Moon Martin


,,Shots From A Cold Nightmare", ,,Night Thoughts", ,,Hot Nite In Dallas" - das sind Plattentitel, die wecken selbst Siebenschläfer auf. Geschrieben wurden und gesungen werden sie von Moon Martin, der eigentlich John Martin heißt, aber überall Moon genannt wird, weil er sich in seinen Texten und Kompositionen so oft in dunkle Nacht verirrt. Kürzlich gastierte dieser Mondmensch, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit Woody Allen besitzt, im Hamburger ,,Logo" - natürlich in einer Vollmondnacht exakt ab 24 Uhr. Die Zuhörer glaubten zu träumen: tauchte da doch geradezu aus dem Nichts ein unverschämt guter Singer, Songwriter und Gitarrist auf.

Die Anlage, die da auf der kleinen ,,Logo“-Bühne stand, nahm sich ausgesprochen bescheiden aus, und ich hatte meine Zweifel, ob die Band wohl in der Lage sein würde, mit diesem PA den brillanten Sound der LP ,,Shots From A Cold Nightmare“ auch live zu bringen. Aber noch bevor ich den Gedanken zuende bringen konnte, kam Bewegung in den Laden: Moon Martin und Mannen hüpften auf das niedrige Podest, und es ging los. ,,Hot Nite In Dallas“, ein hochkarätiger Rockhammer. Völlig unprätentiös. Aber ein Rhythmus ist das… da kommen sofort Knie und Hände mit ins Spiel. Offenbar gibt es in Hamburg schon ein paar eingefleischte Moon-Martin-Fans. Schon beim ersten und zweiten Stück höre ich Leute mitsingen. Und zwar so, daß man meint, jemand hätte die Kiste mit den Oldies aufgemacht. Kein Wunder, denn Moon Martins Repertoire besteht scheinbar ausschließlich aus Ohrwürmern. Wie macht der Mann das bloß? Ganz einfach. Man nehme: ein viertel Pfund alte Beatles-Songs, drei Esslöffel Little Richard, ein Quäntchen Buddy Holly plus einen so talentierten ,,Koch“ wie Moon Martin, der nachdem er zuvor noch ein paar eigene, schwer bestimmbare Zutaten hineingetan hat, dieses Rock’n’Roll-Süppchen zum Brodeln bringt. Und da lauft das Wasser dann im Munde zusammen. Das gilt sowohl für Hotshots wie ,,Hot Nite In Dallas“ oder ,,Bad Gase Of Lovin’You“ oder ,,Hands Down“ als auch für die ruhigeren Nummern wie ,,Night Thoughts“ ,,You Don’t Gare About Nie“ oder ,,Paid Killer“ – eine faszinierende Mischung aus Kompositionskunst a la Lennon McCartney und Doors-Atmosphäre.

Den Beatles fühlt sich Moon denn auch sehr verpflichtet. Hommage an die Unsterblichen an diesem Abend: ,,I Saw Her Standing There“. Moon’s eigenes ,,She’s A Pretender“ ist nach derselben Masche gestrickt. Wie bei so vielen Musikern waren auch bei Moon Martin die vier aus Liverpool der Anlaß, das Gitarrenspielen zu erlernen. Aber im veschlafenen Wichita Falls an der Grenze zwischen Oklahoma und Texas, wo Moon vor 28 Jahren zur Welt kam, war es gar nicht so einfach, jemanden zu finden, der ein paar Akkorde drauf hatte. ,,Da gab es einen Klarinettenspieler in der Nachbarschaft, der mir die Grundbegriffe beibrachte. Er konnte selber nur sieben oder acht verschiedene Griffe, und so mußte ich mich bald nach einem anderen Lehrer umsehen.“ erzählte mir Moon Martin anderntags beim Interview. ,,Ich fand schließlich einen Mexikaner, aber der suchte eigentlich einen Baßmann. Ich spielte also Baß. Wir traten in Bars und ,Legion-Halls’auf.“

