohen, hilft nur noch ein ganz radikaler Schnitt. Und genau den habe ich mit dem neuen Album zu machen versucht.
Dos Cover deiner neuen CD..In den Wahnsinn erinnert stark an Rammstein. Hat die teilweise stark umstrittene Optik dieser Band dich dazu inspiriert ? Marc Engel, Hamburg Überhaupt nicht! Dieser Eindruck entsteht vielleicht, weil Gottfried Heinwein auch schon mal ein Cover für Rammstein gemacht hat. Ich bin aber immer schon ein sehr großer Bewunderer von Heinwein gewesen; auch, wenn es einiges von ihm gibt, was ich nicht so gerne mag. Aber diese Kindsköpfe fand ich unfassbar faszinierend. Bei der Feier zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes habe ich ihn getroffen, er hat mir dann einen Katalog von sich geschickt und unter anderem auch ein Foto von diesem Kindskopf, das lange auf meinem Schreibtisch lag. Irgendwann habe ich mir dann eine CD – Leerhülle genommen und hab’s druntergeschoben – das war’s. Und kam auch meinem Wunsch entgegen, nicht auf dem Cover abgebildet zu sein.
Wie wäre es mit einem Album mit Stones-Songs mit deutschen Texten, sofern das rechtlich machbor wäre? Gerade zum 40. von den Stones – Niedecken hat ja seinerzeit auch Dylan gecovert.
Frank Kaustrup, Neumünster Das kann man höchstens mal auf der Bühne machen. Mir hat vor vielen Jahren jemand Doors-Texte angeboten, die er übersetzt hatte – übrigens sehr gut -, und das würde mich musikalisch sehr viel mehr reizen, da bin ich im Grunde genommen größerer Doors- als Stones-Fan. Aber es wäre nicht authentisch. Warum also sollte ich das machen? Warum anfangen zu covern, solange ich glaube, dass ich selbst musikalisch und textlich etwas zu sagen habe?
Die Szenen aus dem Video zu „Jesus , jene mit der Zwangsjacke und jetzt der Titel des neuen Albums „In den Wahnsinn“ wieso beschäftigst du dich seit einigen Jahren häufiger mit dem Thema Psychiatrie ? Petra Knigge, Nordstemmen Mich interessiert, wie Menschen ticken, die Art und Weise, wie sie funktionieren. Eine gewisse Analyse zu versuchen ist eine Grundvoraussetzung, um schreiben oder – wenn ich an meinen früheren Beruf denke – auch schauspielern zu können. Je älter man wird, desto mehr befasst man sich mit Dingen wie Tod, mit Kategorien wie Gut und Böse. Und „In den Wahnsinn“ ist für mich eine Beschreibung des Zustandes, in dem die Welt sich im Augenblick befindet. Natürlich war der n.September für jeden Künstler ein ganz einschneidendes und traumatisches Erlebnis -jedenfalls war es das für mich -, weil einem die Motivation abhanden kam und wo man sich natürlich wieder die Frage nach Gut und Böse stellte. Auch ich musste mir die Frage stellen: Was machst du, warum dieser Beruf? Es kann sich ja nicht nur darin erschöpfen, zu unterhalten und erfolgreich zu sein, sondern du bist auch dazu da, Inhalte zu vermitteln, der Gesellschaft — oder wenigstens deinem Publikum – den Spiegel vorzuhalten und Wahrheiten zu artikulieren, zu denen deine Zuhörer vielleicht nicht fähig sind.
