Mundraubkopien
Mundraub oder schwerer Diebstahl? Ungeach tet der noch offenen rechtlichen Lage fahren Bootlegger die Ernte des Konzertsommers ein.
Die Presswerke laufen auf Hochtouren. Auftraggeber sind geschäftstüchtige Kleinunternehmer, die von privat mitgeschnittenen Konzerten CDs fertigen lassen. Ihre zugkräftigsten „Opfer“: Dire Straits, U2, Springsteen, Genesis und Prince, jeweils mit dem Programm ihrer 92’er-Tourneen.
Sogar dem selbsternannten „King of Pop“, dessen Existenz die graue Zunft bislang geflissentlich übersehen hatte, blieb die Krönung auf dem „Schwarzmarkt“ nicht länger verwehrt. Dem Newcomer-Labe! „Backstage“ war aufgefallen: „Nobody moves like Jacko“, und daß sich dafür eigentlich Kundschaft finden lassen müßte. Dieter Schubert, Geschäftsführer von Perfect Beat/Swinging Pig, konnte sich genau das bisher nicht vorstellen:
„Jackson war nie ein Thema ßr uns. Bei seinem extremen Mainstream-Image — und dem dementsprechend anspruchsvollen Publikum — müßte uns schon ein phantastisches Band angeboten werden. Da er keine Radio-Übertragungen erlaubt, kann man das wohl vergessen. Aber wir denken darüber nach.“
Das andere Extrem bezüglich Kundeninteresse sorgt mit einer der bestdokumentierten Tourneen aller Zeiten nicht nur bei Geffen Records für satte Zuwachsraten: Beinahe jeder Abend der „Get In The Ring‘-Tour von Guns N‘ Roses findet sich auf einem Silberling. An diesem Beispiel zeigt sich die seltsame Eigendynamik des „schwarzen“ Marktes: Die ersten Lebenszeichen nach der Live-Pause („Rock m Rio“, „Brazil“ usw.) wurden von der Fangemeinde gierig aufgekauft, obwohl sie soundmäßig kaum zu genießen waren. Der erste halbwegs hörbare Mitschnitt trug den klangvollen Namen „Aarghü!“ und stammte vom Mannheimer Maimarktgelände.
Dann schlug im Frühjahr 1992 der Tokio-Mitschnitt „Banzai“ wie ein Kamikaze-Flieger ein: Binnen weniger Tage war die Auflage vergriffen, es wurde eiligst im großen Stil nachgepreßt. Doch dem Bedarf war kaum beizukommen. „Banzai“ von der Firma „Backstage“ ist (trotz der bei der italienischen Urheber-Organisation SIAE bezahlten Gebühren) äußerst brisant: Immerhin ist die Platte von einem in Japan offiziell veröffentlichten Video abgenommen. Dieter Schubert: „Was in Italien legal ist, muß es noch lange nicht in Deutschland sein. Mitschnitte von deutschen Künstlern wie den Scorpions verstoßen in Deutschland auf jeden Fall gegen das Urheberrecht. Genauso darf der Konzertort nicht in einem Land liegen, das das Römische Abkommen ßr den Künstlerschulz ratifiziert hat bzw. das Konzert muß vor dieser Ratifizierung stattgefunden haben. Da Japan diesem Abkommen im Oktober 1989 beigetreten ist, entspricht ,Banzai‘ nicht der geltenden Rechtsprechung, genausowenig wie Stockholm Illusions‘ oder ,G’N’R Rock Wembley‘.“
Diese Auffassung wird immerhin vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts im Namen des Volkes geteilt: In Deutschland genießen nur diejenigen Länder Schutz der Urheberrechte, die deutschen Künstlern das Gleiche bieten (die USA erfüllen dieses Kriterium z.B. nicht). „Natürlich hätten wir das Roses-Konzert aus dem Tokio-Dom gern veröffentlicht, genausogern die ,Steel-Wheels‘-Outtakes von den Stones. Aber wenn man derart im Zielfernrohr der Industrie steht wie eben Perfect Beat, verkneift man sich solch kitzlige Geschichten zwangsläufig“.
Trotz allem avancierte die Doppel-CD „Banzai“ binnen weniger Monate zu einem der meistverkauften Bootlegs. Und das europaweit übertragene Paris-Konzert tauchte ebenfalls unglaublich schnell auf mehr als einem halben Dutzend verschiedener Labels unter Titeln wie „La Vie En Rose“ oder „World Tour „92“ auf.
Trotz des anhaltenden Booms der „Schattenindustrie“ sieht Dieter Schubert ernste Probleme: „Leider gibt es Leute, die die schnelle Mark machen wollen und überhaupt nichts von der Rechtslage verstehen. Dadurch bleibt natürlich die gesamte Mitschnitt-Industrie im Ruch des Illegalen.“
So sollen Wea-Vertreter die deutschen Plattenhändler künftig anhalten, eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung zu unterschreiben, die sie bei emer Vertragsstrafe von DM 5.000,— dazu verdonnert, keine irreguläre Ware von Warner-Künstlern zu verkaufen und ihre Bezugsquellen offen zu legen. Die Frage ist nur: Welcher kleine Plattenhändler hat schon lange genug Jura studiert, um zwischen (noch) legalen Live-Mitschnitten und illegalen Bootlegs zu differenzieren?