Nächste Ausfahrt: Disco


Mit Kill For Love schickt Johnny Jewel seine CHROMATICS auf die Erfolgsspur.

Ryan Gosling wirkt konzentriert, die Stimmung ist angespannt. Ruhig und präzise steuert er den Wagen durch die Nacht. Dazu ein puckernder Beat, nervös und treibend. Der Track wurde von den Chromatics passend auf den Namen „Tick Of The Clock“ getauft. Für viele dürfte die Eröffnungsszene aus dem Film „Drive“, wenn auch unbewusst, der erste Kontakt mit der Band aus Portland, Oregon gewesen sein. Die Mischung aus Synthpop und Neo-Disco korrespondierte hervorragend mit dem sündig-synthigen Flair des Konsolenspiels „GTA-Vice-City“, den der Film mitbrachte. Ursprünglich sollte Chromatics-Kopf Johnny Jewel sogar den ganzen Film-Score produzieren; dieser Auftrag ging letzten Endes jedoch an Film-Komponist Cliff Martinez.

2001 gegründet, haben die Chromatics mittlerweile einen weiten Weg hinter sich. Mit größtenteils anderer Besetzung veröffentlichten sie zu Beginn ihrer Karriere eine Handvoll Punkplatten, die durchaus Anklang bei den Kritikern fanden. Vom alten Line-up – anfangs gehörte dazu auch die jetzige Gossip-Schlagzeugerin Hannah Blilie – ist nur noch der aktuelle Drummer Adam Miller übrig. Die Musik war rau und laut, von Glam und Discokugeln war damals weder etwas zu sehen noch zu hören. Doch dann kommt Ruth Radelet, das Alleinstellungsmerkmal der Band. Die Stärke ihrer Stimme ist ihr eigenwilliger Mix aus kühler Arroganz und Sinnlichkeit. Eine schönere kalte Schulter ist kaum vorstellbar. Es löst eine gewisse Faszination aus, dass man als Hörer nie genau weiß, woran man ist. Ihr Vortrag strotzt vor Melancholie, wirkt dafür gleichzeitig sehr distanziert. In Kombination mit den verhaltenen Disco-Beats und der sehnenden Atmosphäre ist der Herzschmerz fast vorprogrammiert.

Bandmitglied Johnny Jewel gründet „Italians Do It Better“ 2006, um dem entschleunigten Italo-Disco, der sich langsam aber sicher zum Haupteinfluss und gemeinsamen Nenner aller Projekte herauskristallisiert, ein neues Zuhause zu geben. Zusätzlich zu den Chromatics ist er auch Musiker und Produzent bei den Labelkollegen Desire und Glass Candy, die stilistisch kaum zu unterscheiden sind, und sich lediglich durch ihre unterschiedlichen Stimmen voneinander abheben. Für „Italians Do It Better“ hat Jewel 2012 noch viel vor. Das dritte Glass-Candy-Album ist angekündigt, dazu wird es im Sommer eine neue Compilation mit den größten Hits der Plattenfirma geben, auf dem auch die Chromatics vertreten sein werden.

Fünf Jahre nach Night Drive, das sowohl Band als auch Label den ersten größeren Erfolg einbrachte, erschien Ende März der großartige, mehrmals verschobene und über ein halbes Jahr lang mit Videos angeteaste Nachfolger Kill For Love. Einen prominenten Fan haben sie damit bereits gewonnen. Jarvis Cocker war von der neuen Platte so angetan, dass er die Band direkt in das Vorprogramm der aktuellen Pulp-Tour in den USA holte. Christopher Hunold

Albumkritik S. 71