Neue Wege nach irgendwo
Keren Ann: „Ich habe viele Songs geschrieben, die einfach so da lagen, die eine physische Form, eine Platte gebraucht haben, um zu existieren.“ Die Antwort der französischen Songwriterin auf die Frage warum sie nach zwei französischsprachigen nun ein englisches Album gemacht hat, ist so charmant wie die Sängerin selber. Keren Ann Zeidel, so ihr kompletter Name, könnte in Deutschland längst so groß wie Carla Bruni sein – hätte ihre Plattenfirma den Mut gehabt, ihr vor eineinhalb Jahren entstandenes Meisterwerk, das zweite Album la oisparition, auch bei uns zu veröffentlichen, nachdem schon die Goldgräber von le pop ein frühes Werk von Keren Ann auf ihren wegweisenden ersten Sampler gepackt hatten. Die englischsprachigen Songs indes stehen der in Paris lebenden Französin (geboren in der Nähe vonTelAvivals Tochter eines russischstämmigen Israeli und einer Holländerin mit javanesischen Wurzeln] genauso gut zu Gesicht wie französische Stücke. Ihre feine, schöne Stimme passt zu den Songs, die Folk, Pop und Chanson atmen und verspielt ins Ohr tänzeln. „Englisch ist die Sprache des Folk, der mich geprägt hat“, sagt sie.. „Meine Beziehung zur französischen Musik kam eher über Folk und Pop als über das Chanson. „So sind neben Carole King, Joni Mitchell, Lee Hazlewood und Chet Baker zwei französische Nationalheilige ihre wichtigsten Einflüsse: Francoise Hardy und Serge Gainsbourg – auch die Hardy orientierte sich in den 60ern eher am britischen Pop, wofür sie von der französischen Chanson-Szene naserümpfend als „Yeh-Yeh-Sängerin“ geschmäht wurde. Ihre Meriten um die Grande Nation hat sich Keren Ann verdient, indem sie mit ihrem Songwriterkollegen Benjamin Biolay für ein spektakuläres Comeback sorgte: Vor vier Jahren schrieben die beiden der damals 83-jährigen Chanson-Legende Henri Salvador den Hit „Jardin d’Hiver’auf den Leib. Nach jahrelanger Zusammenarbeit gehen Keren Ann und Biolay inzwischen getrennte Wege: „Wir hatten beide eine Veränderung dringend nötig“, sagt die 29-Jährige mit rauchiger Stimme (sie ist erkältet]. Der „Biolay-Touch“ ist auch auf NOT GOiNG anywhere zu hören; kein Wunder, sind doch vier der elf Tracks neue Versionen französischer Originale von la disparition. Die Texte sind jedoch keine Übersetzungen, sondern Adaptionen: „Die Ideen, die dahinter stecken, sind die gleichen, nur anders ausgedrückt“, sagt die Songwriterin.