Moon war damals erst dreizehn, und Oklahoma ist ein ,,trockener“ Bundesstaat. Die Polizei kontrolliert ständig die Bars, um den verbotenen Ausschank von ,,harten Sachen“ zu unterbinden. Mehrfach wurde der Minderjährige aufgegriffen und zu Hause abgeliefert. Erinnert sehr an die Probleme, die ein gewisser George Harrison von den ,,Silver Beatles einst im Hamburger ,,Kaiser Keller“ hatte… Nachdem er den guten Rat seiner Eltern, doch lieber eine Banklehre zu machen, in den Wind geschlagen hatte, machte sich John Martin 1968 erst nach Detroit, dann nach Los Angeles auf den Weg. Mit Musik war aber vorerst kein Geld zu verdienen: ,,Ich hatte keinen Bock die Hitlisten nachzuspielen. Und eine Band mit der ich ein eigenes Programm ausarbeiten wollte, konnte ich nicht finanzieren.“ Im Interview verschweigt Moon, aus welchem Grund auch immer, daß er bis 1972 doch eine Band hatte: ,,Southwind“, deren drei Alben aber nicht mal unter ,,ferner liefen“ auftauchten. Danach verkaufte er Bretzeln an Straßenecken und war Aufpasser in einem Nudisten-Camp. Im Ernst!

Erst nachdem der Gitarrist, der sich mit Songschreiben und gelegentlicher Sessionarbeit (u. a. für Linda Ronstadt und Neil Young) begnügen mußte, zwei Songs für Mink de Villes Alben ,,Cabaretta“ und ,,Return To Magenta“ schrieb, öffneten sich für ihn die Türen in Hollywood. Er geriet an Jack Nietzsche, damit an genau den richtigen Mann. Nietzsche. Seit fünfzehn Jahren im Geschäft, produzierte Meilensteine der Rockgeschichte, vor allem mit den Rolling Stones. Mit ihm stellte Moon das Line-up für die LP zusammen. Jack brachte ihn mit ,,Blondie“-Producer Craig Leon zusammen, der bei einigen Stücken von ,,Shots“ die Keyboards drückt und den schlaksigen Gary Valentine (ehemaliger Blondie-Bassist) mitbrachte. Binnen weniger Wochen wurde das Material aufgezeichnet. Einige der Aufnahmen sind „first takes“, einmal gespielt und gleich auf das Master übernommen. So sind seit ’66 kaum noch Platten produziert worden. Auch hier eine Reminiszenz an die großen englischen Vorbilder.

,,Wenn irgend jemand den Rock’n’Roll gerettet hat, dann waren’s die Beatles“, meint denn auch Moon Martin. ,,Als ich anfing, mich für Musik zu interessieren, war’s mit der ersten Generation schon vorbei. 1962: Elvis war in der Armee. Little Richard predigte. Jerry Lee Lewis ,,heiratete“ seinen Cousin, und in der Folge wurden seine Platten aus moralischen Gründen nicht mehr gespielt, Chuck Berry saß hinter Gittern, weil er ein minderjähriges Mädchen mit über die Grenze genommen hatte. Da kamen die Beatles und spielten ,,I Saw Her Standing There“, ,,Honey Don’t“ oder ,,Money“ Ich hab‘ sie leider nie live gesehen und gehört.“

Zum Trost schreibt sich Moon seine ,,Beatles-Songs“ nun selbst, könnte man sagen. Das erklärt wohl die Mordsstimmung, die in jener Novembernacht im ,,Logo“ herrschte. Selbst der der Rockszene längst entwachsene ME-Verleger Claus G. (35) war tagelang noch mondsüchtig, Moon Martin ist halt einer von denen, die jeden schaffen, der einen Draht zur Rockmusik hat. Wer’s nicht glaubt, kann sich im April endgültig überzeugen lassen: Dann tigert Moon wieder durch Deutschlands Nächte …..