22 Jahre nach „Narcotic“: Was wurde eigentlich aus… Liquido?
Ein Ohrwurm und Partygarant ist Liquidos Debütsingle „Narcotic“ aus dem Jahr 1998 noch immer. Was aber wurde aus der Band selbst, was machen die ehemaligen Mitglieder heute? Wir haben mal nachgefragt – auch nach einer Livereunion.
„Dö dö dö dö döö dö dö döödööö dö dö dödö dödööööö“: So oder so ähnlich klang das, als eine bis dahin unbekannte Band aus dem Baden-Württembergischen Sinsheim 1998 einen Welthit landete, den bis heute so oder so ähnlich jede*r mitsingen kann. „Narcotic“ heißt der Song, die zwei Jahre zuvor gegründete Band Liquido. Sie ging aus der Stuttgarter Gruppe Pyogenesis hervor, statt an Metal versuchte sie sich an Powerpop und College Rock – mit bahnbrechendem Erfolg: Die Single verkaufte sich weltweit über acht Millionen Mal, ihr Debütalbum LIQUIDO wurde in zehn Ländern veröffentlicht. Wer alt genug ist, sich an das auf VIVA, VIVA ZWEI und MTV in Dauerrotation laufende Musikvideo zum Song zu erinnern, hat vier Pullunder tragende Mittzwanziger vor Augen, die in einem künstlich-bunten Hochhaus-Innenhof ihre Instrumente bedienen. Auch Jüngere kennen „Narcotic“, weil der Song auf keinem Feten-Sampler, auf keiner Ballermann-Party, keiner Aprés-Ski-Sause und in keiner „One Hit Wonder“-TV-Show fehlt. 2009 erst lösten Liquido sich auf. Der Ohrwurm ist geblieben.
Liquido bestanden aus Sänger und Keyboarder Wolfgang Schrödl, Gitarrist Stefan Schulte-Holthaus, Bassist Tim Eiermann und Schlagzeuger Wolfgang „Wolle“ Meier. Sie kannten sich aus ihrer Heimatstadt, waren Freunde, absolvierten gemeinsam den Zivildienst. So wie sich Pyogenesis von Metal über Goth bis Rock bewegten, so wollten auch Liquido, als Spaßprojekt gestartet, etwas Neues versuchen. Vier Akkorde, ein Keyboard und ausreichend Hartnäckigkeit reichten dafür aus.
Liquido waren einerseits ein One-Hit-Wonder – andererseits aber auch nicht
Songschreiber Wolfgang Schrödl erinnert sich noch gut daran, wie er „Narcotic“ 1996 als 21-Jähriger schrieb und wie den anfangs kein Plattenlabel haben wollte. Im Interview mit Musikexpress.de erklärt er im Februar 2020: „Die Nummer schrieb ich in zehn Minuten an meinem neuen Keyboard. Komposition und Text schrieben sich fast von selbst. Das Lied wurde wahrscheinlich auch deshalb so erfolgreich, weil es ein ehrliches ist. Obwohl Inhalt und Melancholie auf den Partys in den Hintergrund traten. Ich verarbeite darin die Trennung von meiner damaligen Freundin, die mich verließ.“ Zwei Jahre lang habe ihr Demo bei den Plattenfirmen „kein Schwein“ interessiert. Dann erschien die Ursprungsversion auf einem Sampler der deutschen Musikzeitschrift VISIONS. „So fanden wir einen Verlag, der es schaffte, dass die Demoversion beim Mainstreamradio lief. Mit dem Pfund im Gepäck hatte sich dann auch eine Plattenfirma erbarmt“, sagt Schrödl und lacht. „Narcotic“ erschien am 31. August 1998 bei Virgin Records, das Album LIQUIDO ein paar Monate später. Der Rest ist deutsche Popgeschichte.
Liquido gelten mit „Narcotic“ bis heute als klassisches One-Hit-Wonder, und einerseits stimmt das auch: So erfolgreich wie mit ihrer Debütsingle wurde das Quartett nie wieder. Andererseits verkauften sich auch Folgesingles wie „Play Some Rock“ und „Doubledecker“ in den damaligen Pre-Streaming-Zeiten gut, sie kamen lediglich an den Erfolg vom alles in den Schatten stellenden „Narcotic“ nicht mehr heran. Liquido tourten durch Deutschland, Europa und die Welt, veröffentlichten vier weitere Alben und landeten mit „Ordinary Life“ noch einen Nummer-1-Hit in Italien. 2009 trennten sie sich trotz wirtschaftlich weiterhin funktionierender Lage – nicht wegen Erfolglosigkeit, sondern weil sie sich, wie so viele Bands, „zwischenmenschlich auseinanderentwickelt“ hatten.
