Mutti Singt


Sie ist nicht bloß Mutter und Gattin, "eine manische" Hausfrau und leidenschaftliche Köchin, sondern auch noch eine Sängerin, deren Alben sieh in den Staaten nicht unter der Millionen-Marke verkaufen. Rolf Lenz fragte die vielseitige Carly, wie sich das alles unter einen Hut bringen läßt.

Ich bin ein ziemlich allmodisches Mädchen“, lacht Carly Simon und fühlt sich in ihrem ebenfalls ziemlich altmodischen Pariser Hotelzimmer sichtlich wohl. „Ich hasse New York, mag keine Flugzeuge und siehe nicht besonders auf Fernsehen oder Telefon. Manchmal habe ich das starke Gefühl, ich gehöre vieleher in die Zeit vor Einfährung der Automation.“

Das „Mädchen“ ist inzwischen 43, sieht aus wie 31 und hat 1987 zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder ein Konzert gegeben: open air auf der Atlantik-Insel Martha’s Vineyard, vor der Küste Massachusetts, wo Carly seit ihrer Ehe mit James Taylor die meiste Zeit des Jahres lebt. Ausgerechnet das Fernsehen machte diesen Auftritt durch einen Mitschnitt des Kabelsenders HBO derartig populär, daß jetzt ein Live-Album nachgereicht wird, dessen Titel-Zusatz „Grca- ^^___^_^^^^^^ test Hits“ allerdings nicht allzu wörtlich genommen werden sollte. „Meinen ersten Single-Hit in Amerika,. Thal’s The Way I Always Heard II Should Be‘, habe ich zum Beispiel gar nicht gespielt“, erinnert sich Carly. „Eigentlich sollte das die Zugabe werden, aber dann war es viel zu kalt, umsauf dem Klavier zu spielen: Meine Finger konnten einfach nicht. “ Was bedeuten ihr ihre alten Songs heute noch? Was denkt Carly Simon 1988, wenn sie ihren 16 Jahre alten Eitelkeits-Evergreen „You’re So Vain“ singt?

„Ich denke gar nicht. Ich würde gern von mir sagen können, daß ich voll in meinen Songs stecke und sie total auslebe, aber ich habe eine erstaunliche Distanz zu meinen Geschichten.“

„You’re So Vain“, zweifellos nach wie vor die populärste Carly Simon-Nummer, ist eine Geschichte für sich. Um den Song ranken sich Mythen und Legenden: In einem amerikanischen Ratespiel taucht sogar die Frage auf, von welcher prominenten Simon-Bekanntschaft in dem Lied angeblich die Rede sei.

„Das werde ich immer und immer wieder gefragt, Ich weiß, daß Warren Beatty denkt, er sei gemeint, aber eigentlich spielt es gar keine Rolle, von wem der Song wirklich handelt. Er ist einfach über alle, die denken, daß er von ihnen handeil.“

Carly Simon ist nicht bloß mit Warren Beatty ausgegangen, sie war auch sonst kein Kind von Traurigkeit. Schlagzeuger hatten es ihr offenbar besonders angetan: „Aus irgendwelchen Gründen habe ich eine besondere Beziehung zu Drummern. Ich war bestimmt mit sieben Schlagzeugern zusammen, aber höchstens mit einem, nein zwei Gitarristen. Und mit keinem einzigen Keyboarder. Schlagzeuger haben, glaube ich, weniger Aggressionen — vielleicht, weil sie alles rauspriweln“.

Wenn Schlagzeuger „was haben“, dann haben Männer mit dem Vornamen James offenbar auch was: die heiratet Carly sogar. Nach der Scheidung von James Taylor, mit dem sie Tochter Sally (14) und einen Sohn (11) hat, war sie zunächst mit (Schlagzeuger) Russ Kunkel verlobt, um dann zum zweiten „und letzten“ Mal zu heiraten: den Schriftsteller James Hart. Der ist mit seinem Job ortsunabhängig, und Carly würde — mal abgesehen von Martha’s Vineyard — an jedem europäischen Ort lieber wohnen als in Amerika, „aber das ist ja immer das große Problem mit geschiedenen Familien: Man muß eine Distanz finden, die gleichzeitig nah genug beieinander und weil genug voneinander entferni ist.“

Die Schweiz wäre zu weit, Martha’s Vineyard ist nah genug. Und wunderschön. Nur dort kann sich Carly Simon ihren Ideal-Tag vorstellen: „Es isl Wochenende, also muß ich den Kindern nicht um halb sieben das Frühstück machen. Ich stehe ungefähr um neun Uhr auf. gehe runter und mache mir einen Tee. Ich meine richtig Tee machen, nicht bloß einen Beutel in die Tasse werfen. Nach dem Frühstück gehen wir in die Siadt, ein bißchen einkaufen und Freunde treffen. Es ist Sommer, also später an den Strand: picknicken, lesen, baden und einen langen Spaziergang machen, nicht unter sechs Kilomeiern. Ungefähr um vier kommen wir nach Hause, ich spiele ein paar Stunden Klavier und komponiere, dann mache ich das Abendessen: Pasta mit Tomatensoße und Rosmarin, das mögen sie alle. Und zum Schluß vielleicht ins Kino …“

Klingt idyllisch. Die Herren Michael Brecker (Saxophon), Hugh McCracken und Jimmy Ryan (Gitarren). Robbie Kilgore und Robbie Kondor (Tasten), T Bone Wölk (Bass, Akkordeon, Piano) und Schlagzeuger Rick Marotta ließen sich jedenfalls nicht lange bitten, als Carly Simon letztes Jahr nach langer Live-Abstinenz zum gemeinsamen Auftritt auf ihre Insel lud. Gewöhnlich hat Carly Simon keine Schwierigkeiten, sich in der Männer-Welt amerikanischer Studios durchzusetzen: .Ich habe eine starke Persönlichkeil: Wenn ich CoProduzentin bin, dann sitze ich da nicht bloß rum. sondern co-produziere wirklich.“

Nur einmal kam sie sich ganz klein vor: bei den Aufnahmen zu HELLO BIG MAN (1983), als sie u.a. mit dem schwarzen Rhythmus-Gespann Sly Dunbar und Robbie Shakespeare zusammenarbeitete.

„Da fühlte ich mich, als wären die beiden Reggae-Stars die Chefs im Studio und ich nur die kleine Sängerin.“