Nicht nur für Fans: zwei neue Neil Young-Biographien


Musikbücher sind wieder angesagt in der deutschen Verlagslandschaft. Nach jahrelanger Flaute hagelt es mittlerweile schon beim geringsten Anlaß schmucke Bildbände und Biographien — Bowies Geburtstag, die Todestage von Jim, Jimi und Janis, die Stones-Tour und die Reanimation der Beatles waren Grund genug, eine Offensive nach der anderen auf die Buchhandlungen der Republik zu starten. Kein Wunder, daß zum 50. Geburtstag des wohl renommiertesten und zugleich quer durch die Generationen angesagtesten Rockmusikers eine vorher kaum dagewesene Flut von Publikationen auf die Fans einstürzte: Neil Young wurde im letzten November 50, und schon lange vorher machte sich über ein halbes Dutzend Autoren daran, eine kaum begreifliche „Forschungslücke“ in der Rock-Literatur zu schließen. Gab es bis dato keine drei ernstzunehmenden Neil Young-Biographien, so wagte sich jetzt mit Wolf Arnold sogar zum ersten Mal ein deutscher Autor an das Leben des „eider statesman“ der Rockmusik: ‚Chrome Dreams. Neil Young -— Eine Karriere‘ (45,-) ist das allererste programmatische Buch von Arnolds Erlangener Verlag Route 66, der sich ansonsten dem „American Dream“ im weiteren Sinne — von Wayne Gretzky bis zum Reisebericht — verschrieben hat. Vorwortler Michael Ruff nennt dieses doppelte Debüt „ein fiktives Tagebuch, das anhand von Stimmen aus dem jeweiligen Hier-und-Jetzt den Werdegang eines Künstlers aufzeichnet“. Arnold selbst charakterisiert seine Arbeit als „eine Art Handbuch“ auf der Basis chronologisch angeordneter Daten, das sowohl den Altvorderen als auch den frischgebackenen Young-Jüngern Fakten, Hintergründe und die persönlichen Aspekte einer eigenwilligen Karriere vor Augen führen möchte. Diesem Anspruch wird ‚Chrome Dreams‘ auf 310 eher spärlich bebilderten Seiten absolut gerecht und erweist sich dabei vor allem wegen der ausführlichen Zitate als sehr viel nützlicher als John Robertsons inhaltlich ähnlich angelegte ‚Visual Documentary‘.

Der Augsburger Sonnentanz-Verlag hatte mit der Übersetzung von John Einarsons ‚Journey Through The Past. Die kanadischen Jahre‘ (35,-) lange eine Art deutschsprachiges Monopol in Sachen Neil Young — mit dem einzigen Nachteil, daß diese „frühen Jahre“ spätestens in den frühen zoern zu Ende sind. Dieses Manko stellen die „Sonnentänzer“ jetzt ab, indem sie Johnny Rogans ausführliche Biographie aus dem Jahr 1982 nicht nur übersetzen ließen, sondern den Byrds-Biographen dazu bewegen konnten, acht aktuelle Kapitel mit gut 50 Seiten mit heißer Nadel anzustricken. So kann ‚Rocking In The Free World. Die amerikanischen Jahre‘ (39,80 DM, VÖ: Anfang Mai 1996) als Fortsetzung von John Einarsons erfolgreichem Neil Young-Buch bis zu ‚Sleeps With Angels‘ 1994 bezeichnet werden. ‚Rocking In The Free World‘ legt den Fokus nicht auf das Privatleben, sondern auf die kritische Beurtei-

lung des Musikers Neil Young. Dabei scheut sich Rogan nicht vor eindeutigen Urteilen im Stile Reich-Ranickis: Der Soundtrack ‚Journey Through The Past‘ sei z.B. „sicherlich das bizarrste Album im gesamten Neil Young-Katalog“ und zudem „ein passender Anwärter für den Titel ‚das schlechteste Album, das in der gesamten Rock-Geschichte gemacht wurde'“. Auch der weithin gefeierte Konzertfilm ‚Rust Never Sleeps‘ samt dazugehörigem Live-Album ‚Live Rust‘ werden ähnlich abgestraft: Der „ungesunde Beigeschmack von Opportunismus“ und die Tatsache, daß Young bei den Promotion-Aktivitäten für diese Projekte unbestreitbar „das Talent eines aalglatten Handelsvertreters“ offenbarte, ruinieren Youngs Ruf nach Rogans Meinung ein zweites Mal. Derart steilen Thesen dürfte nicht jeder Fan bedingungslos zujubeln (zumal Rogan in seinem aktuellen Teil Youngs merkwürdige Statements zur Reagans Rüstungspolitik von 1985 nicht annähernd so drakonisch abfertigt), aber das gereicht dem Buch nicht unbedingt zum Nachteil. Wenn man Rogans gelegentlichen interpretatorischen Übereifer und seine pseudo-akademischen Scharmützel um die korrekte Auslegung mancher Textzeilen nicht überbewertet und bereits einen eigenen Standpunkt zum Thema Neil Young besitzt, bekommt man eine differenzierte Werkschau mit dem Mut zur unpopulären Aussage. Stellt man sich Johnny Rogans Werk zusammen mit Wolf Arnolds Dokumentation, den Rolling Stone-Fakten und Alan Jenkins Exzerpten aus dem ‚Broken Arrow‘-Fanzine ins Regal, ist das Thema Neil Young durchaus erschöpfend abgedeckt.