Was die Liquido-Mitglieder heute machen
Sänger, Keyboarder und Songschreiber Wolfgang Schrödl lebt heute in Berlin, ist 45 und der Musik treu geblieben. Nach dem Ende von Liquido zog er fürs Studium (Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste) in die Hauptstadt und blieb wegen der Musikszene. Mit seinem ehemaligen Bandkollegen Stefan Schulte-Holthaus, der heute als Dozent für Musikmanagement und kreatives Schaffen an der Macromedia-Hochschule in München lehrt sowie mit alten Schulfreunden gründete er das Projekt Cages, das später in Unter Ferner Liefen aufging. Unter dem Namen 7fields veröffentlichte er bisher ein Album sowie diverse Singles und EPs, unregelmäßig tritt er außerdem mit einem anderen Freund live auf und improvisiert an Gitarre und Klavier zu Beats. Werbemusik produziert er ebenfalls, muss er aber nicht dank „Narcotic“: „Die Tantiemeneinnahmen geben mir die Freiheit, Musik zu machen, weil ich es will, aber nicht, weil ich es muss. Deswegen habe ich jahrelang mein Indiezeug machen können, was auf kommerzieller Ebene völlig uninteresssant ist. Davon kann man nicht leben. Ich kann mir das erlauben. Ich habe diese Luxus und bin sehr dankbar dafür.“
https://www.youtube.com/watch?v=zITHV7o5ZqU
Sein jüngstes Projekt vereint Vergangenheit und Gegenwart: Unter dem Pseudonym Senex schreibt Schrödl wieder Popsongs und gibt sie in die Hände anderer Produzent*innen. So erschien im Februar zuletzt die Electro-Folk-Pop-Nummer „Everybody Knows“, so kam es indirekt 2019 auch zu einer erfolgreichen Neuauflage von „Narcotic“: Das zuvor für Alle Farben arbeitende DJ-Duo YouNotUs nahm „Narcotic“ in einer ganz eigenen Version neu auf, Schrödl, der 20 Jahre lang Anfragen ablehnte, nickte sie ab und sang den C-Part.
Mit seinen anderen ehemaligen Bandkollegen hat Schrödl abseits von geschäftlichen E-Mails keinen Kontakt mehr. Tim Eiermann hat sich in Sinsheim ein Studio eingerichtet und produziert dort Werbespots, Filmmusik und andere Bands. Und Wolfgang Meier? „Wolle war damals schon Heil- und Erziehungspfleger, hat ein Studium darauf gesetzt und arbeitet dort, wo wir alle damals unseren Zivildienst leisteten. Musik macht er, glaube ich, nicht mehr“, räumt Schrödl ein. Genaueres wisse er aber nicht.
Für eine Live-Reunion würden Liquido noch nie angefragt
Und eine Reunion? Auf keinen Fall, sagt Schrödl. Die Trennung damals sei richtig und wichtig gewesen, die Entscheidung bereue er nicht. Dass aber all die Jahre noch keine Anfrage für einen Auftritt auf einer dieser zahllosen 90er-Partys reinkam, wundert ihn doch: „Ich glaube, wir wurden deshalb noch nie angefragt, weil man mich erstens nicht so leicht findet und ich auch keinen Kontakt zum damaligen Management mehr habe. Zweitens wissen die Leute, dass wir uns im Unguten trennten. Ich würde es aber eh nicht machen.“
Ob die ausbleibenden Anfragen nicht auch daher rühren könnten, dass Liquido nie in einer Trashliga mit vielen anderen Eurodance-Acts spielten, die heute für die einschlägigen Partys gebucht werden? Schrödl lenkt ein: „Da muss ich selbstkritisch genug sein. Das Lied wird durch seine Eigendynamik seit Jahren als Aprés-Ski- und Ballermannhit wahrgenommen und auf ‚Und jetzt alle!‘ und ‚Hände in die Höh“ reduziert. Ich finde das nicht schlimm und nehme es zur Kenntnis. Gedacht war ‚Narcotic‘ so aber nie: Es geht um gebrochene Herzen. Ein ironischer Trashfaktor kommt durchs Klanggewand, es hat aber eine Melancholie. Das fand ich ein paar Jahre lang ein bisschen schade, dass das ganz untergeht.“