Nicholas Harmer über Bush und Kerry
Viele Meinungsforscher glauben, dass George W. Bush weitere vier Jahre an der Macht sein wird. Für liberale Geister wie Nick Harmer, Songschreiber und Bassist von Death Cab For Cutie, wäre das eine mittlere Katastrophe.
Die Tour heißt „Vote For Change“. Man darf das ruhig laut sagen: Wir versuchen, die bestehende Regierung zu erneuern“, sagt Bruce Springsteen. Mit R.E.M. und Dave Matthews fuhrt er eine Gruppe von mehr als 20 Künstlern an, die im Oktober in neun „Swing-States“ – Bundesstaaten, in denen sich das Wahlergebnis nicht vorhersagen lässt – mit großen Konzerten für den demokratischen Kandidaten John Kerry werben wird. Mit dabei: Death Cab For Cutie, die spätestens seit ihrem spektakulären Auftritt beim südkalifornischen Coachella-Festival im Mai zu den bedeutendsten Indiebands der USA zählen.
musikexpress.-Was ist das Besondere an „Vote For Change“-Konzerten?Abgesehen von der Tatsache natürlich, dass ihr sonst nie mit Pearl Jam touren würdet.
nick harmer: (lacht) Es wird Literatur ausliegen. Aber keiner von uns erwartet, dass wir in die Swing-States gehen und dort Leute konvertieren: „Hm, Moment mal. Ich mag Bush nicht mehr. Death Cab For Cutie haben wirklich Recht.“ Das wäre zu optimistisch. Die Konzerte sollen ein Treffpunkt für Gleichgesinnte sein und unsere Unterstützung zeigen. Und wir wollen die Leute dazu bringen, wirklich wählen zu gehen. Beim letzten Mal sind 100 Millionen Berechtigte nicht zur Wahl gegangen. Das ist lächerlich. Ich lebe in einem Land, in dem sich nicht mal 50 Prozent der Erwachsenen an der Demokratie beteiligen.
Überall heißt es. „Register to vote!“ Ist es so kompliziert, sich zur Wahl anzumelden?
Nein! Wenn du deinen Führerschein abholst, füllst du ein paar Formulare aus. Dann wirst du 18 und dein Wahlausweis ist da. Das Problem ist die Apathie. Ich bin mir sicher, dass ich am 3. November wieder Bekannte treffe, die irgendwelche Ausreden parat haben: „Mann, ich bin gestern aufgestanden und hab mich nicht gut gefühlt. Ich hab es einfach nicht geschafft, meinen Arsch in die Wahlkabine zu bewegen. “ Meine Güte.
Worum habt ihr euch als Kunstler entschieden, politisch so offen Stellung zu beziehen ?
Das kam so nach und nach und hat mit ganz einfachen Sachen angefangen: Auf derTour im Frühling haben wir immer wieder die Leute aufgefordert, sich registrieren zu lassen. Und je näher der 2. November gerückt ist, desto klarer ist uns geworden, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun sollten. Das ist ein bedeutender Moment in der amerikanischen Geschichte. Der einzige Punkt, in dem sich alle Künstler bei „Vote For Change“ einig sind, ist: Unserem Präsidenten fehlt jegliche Qualifikation, ein Land zu führen.
Wie wird euer Engagement aufgenommen 7 Die meisten Leute auf unseren Konzerten sind jung und progressiv. Die mögen Bush nicht. Aber ein paar Fans waren sauer. Sie haben uns wissen lassen, dass Künstler in ihren Augen keine politischen Kommentare abgeben sollten: Unser Job sei die Unterhaltung. Ich bin aber nicht der Meinung, dass Kunst in einem Elfenbeinturm entstehen kann. Jede Handlung eines Individuums hat politische Konsequenzen oder kann politisch motiviert sein – wo gibst du dein Geld aus, welche Klamotten trägst du, in welche Kirche gehst du? Man muss nicht immer über Politik reden, um ein liberales politisches Statement abzugeben: Du kannst ein umweltfreundliches Elektroauto fahren. Oder Fahrrad. Und wenn du als Künstler bewusst durch diese Welt gehst, dann werden deine Beobachtungen auch Einfluss auf deine Arbeit haben.
Hat man George W. Bush am Anfang unterschätzt? Es gab Vergleiche zu Shakespears „Henry V.“, der ein desinteressierter, schwacher Königssohn war, bis er sich auf dem Thron plötzlich als religiös fanatischer, kriegerischer Monarch herausgestellt hat.
