Mode? Stil? Was hat das denn mit dir zu tun?


Die Mode ist eine – nein, sie ist die einzige – Möglichkeit, um heute zu erfahren, wie sehr daneben doch die Dinge waren, die wir im vergangenen Jahr noch getragen, gehört, gelesen, gesehen haben. Ohne diesen permanenten Wandlungsprozess, der mit den diversen Moden einhergeht, hätten die Menschen im Westen nicht schon früh erkannt, dass der Trabant 601 nicht den Kreativköpfen der Designfirma Pininjanna entsprungen ist. Der Trabant war das beliebteste PKW-Modell in der DDR. Und die DDR war ein Staat, der bekannt dafür war, sich in modischen Dingen in allen Lebensbereichen stets in vornehmer Zurückhaltung zu üben. Was an den hellblauen Kunstfaseranzügen von Staatschef Erich Honecker abzulesen war und eben an der Karosserie des Trabant. Für jemanden, der in der DDR gelebt hat und unter Umständen keine Informationen und Bilder aus dem „Westen“ bekommen hat, war dieses A uto, das über ein Vierteljahrhundert in nahezu unveränderter Form gebaut wurde, vielleicht noch 1989 der letzte Schrei in Sachen Design. Nur die Veränderung macht Unterschiede sichtbar. Wäre die Entwicklung der Musik in der Steinzeit stehen geblieben, würden wir heute noch auf Baumstämmen herumtrommeln, anstatt aus ihnen Instrumente herzustellen, mit denen wir Musik machen, die so klingt, als würden wir auf Baumstämmen herumtrommeln. Moden entstehen aus dem Bedürfnis nach Veränderung, dem Wunsch nach Abgrenzung, der Sehnsucht, der Erste zu sein, der ein neues Spielzeug besitzt, nur um es dann wegzuwerfen, wenn es die Anderen auch haben. Freilich wird dieses hochgradig irrationale und lächerliche Spiel nicht von jedem mitgemacht. Manche versprechen sich in der kategorischen Verweigerung gegenüber allem, was Mode ist, einen Distinktionsgewinn – wir reden jetzt nicht vom Verhältnis Moderne gegen Postmoderne. Manche sehen darin ein Zeichen für Charakterstärke, weil: Wer nicht jeden Quatsch mitmacht, mussja mit einem gefestigten Charakter ausgestattet sein. Es ist dieses Spiel der ewigen Kreisläufe dessen, was heute geht und gar nicht mehr geht, weil es gestern noch gegangen ist und morgen vielleicht schon wieder geht. Wie zum Beispiel Leggings und käsiger Synthiepop. Beides ging vor ein paar Jahren überhaupt nicht. Und jetzt? Sehen Sie. Wer sich diesem Spiel verweigert, trägt seine Kleidung wahrscheinlich in erster Linie, um nicht nackt herumlaufen zu müssen. Und wer Kleidung nur deshalb trügt, um nicht nackt herumlaufen zu müssen, weil er dann in der U-Bahn nicht unangenehm auffällt, vollzieht den Geschlechtsakt wahrscheinlich ausschließlich, wenn er sich fortpflanzen will. Er isst, um nicht zu verhungern und geht nur deshalb zum Friseur, damit ihm beim Schnürsenkelbinden nicht die Haare ins Gesicht fallen. Und er schlüpft wahrscheinlich mit seinem festen Charakter in die bequemen 1997er-Discounter-Jeans und in die Wildledermokassins, die eigentlich gar nicht so schlecht sind, weil ihre Sohlen noch keine Löcher haben. Mit anderen Worten: Er bringt sich im Namen der Charakterfestigkeit um ein Vergnügen, weil er die Subtexte, die die kulturelle Evolution unter die lebensnotwendigen Dinge gesetzt hat, nicht lesen will. Aber: Wer heute 1997er-Discounter-Jeans und Wildledermokassins trägt oder einen hellblauen Kunstfaseranzug und dabei dann doch irgendwie gut aussieht, der hat Stil. Doch das ist eine andere Geschichte.