Neil Young und Mainstream-Rock? Die Platte „Landing On Water“ feiert 30-jähriges Jubiläum
Neil Young kennt man, seine größten Albenerfolge auch. Doch, wenn es um „Landing On Water“ geht, horchen die Spezialisten auf.

Vor genau 30 Jahren, am 28. Juli 1986, veröffentliche Neil Young ein Album, das so gar nicht nach dem Sixties-Folk-Rebellen klang, sondern laut Musikexpress-Redakteur Michael Ruft, nach „Mainstream-Rock“. Die Rede ist von „Landing on Water“. Das Album war damals, bevor Young begann mit Pearl Jam zu kollaborieren, Young-untypisch rockig und erinnert tatsächlich an klassischen 80er-Jahre-Sound, vielleicht sogar an David Bowies experimentierfreudige Phasen. Am Besten Ihr macht Euch selbst ein Bild und hört einfach rein.

https://www.youtube.com/watch?v=hPPIcWgV_AU
Wir haben im Archiv gekramt und den besten Neil-Young-Artikel für Euch ausgegraben, der die Kontroverse Young-Rebellion und Kommerz-Rock in aller Tiefe gemeinsam mit dem Exzentriker bespricht:
Neil Young
Vorfrühling in Nordkalifornien: Die Mittagssonne scheint noch schwächlich vom blauen Himmel als Neil Young im ebenso blauen Oldtimer vor dem ‚Mountain House Restaurant‘ vorfährt. Hier in der rustikalen Waldhütte inmitten der Redwood-Idylle südlich der hektischen Metropole San Francisco, bittet Herr Young ME/Sounds exklusiv zur Audienz. Neil Young sieht aus wie immer: Graues Haar, sehr hohe Stirn, Stoppelbart, schwarze Jeans, offenes Schlabberhemd und Sonnenbrille. Aber er ist verdächtig gut aufgelegt. Überhaupt wirkt der Bilderbuch-Griesgram aufgeräumt wie nie zuvor. Jetzt, mit 50, kann Neil Young sogar lachen. Kein Wunder. Wer, wie er, den uneingeschränkten Segen der gesamten Musik-Hörerschaft genießt, wer vom Mainstream-Publikum ebenso geliebt wird wie von den echten und den selbsternannten Meinungsführern, wer von den alten Hippies ebenso als gottgleiches Wesen verehrt wird wie von den Grunge-Kids hat es leicht, über den Dingen zu stehen.
Jüngstes Beispiel: Die Filmmusik zu ‚Dead Man‘. Für den surrealistischen Western des Kult-Regisseurs Jim Jarmusch hat Kult-Rocker Young die Musik komponiert, oder besser improvisiert. Dabei entstanden mit Gitarre, Orgel und Piano morbide Soundlandschaften – impressionistische Schwarzweiß-Klänge, die überhaupt nicht zu dem Neil Young passen wollen, der noch im vergangenen Jahr zusammen mit Pearl Jam wildrockend über ausgewählte europäische Konzertbühnen wirbelte. Ist der alte Young als Soundtrackmacher, frei von jeglichen kommerziellen Zwängen, wieder einmal seinem Image als unberechenbarer musikalischer Querkopf gerecht geworden? Fast schon schelmisch entgegnet er: „Ich habe nur das gemacht, was mir in den Sinn gekommen ist.“ Ein Satz, der als Leitmotiv über Youngs gesamter Karriere stehen könnte und mit dessen praktischer Umsetzung seine Plattenfirma wohl auch in Zukunft zähneknirschend leben muss.
Denn die würde am liebsten gar nicht so viel Wirbel um den Soundtrackbeitrag veranstalten, weil der eine Spur zu gewöhnungsbedürftig ist. ‚Warner Bros.‘ hätte es lieber gesehen, wenn Young wieder eine kommerzielle Platte wie ‚Mirror Ball‘ abgeliefert hätte, anstatt der schwer verdaulichen Kost ‚Dead Man‘. Die Marketing-geschulten Herrschaften in der Führungsetage der Firma glauben, dass der Soundtrack zum Jarmusch-Film dem gemeinen Plattenkäufer die Lust auf Neil Young bis in alle Ewigkeit verderben könnte. Selbst dann, so die Überlegung der Plattenbosse, wenn Neil wieder ein „richtiges“ Rock-Album abliefert, könnte der vom ‚Dead Man‘ verwirrte Fan den Weg in den Laden überhaupt nicht mehr finden. Zugegeben, der Gedanke ist nicht abwegig. Der Rock-Hörer ist konservativ. Er kauft lieber, was er schon kennt. Und nur so ist zu erklären, weshalb Bands wie die Beatles, die Rolling Stones und Queen im Winter 95/96 wochenlang die Charts anführten.
Warum? „Ich habe gedacht, es ist jetzt an der Zeit für eine gute Plattenfirma. Und ich weiß, dass wir talentierte und gute Bands haben werden, für die der Rock ’n’ Roll gleichbedeutend ist mit Aufrichtigkeit und Leidenschaft. Solche Acts zu fördern, darin sehe ich unsere Aufgabe.“ ‚Dead Man‘ war die erste Veröffentlichung des jungen Young-Labels. Nächster ‚Vapor‘-Release soll das Debütalbum der Newcomerband The Customers sein, und im Sommer will ‚Vapor‘ ein neues Album des legendären New Wave-Exzentrikers Jonathan Richman (‚Egyptian Reggae‘, ‚Roadrunner‘) veröffentlichen. Und das war’s dann auch schon in diesem Jahr. Denn, so Neil Young, „wir wollen nicht zu viele Platten rausbringen, vielleicht drei bis vier pro Jahr. Es soll sich alles im Rahmen halten.“ Inwieweit ist Neil Young persönlich in die Arbeit des Labels involviert? Geht er tagsüber mit Anzug und Krawatte ins Büro und kramt am Abend Karohemd und Gitarre hervor, um sich bei ein bisschen Feedback zu entspannen?
„Oh nein, ich bin kein Geschäftsmann. Ich halte mich im Hintergrund. Aber ich behalte mir die Möglichkeit vor, mich jederzeit ein- oder auszublenden. Jeder Mitarbeiter der Firma weiß, dass er sich in allen Dingen auf mich verlassen kann. Das ist unsere Philosophie.“ Zur Label-Philosophie gehört auch, dass sich der Boss bei den Signings der Acts zurückhält. Aber die Bands wird er sich doch zumindest anhören?
Reichlich Young-Musik verspricht die mehrere CDs starke Retrospektive, die seit Jahren als großangekündigtes, aber immer wieder verschobenes, Projekt durch den Blätterwald rauscht. Natürlich: Ein Veröffentlichungstermin steht immer noch nicht fest. Neil Young lacht: „Ich arbeite inzwischen so lange daran, dass es für mich so eine Art Lebensstil geworden ist. Ich mache das nur so nebenher. Aber es ist eine schöne Beschäftigung, weil sie mich durch mein Leben führt. Ich setze mich hin und höre mir ein ganzes Album oder die Musik aus einer Zeitspanne von zwei oder drei Jahren an einem Tag an, und manchmal hat das eine seltsame Wirkung auf mich. Dann nehme ich mir meine Gitarre und warte ab, was passiert. Das kann sehr interessant sein.“
Albert Koch
Zur Review des Albums geht es hier (Teil des kostenpflichtigen Digital-Archivs)