Kann sein. Ich habe ihn aber nie unterschätzt. Ich habe in sein Gesicht geschaut und gewusst, dass er falsch spielt. Historiker werden sagen, dass ein guter Staatsmann für die Mehrheit seines Volkes spricht. Und im Augenblick scheint er das auch zu tun – was sehr entmutigend ist. Er hat die Wirtschaft in eine Krise gestürzt, der Sozialstaat liegt brach, erbelügt die Menschen. Sein einziger Verdienst ist, dass er einen unnötigen Krieg angezettelt hat. Und er hält schon Hassreden über die nächsten Länder, wie Nordkorea. Mich würde nicht wundern, wenn er als Kriegshetzer in die Geschichte eingeht.
Jede Rede von Kerry lässt seine Popularität schwinden. Hat er sich deshalb vor der Wahl so unsichtbar gemacht?
Die Verschwörungstheoretiker unter meinen Freunden würden sagen, dass die konservativen Medien wenig über Kerry berichten. Ich hoffe jedenfalls, dass er sich nur für das große Finale ausruht.
Kerrys Kritiker behaupten, seine Kriegsmedaille wurde ihm für Wunden verliehen, die er sich selbst zugefügt hat. Glaubst du das?
Nein! Und überhaupt sollte jeder Soldat, der in den Krieg zieht, eine Medaille allein schon für den psychischen Schaden bekommen, den er davon trägt. Wenn dieses Land schon so viel Wert darauflegt, einen guten Kriegsführer als Präsidenten zu haben, warum erkennt man dann nicht an, dass John Kerry in einen Scheiß-Krieg gezogen ist, während sich George W. Bush aus dem Militärdienst herausgemogelt hat, um mit seinen reichen Freunden zu koksen? Jetzt versuchen Leute, ihn als den ehrenhafteren Militärhelden hinzustellen. Die Heuchelei macht mich verrückt. Dabei ist völlig egal, ob ein Staatsmann in einem Krieg war oder nicht. Warum sind wir so besorgt, ob wir auch wirklich den militärisch fähigsten Mann zum Präsidenten wählen? Was sendet das für ein Signal an den Rest der Welt? Ihr [in Europa – Anm. d. Red.] wartet wahrscheinlich nur noch darauf, dass wir die beiden zum Schießstand bringen, damit wir dann den ins Weiße Haus holen, der am besten mit einem Gewehr umgehen kann!
(lacht) Moby hat gesagt, dass das Amerika, das er liebt, keine weiteren vier Jahre Bush überleben wird.
Das ist ein bisschen melodramatisch. Ich würde sagen, wenn Bush wiedergewählt wird, werden wir wenigstens vier Jahre lang großartige Kunst erleben. Steckt ein Land in der Krise, kommen die Künstler immer auf die unfassbarsten Ideen. Aber Amerika sollte noch andere Ziele als guten künstlerischen Output haben: eine gesunde Demokratie zum Beispiel.
Um was geht es bei dieser Wahl? Ist das demokratische System in Gefahr?
Nein, das würden die Amerikaner dann doch nicht zulassen. Natürlich wurden im Namen der „Sicherheit“ jetzt schon Bürgerrechte beschnitten. Schlimm aber ist auch, was mit unserem Ansehen passiert ist. Wir bewegen uns in der Hinsicht eh auf dünnem Eis. Aber nach dem 11. September hatten wir volle Unterstützung, von fast überall. Seitdem haben wir’s uns mit der UN verscherzt und die ganze Welt gegen uns aufgebracht. Das ist das Ergebnis miserabler Politik.
Fragst du dich manchmal, ob wir die Bedeutung von George W. Bush überbewerten ? Vielleicht ist in zwölf Jahren alles längst vergessen.
Ich glaube trotzdem, dass es viel zu reparieren gibt. Besonders im Mittleren Osten und im Irak sind so viele Menschen und Familien verletzt worden. Es wird Racheakte geben und Amerika wird gehasst werden. Wir werden uns mit vielen Leuten aussöhnen müssen.
Wer wird die Wahl gewinnen?
John Kerry.
Wird er ein guter Präsident sein?
Ich weiß es nicht. Ich hoffe. Ich wünsche mix einen Präsidenten, der ein weltmännischer Staatsmann ist – bedacht, vorsichtig und diplomatisch. Keinen Einzelgänger, der uns mit seiner Cowboy-Politik weltweit zum Gespött macht.