Inspirieren Krisenzeiten, Konflikte etc. dich zu Songtexten? Yvonne Eisner, Berlin Jeder, der schreibt, nutzt diese Dinge, weil sie ihn inspirieren. Und bei all der Konfusion, die nach dem 11. September auch in mir entstand, war es für mich als kreativer Mensch eine unglaubliche Inspiration und ein Anschub. Das hätte auch schiefgehen können, ich hätte auch in dem Loch bleiben können. Aber wenn man fähig ist, Musik zu machen oder zu schreiben, kann man ein solches Trauma durch seine Arbeit quasi auch therapieren. Das ist mit dieser Platte zum Teil sicher auch geschehen, auf einigen Stücken spürt man das. Was hat dich bewogen, deine Musik wieder an früheren Stilelementen zu orientieren? RalfDumlce, Bremerhaven Ich wollte ein modernes Rockalbum machen, kein Popalbum, sondern eine Synthese schaffen ausTradiSprechstunde
tion, nämlich dieser wirklich archaisch spielenden Rockband, und Sachen, die wir zuhause auf ProTools erarbeitet haben, mit Drumloops, mit sehr vielen Sound- und rhythmischen Strukturen. Für meine Begriffe war das, was ich in den letzten Jahren gemacht habe, zu poppig – obwohl ich damit nicht unzufrieden war, weil man natürlich auch irgendwann beweisen will, dass man große Produktionen machen, auch in den Kompositionen komplizierter werden kann. Aber danach machte sich Ratlosigkeit in mir breit: Wie geht der Weg weiter, wo willst du jetzt hin? Dann traf ich Kevin Bents, meinen jetzigen Co-Producer, dem ich erzählte, was ich vorhatte. Und der hatte ein offenes Ohr für mich, der hatte die andere Hälfte des zerbrochenen Schlüssels zu der Tür, durch die ich hindurchwollte.
Wird es denn zum neuen Album auch eine Tour geben ?
Martin Schmidl, Babenhausen Man kann’s ja fast zynisch sagen: Platte machen, Markeringkampagne, Millionen verkaufen, Stadiontour, immer zack-zack-zack – mir fiel dieser ständig wiederkehrende Zyklus auf den Wecker, diese Routine wollte ich in jedem Fall durchbrechen. Wenn ich spielen will, muss ich mich sicher bis Ende des Jahres entscheiden. Aber wenn ich mich dafür entscheide, werden es keine Stadien sein, weil ich im Augenblick nicht die Möglichkeit sehe, mich in diesem Format weiterzuentwickeln. Alles, was ich mir in einem Stadionkontext auch an multimedialen Geschichten vorstellen kann, habe ich gemacht. Wenn es also eine Tour geben sollte, dann wären es Hallen, und auf keinen Fall vor Ende nächsten Jahres.
Auf dem ’77er-Album „Ganz alleine krieg ich’s nicht hin “ singst du im gleichnamigen Song: „Ich würde so gerne mal was Großes schreiben und bei all dieser Größe einfach Marius bleiben.“ Würdest du rückblickend, nach 25 Jahren, sagen: „Ja, mit dem einen oder anderen Lied ist mir etwas Großes gelungen“?
Marc Engel, Hamburg Ich kann das nicht beurteilen, das müssen wirklich andere tun. Was ich ganz realistisch beurteilen kann: Dass ich es anscheinend geschafft habe, mit einigen Songs, die ich geschrieben habe, bei Menschen etwas auszulösen. Und dass ich ein paar Stücke geschrieben habe, die für ein Publikum eine Bedeutung haben.
Wirst du in absehbarer Zeit auch wieder als Schauspieler tätig werden?
Melanie Simmerath, Frankfurt Es ist bisher nicht dazu gekommen, weil sich an das, was ich machen wollte, niemand herangewagt hat. Ich wollte „Leviathan“ von Julian Green auf die Leinwand bringen. Aber das Echo war einhellig: Schwierig, schwieriger Film, schwieriges Thema, schwierige Finanzierung. Wenn ich einen Film drehe, dann nicht, weil ich mir jetzt auch noch beweisen muss, dass ich Schauspieler sein kann, oder weil ich noch berühmter oder noch wohlhabender werden will, das ist nicht der Fall. Wenn ich mich wieder auf die Schauspielerei einlasse, dann muss mich etwas dazu treiben. Das heißt: Es muss etwas sein, was mich weiterbringt, und das habe ich bisher nicht gefunden.
Macht Geld glücklich oder nicht?
Petra Hassler, Stuttgart Nein, das ändert nichts am Glück. Gerade in meinem Beruf gibt dir Geld die Freiheiten, nicht den Gesetzen des Marktes folgen zu müssen. Das ist ein großes Privileg. Und es gibt dir natürlich eine gewisse Sicherheit in deiner Existenz, das heißt: du musst keine Angst haben, dass du die Miete nicht bezahlen kannst, du weißt, dass du Essen und ein Dach über dem Kopf hast. Aber ich glaube nicht, dass Geld glücklicher macht. Für jemanden, der Geld anbetet, mag’s ja der Fall sein, aber ich habe es immer nur als Mittel zum Zweck gesehen.