Newcomer des Jahres: Casper


Casper, der Wutbürger aus Bielefeld, ist unser Newcomer des Jahres. Auch, wenn er gar nicht mehr so neu ist.

Wie groß der Hunger nach HipHop aus der bundesrepublikanischen Hood bis heute geblieben ist, zeigte die Begeisterung für den Comeback-Auftritt der Beginner beim Berlin Festival im September – und ebenso, wie selbstverständlich dieses Fach zum Pop-Kanon derer gehört, die dir sofort auch ihre drei Libertines-Lieblingslieder nennen könnten und die drei wichtigsten musikalischen Querverweise der neuen Justice-Platte vermutlich auch.

Gewissermaßen als Support für Delay, Denjo und DJ Mad, wenn auch auf der Nebenbühne, bellte heiser wie der junge Dendemann ein Junge namens Benjamin Griffey alias Casper in Tempelhof in sein Mikrofon. Er trug da längst den amtlichen Titel „Newcomer 2011“ (ungeachtet der Tatsache, dass der 29-Jährige schon seit fast zehn Jahren Musik macht und veröffentlicht). Sein Album XOXO war zwei Monate zuvor auf Platz eins der Charts geschossen, sein Gesicht auf den Titel mehrerer Magazine, und auch aus fast allen wichtigen Feuilletons im Land blickten seine dunklen Augen klar und entschlossen hinaus in ebendieses. Endlich wieder einer, der den ganzen Bohei, die zuweilen verzweifelte Marktschreierei unseres Pop-Betriebs, wert war, ein neuer Hoffnungsträger des HipHop über HipHop hinaus. Das lag vor allem daran, dass der junge Mann aus Berlin (davor: Extertal/Kreis Lippe – Augusta/Georgia – Bielefeld) ein großer Vereiner ist. Aufgewachsen mit der Musik aus der Hamburger Schule, mit Metal, Elektro, Springsteen u.v.a.m., sozialisiert in der Hardcore-Szene, sich durchgesetzt an der HipHop-Freestyle-Basis, meinte es Casper ernst mit seinem Crossover: „Auf der Platte ist alles zu hören, was ich auch auf meinem iPod habe“, sagte er in einem Interview. Im sehr episch und auf Pathos produzierten Ergebnis war XOXO allerdings entgegen aller Behauptungen dem Sound breitwandtragischer Helden wie Linkin Park näher als jedem Indie-Rock – und live, mit härteren Gitarren, erinnerte das sogar an das grausige Kreuzüber deutscher Rage-Against-Epigonen wie Such A Surge. Doch zu spät. Längst hatten sich die größten Fans von Casper Zeilen wie „Jeder von uns ist Kunst, gezeichnet vom Leben“ über Speiche und Elle tätowiert. Mit seinen Lyrics über Rebellions-Romantik, das Abarbeiten an der Jugend in der Provinz, den Freitod eines Freundes, das Fehlen des Vaters usw. meinte es der Emo-Rapper nämlich noch viel ernster. Und so ein heiliger Ernst ist in Zeiten des in unendlich viele Posen und Optionen zersplitterten Pops selten und deshalb einigen Schmerz und jede Hingabe wert.

Das fand schließlich auch Thees Uhlmann und reichte die Hand zur Verbrüderung. Er sang auf Caspers Platte, und Casper rappte auf Uhlmanns Solodebüt vom August. Und hatte es zuerst danach ausgesehen, als würde vor allem Casper dieses Indie-Rock-Etikett als eine Art Glaubwürdigkeitssiegel gut stehen, durfte man nicht erst zum Ende des Jahres feststellen: In dieser Win-Win-Situation hat der Tomte-Strohwitwer auf jeden Fall noch mehr profitiert als der Bielefelder Wutbürger.