Neues Leben mit Tonic Water
Ein gutes Jahr lang war Alice Cooper von der Bildfläche verschwunden: in einer Entziehungsanstalt ließ er sich den Alkohol austreiben. Wie’s ihm dort so erging, schildert er auf seiner neuen LP „From The Inside“ (siehe Longplayers). Wie’s ihm heute geht, nachdem alles überstanden ist, begutachtete Wolfgang Freund, der ihn in seinem trauten Heim in Los Angeles besuchte.
Als ich Horror-Alice im August des Jahres 1977 in der Sports Arena von San Diego erlebte, hatte der Geist aus der Flasche sein Opfer bereits fest im Griff. Freund Cooper torkelte als Alkoholleiche über die Bühne und bemühte sich krampfhaft, mit einer müden Show den Eintrittspreis von 10 Dollar zu rechtfertigen. Kurz darauf war er dann endgültig weg vom Fenster – weg zu einer Entziehungskur, und zwar freiwillig, wie es in der Presse hieß.
„Welcome to my nightmare. Welcome to my breakdown. I hope I didn’t scare you. That’s just the way we are when we come down.“ Alice brachte diese Zeilen schon 1975 auf Platte heraus. Aber daß es so etwas wie Vorsehung gibt, hat mittlerweile ja sogar die empirische Wissenschaft belegt.
Wie hat er den Alptraum nun überstanden? ME-Fotograf Helmut Werb und ich machen uns auf in die Hügel von Hollywood, wo die Stars und die Schickeria eng beieinander wohnen, damit die Klatschspalten-Reporter nicht so weit laufen müssen. Coopers Butler macht die Tür auf und lächelt freundlich, denn schließlich hat uns dieses Interview der Manager von Leif Garrett besorgt, und der ist in Hollywood ein geachteter Mann. Alice läßt noch ein wenig auf sich warten, aber der Butler versorgt uns ungefragt mit der Information, sein Herr und Meister sei wirklich ganz nett. Nun, vermutlich besuchen Butler selten Rockkonzerte, bei denen der Star des Abends mit Riesenschlange und Guillotine hantiert. Und zu Saufgelagen ihrer Herrschaft werden Butler und andere Dienstboten ja auch erst gen Morgen hinzugezogen, um die leeren Flaschen wegzuräumen.
Also – der Butler hat doch recht, denn Alice steht plötzlich mit strahlender Miene im Wohnzimmer. Keine Spur von Hölle und Alptraum, sondern von Kopf bis Fuß die heile Welt von Kalifornien. Er schwärmt von den Mädels in Germany und bietet uns Bier an (richtiges ALICE COOPER Bier, es muß also doch noch Zeugs im Hause sein! !)- Seine Frau Sheryl schaut herein, bekennt beglückt „Alice ist wieder zu gebrauchen!“, aber da wir ja kein „Playboy“-Interview machen wollen, verziehen wir uns schnell in ein Nebengebäude, wo Alice das Schweigen brechen will.
Ein Anbau mit weißem Flügel, großer Fernsehwand und stillgelegter Bar. Der Butler bringt seinem Herrn Tonic Water. Und das löst die Kehle: „Alles, was ich je auf der Bühne an Horror gemacht habe“, meint Alice, „ist nichts gegen das, was ich in New York während meiner Entziehungskur erlebt habe. Da hockst du eingeschlossen in einem leeren Zimmer, freiwillig, und kannst nicht raus. An den Fenstern sind Gitter, die Fenster selbst kann man auch nicht öffnen. Und dann ist da das dringende Bedürfnis nach einem klitzekleinen Schlückchen. Sie haben mir in New York wirklich drei Monate lang die Hölle gezeigt. Ich war dem Selbstmord nahe. Wenn du dein Leben lang von einer Droge abhängig bist, dann hat sie schon einen festen Platz in deinem Körper. Wie ein Bein oder ein Arm. Und wenn dieser Bestandteil dann wegamputiert wird, dann gewöhnt man sich nur sehr schwer an den neuen Zustand.“
Täglich 24 Dosen Budweiser-Bier und ein bis zwei Liter Bourbon will Alice früher in sich hinein gesoffen haben. „Ich wußte manchmal nicht mal, wo ich war, wer ich war und was für einen Tag wir gerade hatten. Trotzdem entstanden meine größten Erfolge im Total-Suff!“
Aha! Da geben die Leute ihr Geld aus und träumen von kreativen Künstlern, die zuhause am Piano sitzen, sich einswingen und Ideen aufs Tonband sprudeln lassen. Alice hat da andere Erfolgserlebnisse: „Oh Mann, es war eine schöne Zeit, als Harry Nilsson, Ringo Starr, Bernie Taupin, Keith Moon und ich uns in Mexico City rumtrieben, andauernd besoffen, so daß wir bald einen tierischen Ruf dort hatten!“
Vater erzählt beim Herrenabend seine Kriegserlebnisse. Und nippt dazu am Tonic. Denn momentan ist Alice wirklich trocken. Er blickt auch klarer durch. Hat vom Horror-Rock zwar nicht gelassen, aber sich ein paar Gedanken gemacht, warum er so auftritt wie er auftritt. Am Anfang der Karriere, meint er, sei der Erfolg über Nacht gekommen und habe ihn dazu gebracht, nicht nur auf der Bühne die Sau raushängen zu lassen. Heute sehe er sich mehr als Schauspieler, der beruflich seine Rolle spielt und privat ein netter Junge bleiben kann. Der Horror im Konzert aber, der muß sein, meint Alice: „Die Kids brauchen mich. In ihrem Unterbewußtsein wollen sie auch Puppen zerreißen, mit Schlangen spielen und den Horrormax markieren. Sie brauchen das als Ventil.“
The times, they are achangin‘: Alice macht seinen wilden Job und geht dann brav nach Hause. Und die fürchterliche Riesenschlange lebt bei Coopers als Haustier, hegt beim Fernsehen bei Alice auf dem Schoß und möchte gestreichelt werden. Prost!
Wie bitte? Nein, nein die Geschichte mit der Schlange stimmt tatsächlich. Fragt den Butler oder meinetwegen auch Bernie Taupin, der ein paar Häuser weiter wohnt.