Nick Cave & The Bad Seeds und Mercury Rev
Cave und Gang und Gospelchor beginnen eine neue Epoche im beschissensten Konzertsaal der Stadt. Kaum ein Blick zurück. Zeitenwende.
Was ist bei einem Nick-Cave-Konzert zuerst alle? Der Rotwein an der Bar. Mein Freund Thore sagt zum Barkeeper: „Egal, wir nehmen trotzdem zwei!“ Der Barkeeper guckt wie ein toter Fisch und passt sich somit sorgsam seiner Umgebung an. Wir befinden uns im Congress Centrum Hamburg, welches ein Paradebeispiel dafür ist, wie man mit architektonischen Mitteln jegliche Wärme aus einem Bauwerk prügeln kann, Damit der Besucher auch sieht, dass es hier nichts Sehenswertes gibt, wird alles mit hellstem Licht ausgeleuchtet. Man möchte zerstören, ist aber zu schwach, denn gestern war Samstag. Können wir jetzt mal zum Konzert kommen? Zum Konzert: Zuerst spielen Mercury Rev. Das ist schon mal toll: So eine volle Kelle Märchenwald-Elegien vom possierlichen Poser Jonathan Donahue und seiner Band lenkt nämlich von der Langeweile ab, und plötzlich ist einem nicht mehr langweilig. Herr Donahue sagt zu den grob geschätzt 3.000 Anwesenden: „Good to see you again!“ Mein Freund Thore sagt: „Dass der mich wiedererkannt hat …“ Gerade als einem die Donahuesche Dauerelegie auf den Keks zu gehen droht, sind sie auch schon wieder weg, die Vollverträumten. Super, dann kommt ja jetzt der Nick! Nach einer halben Stunde ist er dann auch endlich da, mitsamt seiner geilen Gang und einem vierköpfigen Gospelchor, sagt „Goodevening“ und das drei Mal und dann – zack! – der „Abattoir Blues“. Wir hören die beiden neuen Alben, fast komplett, dazwischen keine alten Stücke. Wir realisieren dreierlei. Erstens: Klingt das alles fett! Die vier Gospler schmiegen sich in die Lieder, welche die sieben Bad Seeds (zwei Schlagzeuger, zwei Tastenmänner, zwei Gitarristen, ein Geiger] sorgsam auskleiden und in deren orchestraler Größe Herr Cave scheinbar um sein Leben singt. Dazu hüpft er elastisch über die Bühne und fuchtelt so Jetzt-hör-mal-zu-mein-Junge-mäßig mit den Händen rum. Zweitens: Vieles ist anders. Was man nach sorgsamen Studium der neuen Tonträger ahnte, verdichtet sich zu einer Erkenntnis: Zeitenwende im Hause Cave. Avantgarde und Schmutz sind vollends passe. Den letzten Rest nahm Blixa mit. Jetzt ist alles nur noch groß und perfekt und teilweise sogar lebensfroh. Der neue Nick Cave ist der Hochglanz-Nick-Cave. In guten Momenten ist er atemraubend, in den wenigen schlechten wirkt’s steril und verkrampft. Drittens: Nick-Cave-Fans sind Spießer. Nein, du natürlich nicht, aber die anderen, die nach spätestens einer Stunde darüber murren, dass Nikolaus und Freunde keine alten Stücke spielen. Ja was denn? Der will halt nicht, der will sagen, dass jetzt was Neues kommt, so ganz generell. Ein paar alte Kracher sind die Zugabe. Ein bisschen kalt bleibt der „Mercy Seat“, beim „The Weeping Song“ singt der Chef auch den Part von Blixa mit, und „Stagger Lee“ gerät zum fulminanten Höhepunkt, denn unser Lieblingsaustralier flüster, raunt, schreit und wütet mit größter Intensität. So war das. Großartig.
www.nickcaveandthebadseeds.com